Clemens Schick: „Wir müssen auf die Barrikaden gehen“
„Stille Reserven“ ist ein dystopischer Thriller, der im Wien der nahen Zukunft spielt. Es herrscht eine Zweiklassengesellschaft, und wer sich keine Todesversicherung leisten kann, wird künstlich am Leben erhalten, um als Datenspeicher, Leihmutter oder Organspender zu dienen. Eine Gruppe von Aktivisten rebelliert gegen die Konzerne. Todesversicherungsagent Baumann (Clemens Schick) wird selbst Opfer des Systems, das er vertritt, und erkennt dadurch, dass Widerstand möglich ist und dass Liebe und Selbstachtung wichtiger sind als Macht und Karriere.

Viennale
Alle auf Linie, alles im Griff
ORF.at: Herr Schick, wie würden Sie den Inhalt von „Stille Reserven“ in wenigen Worten zusammenfassen?
Clemens Schick: „Stille Reserven“ ist ein düsteres Zukunftsszenario, das ein tödliches Liebesende hat.
ORF.at: Darf man das verraten?
Schick: Ich verrate ja nicht, wer stirbt, oder? Ich habe mir genau überlegt, wie man das Ende abstrakt formulieren kann, ohne zu spoilern, das wär natürlich doof. Aber mit dem Satz verrate ich eigentlich nicht zu viel. Ich finde, bei allem Düsteren, dass es ein Happy End ist, weil die Liebe siegt.
ORF.at: Der Film stellt das einzig Sichere, das wir im Leben wissen – nämlich, dass wir sterben müssen – infrage ...
Schick: Es ist ein genialer Twist im Drehbuch, dass das, was man in unserer Gesellschaft nicht möchte, in dieser Vision das Erstrebenswerteste wird: dass man sterben darf.
ORF.at: Wie verändert es den Blick aufs Leben, wenn man an den Tod denkt?
Schick: Ich finde, dass es immer schwierig ist, sich unsere Endlichkeit bewusst zu machen. Man lebt ja gerne mal mit dem Gefühl der Unsterblichkeit. Ich hatte immer den Anspruch an mich selber, ein so intensives Leben zu führen, dass ich’s nicht bereuen würde, wenn ich am selben Tag sterben würde. Zu wissen, dass unser Leben endlich ist, sollte uns anspornen, aus diesem Leben so viel wie möglich zu machen.
ORF.at: Sind Sie religiös?
Schick: Ich wurde im Zusammenhang mit dem Film schon öfter nach meiner Religiosität gefragt und habe festgestellt, dass es mir zu intim ist, darüber zu reden.
ORF.at: Auch die relativ unverfängliche Frage nach dem Leben nach dem Tod?
Schick: Ich habe keine klare Meinung dazu. Es gibt auf der einen Seite etwas Atheistisches in mir, das mir sagt, dass es das nicht geben kann. Auf der anderen Seite habe ich vielleicht den Wunsch oder die Vorstellung, dass da doch was ist. Letztendlich ist es egal. Beides hätte die Konsequenz, dass man das Beste aus dem Hier und Jetzt machen soll.
Zur Person
Clemens Schick wurde 1972 in Tübingen geboren. Nach seinem Schauspielstudium ging er acht Monate in ein Kloster, danach arbeitete er als Landschaftsgärtner, Türsteher und Kellner in Berlin. Er hatte Theaterengagements in Deutschland und Österreich. Im James-Bond-Film „Casino Royale“ (2006) spielte er den Handlanger des Filmbösewichts Le Chiffre (Mads Mikkelsen). Weitere Filme: „Das finstere Tal“, „4 Könige", Point Break“. Schick spielt Theater in Afghanistan, ist Mitglied bei Human Rights Watch und unterstützt die SPD.
ORF.at: In dem Film spielen Sie einen rücksichtslosen Karrieremenschen, der sich im System profilieren will. Im wirklichen Leben sind Sie eher nicht der angepasste Typ, wie man hört ...
Schick: Irgendwie müssen wir uns alle anpassen und Kompromisse schließen, um in einer Gesellschaft leben zu können. Das ist bei mir genauso, und um in meinem Beruf weiterzukommen, muss ich mich auch in Gruppen arrangieren – sei es in einem Film- oder Theaterensemble.
Ich versuche aber immer, aus meinem Denken Konsequenzen zu ziehen. Wenn ich politisch denke, versuche ich, mich politisch zu engagieren. Oder ich nehme bestimmte Ungerechtigkeiten wahr und versuche, mich für Menschenrechte einzusetzen oder für eine NGO Botschafter zu sein, wenn ich etwa in Südafrika tätig bin. Ich kann nicht immer konsequent sein, aber ich ringe darum.
ORF.at: Also wären Sie – wenn man an „Stille Reserven“ denkt – eher bei den Rebellen als bei den Versicherungsagenten?
Schick: Ich hoffe doch.
ORF.at: Wie war es, mit Dagmar Koller zu tanzen?
Schick: Ich bin schwer fasziniert von Dagmar Koller. Sie ist so unfassbar charmant. Wir haben stundenlang unsere Szene erarbeitet und sie hat nicht einmal z. B. über die Schuhe geklagt, sondern vom ersten bis zum letzten Moment alles gegeben. Ihre Haltung unserem Beruf gegenüber ist, wie ich mir wünsche, ihn zu leben.

