Jim Jarmusch: Ein Gedicht von einem Film
Jarmusch, das ist: Tom Waits und Roberto Benigni hinter Gittern in „Down by Law“ - „You scream and I scream, we all scream for ice cream.“ Und: Armin Mueller-Stahl im ruckelnden und zuckelnden Taxi als DDR-Clown Helmut Grockenberger mit Giancarlo Esposito als Yoyo - „Hey, Lampshade!“ Oder der brüllende Screamin’ Jay Hawkins in „Mystery Train“. Der taumelnde Johnny Depp als William Blake mit Gary Farmer als Nobody in „Dead Man“: „He who talks loud, saying nothing“ (von Iggy Pop als menschenfleischfressendem transsexuellen Fallensteller ganz abgesehen).
So lieben viele seiner Fans jenen Regisseur, der bis zur Jahrtausendwende mit seinen Filmen Brooklyner Independent-Flair in europäische Arthouse-Kinos brachte. Legendär sein Ausspruch, dass er sich immer eine Kassette mit Aufnahmen von Autolärm mitnimmt, wenn er aufs Land fährt, weil er New York so vermisst. Aber Jarmusch ist keine Jukebox. Es folgten sperrige Filme, in denen die alternative New Yorker Schnoddrigkeit gegen cineastische Exzentrik eingetauscht wurde. Den Kritikern gefiel das, alte Fans waren vor den Kopf gestoßen.

Viennale
Der Name Jarmusch als Ballast
Das Vampirmusical „Only Lovers Left Alive“ fällt in die Kategorie dieser Filme genauso wie der konzeptuelle Antithriller „The Limits of Control“ und auch die Neil-Young-Konzertdoku „Year of the Horse“. Seit der Jahrtausendwende warten die alten Fans, ob nicht doch noch einmal ein „klassischer“ Jarmusch folgt. Was „Paterson“ betrifft, ist eine Antwort einfach: Der ist es nicht. Jarmuschs Name steht diesem Film fast im Weg, weil er falsche Erwartungshaltungen evoziert. „Paterson“ steht für sich alleine - als poetische Reflexion über das Leben und die Kunst.
Filmhinweis
„Paterson“ läuft auf der Viennale am 22.10. um 13.00 Uhr, am 24. um 20.30 Uhr (präsentiert von ORF.at) und am 25. um 6.30 Uhr, jeweils im Gartenbaukino
Es geht darin um Paterson (Adam Driver), der im gleichnamigen Städtchen Paterson lebt, als Fahrer eines Buses, auf dessen Schild, groß und deutlich lesbar, genau über seinem Kopf „Paterson“ zu lesen ist, als wäre es sein Namensschild und nicht die Destination. Paterson wacht in der Früh auf, küsst seine Freundin (Golshifteh Farahani), frühstückt, verlässt das Haus, fährt den Bus, kommt nach Hause, isst mit seiner Freundin zu Abend, geht mit dem Hund Gassi und auf ein Bier im Pub ums Eck. Dann legt er sich nieder.
Ein ruhiger Song über die wahre Liebe
Dieser durchritualisierte Alltag wiederholt sich an jedem Wochentag. Eine Woche lang folgt Jarmusch Paterson durch seine Tage. Einer dieser Tage gleicht auf den ersten Blick dem anderen - und doch sind sie unterscheidbare Variationen des immer gleichen Themas. Der Film ist wie ein Gedicht aufgebaut oder wie ein Song, mit Strophen und Refrain. Ein Gedicht, ausgedehnt auf Spielfilmlänge. So weit, so langweilig und artifiziell klingt dieser strenge Aufbau.
Aber bei diesem Aufbau kommt es auf den Unter- und Überbau an. Der Unterbau, das ist die Liebe zwischen Paterson und Laura, eine schöne, ruhige, unaufgeregte Liebe, ein Einander-sein-Lassen. Laura ist hübsch und künstlerisch begabt, der Busfahrer Paterson ist kein Haupttreffer für sie. Aber Laura spinnt, sie dekoriert nach und nach die ganze Wohnung mit Schwarz-Weiß-Mustern, samt Wänden und Möbeln, inklusive der eigenen Kleidung, und wie ein Teenager ringt sie der Gitarre schiefe Töne ab und träumt von einer Country-Star-Karriere. Auch sie: kein Haupttreffer. Der Haupttreffer ist die - unerklärbare - Liebe zwischen den beiden.
Macht er was aus seinem Talent?
Der Überbau, das ist die Poesie, die dem Film nicht nur seine Form gibt, sondern ihn auch durchdringt. Denn Paterson ist ein dichtender Busfahrer. Immer hat er sein Notizbuch dabei. Wie ein Schwamm saugt er Sinneseindrücke auf, ganz besonders Gesprächsfetzen von seinen Passagieren und von den schrägen Kumpanen im Pub, um sich von ihnen zu seinen Gedichten inspirieren zu lassen. Laura ist begeistert und drängt Paterson, die Gedichte jemandem zu zeigen. Das ist, wenn man so will, ein Spannungsbogen: Macht er was aus seinem Talent?
Patersons Gedichte hat im echten Leben Jarmuschs Lieblingsdichter Ron Padgett geschrieben. Und im Film wird immer wieder Bezug genommen auf William Carlos Williams, der tatsächlich über die Kleinstadt Paterson Gedichte verfasst hat - und in den USA als Kultpoet gilt. „Paterson“ ist ein ungemein stimmiger, anregender Film, auch wenn er keine wirkliche Geschichte erzählt. Schon gar keine Jarmusch-Geschichte. Wobei: Das Pub ums Eck wäre nie ein echtes Kleinstadtpub. Das hat Jarmusch zu einem New Yorker Pub mit New Yorker Typen gemacht - und es spielt dort typische Jarmusch-Musik. Es ist nicht „Night on Earth“, aber.
Simon Hadler, ORF.at
Link:
- Paterson (Viennale)