Filmstill aus "Weiner"

Viennale

Weiner: Sex, Lügen und asoziale Medien

Die Doku „Weiner" zeigt das spektakuläre Scheitern des New Yorker Bürgermeisterkandidaten Anthony Weiner, dem ein Sexskandal zum Verhängnis wird. Ein Gesellschaftspsychogramm voll politischer und medialer Obszönitäten, das alles zeigt, und doch viele Fragen offen lässt - Fremdschämen de luxe, erste Reihe fußfrei.

Ob sich der US-Demokrat das Hochhalten telegener Taferln bei Jörg Haider abgeschaut hat, bleibt ungewiss. Als begabter Populist erweist sich der Politcharismatiker Weiner allemal: Wenn er auf den Straßen New Yorks routiniert schwarze Babys busselt, bei der Schwulenparade die Regenbogenfahne schwenkt oder „Gott segne Amerika“ in die Kamera brüllt. Auch mit der Familienaufstellung ist für den Bürgermeisterkandidaten durchaus Staat zu machen.

Das Private ist politisch

Zumal mit einer Gemahlin vom Kaliber einer Huma Abadin. Die macht einerseits als strahlende Schönheit gute Figur, ebenso wie als rechte Hand Hillary Clintons und Anwärterin auf den Stabschefposten im Weißen Haus. Das Eheidyll wird naturgemäß im Hochglanzformat abgelichtet. Der kleine Sohn amtiert als niedliches Accessoire. Selbst die gute Oma engagiert sich beim Telefondienst in der Wahlkampfzentrale: „Hallo, ich bin Fran Weiner, Anthonys Mom“, adressiert die betagte Dame potenzielles Wahlvolk.

Filmstill aus "Weiner"

Viennale

Anthony Weiner, eigentlich Meister der Selbstdarstellung - aber gescheitert

Doch mitten im Wahlkampf 2013 platzt die Sexbombe. Schon 2011 musste der Politberserker wegen eines Sexting-Skandals als Kongressabgeordneter zurücktreten, weil von seinem Twitter-Account Großaufnahmen seines Genitalbereichs flächendeckend versendet wurden. Nicht von Hackern, wie er lange behauptet, sondern von ihm selbst, wie er letztlich eingestehen muss - dabei sollte die Nachricht eigentlich nur an eine Frau gehen. Jetzt wird Weiner, wegen multipler Rückfälligkeit als Cybersex-„Serientäter“ geoutet, von seiner eher unrühmlichen Vergangenheit eingeholt. Sein Combeackversuch geht im Wortsinn in die Unterhose.

Carlos Dangers „Twittergate“

Auch nach seinem „Twittergate“ soll er unter dem sinnigen Decknamen Carlos Danger kompromittierende Internetkonversation mit zahlreichen Damen gepflegt haben, darunter das eine oder andere Pornostarlet. Die ganze Welt beobachtet erste Reihe fußfrei die Eskalation: Die Wahlkampfzentrale wird als War-Room zur Krisenintervention aufmunitioniert, Weiner zur medialen Lachnummer eins des Landes degradiert. „Warum nennt er sich Carlos Danger? Weil er keinen lächerlichen Decknamen wie Anthony Weiner verwenden wollte“, ätzt ein TV-Talkshow-Host.

Filmhinweis

„Weiner“ läuft bei der Viennale am 22.10. um 15.30 Uhr im Gartenbau Kino und am 26. Oktober um 21.00 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus.

Weiners ehemaliger Mitarbeiter Josh Kriegman und Elyse Steinberg halten das Geschehen als Wahlkampfbegleiter mit der Kamera dokumentarisch hautnah fest. Das Ergebnis ist ein schrilles Politpanoptikum voll absurder Situationskomik und schräger Akteure, die aus einem Woody-Allen-Film herausgetreten zu sein scheinen. Ein Polit- und Medienpsychogramm, das die Obszönitäten seiner Protagonisten offenbart, und mutmaßlich doch nur an der Oberfläche kratzt. Ein zutiefst deprimierendes und dennoch bezwingendes Sittenbild. Ein filmgewordener Autounfall: Man will wegsehen, muss aber hinsehen.

Filmstill aus "Weiner"

Viennale

Der tragische Antiheld unter Druck

Die Filmemacher inszenieren Weiner als tragischen Antihelden, als des Medienwahnsinns fette Beute, als böswillig verfolgte Witzfigur wider Willen. Die Doku scheint alles zu zeigen, beantwortet aber nichts. Etwa die Frage nach der Logik, dem Warum. Oder zumindest nach dem Cui bono: Wem nützt es? Und - bis auf überdeutliche Medienschelte - schon gar nicht nach irgendeiner Verantwortlichkeit.

Politpanoptikum der Schande

Mysteriös bleibt auch die Rolle von Huma Abedin, der kamerascheuen Frau im Schatten. Hillary Clinton hat sie einmal als ihre zweite Tochter bezeichnet. Folgerichtig reagiert Abedin auf die Eskapaden Weiners nach Hillarys Vorbild: Auch die gab Bill Rückendeckung in seinem Sexskandal. Was wir im Film nicht sehen: Die Tochter von Pakistanern, die ihre Jugend in Saudi-Arabien verbracht hat, gilt als ebenso einflussreich wie umstritten. Sie steht im Zentrum von Hillarys Mail-Affäre, politische Gegner sagen ihr gar ein Nahverhältnis zu radikalislamistischen Muslimbrüdern nach.

Abedin war am Beginn ihrer Karriere übrigens als Praktikantin von Bill Clinton vorgesehen, landete durch schicksalhafte Fügung jedoch bei Hillary. Dass Bill Clinton ihrer Ehe mit Weiner höchstpersönlich seinen Segen gab, darf im Rückblick als schlechtes Omen gewertet werden. Wenig tröstlich, dass sich neben Bill Clintons oralem „Watergate“ mit der Praktikantin Monica Lewinsky Weiners hochnotpeinliches Sexting fast lachhaft ausmacht. Abedin gab im August aber letztlich doch die Trennung von Weiner bekannt.

Am Ende fährt Weiner dem Blitzlichtgewitter im Auto davon. Durch die Rückscheibe zeigt er uns den Stinkefinger. Vermutlich eine der authentischsten Gesten des Films.

Nadja Sarwat, ORF.at

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