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„Faszinierende Dreharbeiten“ mit Dagmar Koller, die eine reiche Versicherungsnehmerin spielt
ORF.at: Wie fanden Sie die Idee mit der Orgasmusuhr (eine Uhr, die beim Geschlechtsverkehr einen Signalton abgibt, wenn man den Höhepunkt erreicht hat, Anm.) und glauben Sie, dass so die Zukunft unserer Sexualität aussehen könnte?
Schick: Ich finde die Idee sehr lustig. Trotzdem entspricht sie dem kompletten Gegenteil von dem, was ich an Sex liebe, das rauschhafte Sich-Verlieren im anderen. Aber es finden sich sicher ein paar, die auch an so einer Idee Gefallen finden. Solange ich nicht mit ihnen ins Bett muss, hab ich damit kein Problem.
Radio- und TV-Hinweise
Die ZIB24 beschäftigt sich in der Nacht von Freitag auf Samstag mit „Stille Reserven“.
„Synchron“ hat auf Ö1 am Donnerstag, den 27.10., um 16.40 Uhr Regisseur Valentin Hitz im Interview.
ORF.at: Wie war es, in einer Megaproduktion wie „Casino Royal“ mitzuwirken, im Vergleich zu einem Low-Budget-Film?
Schick: Das Entscheidende am Filmemachen ist für mich das Geschichtenerzählen. Das kann man mit sehr wenig Geld oder mit 200 Millionen. Über die Qualität eines Filmes sagt das Budget – wie wir alle wissen – nichts aus. Mich reizt beides.
ORF.at: „Stille Reserven“ zeichnet ein sehr düsteres Bild der nahen Zukunft. Wie sehen Sie die Zukunft unserer Gesellschaft?
Schick: Wir müssen wach werden. Wir, die wir alle von der Freiheit, von den Werten in Europa und auf der Welt - aber jetzt bleiben wir mal bei Europa - profitieren und unser Leben auf der Basis dieser Freiheit aufgebaut haben, wir müssen jetzt lernen, dafür aufzustehen und uns dafür einzusetzen oder – martialischer – dafür auf die Barrikaden zu gehen und diese zu verteidigen. Weil gerade auch in Europa populistische Bewegungen entstehen, die diese Werte infrage stellen.

ORF.at/Sonia Neufeld
„Wer nicht wählen geht, ist ein dummer Mensch“
Deshalb engagiere ich mich politisch, weil ich glaube, dass unsere Demokratie auf dem Parteiensystem basiert, und wenn wir die Parteien nicht weiter am Leben erhalten, dieses System irgendwann in Gefahr gerät. Und wenn es keine Partei gibt, für die wir uns engagieren können und wollen, dann kann man eine eigene Partei gründen. Aber im Augenblick gibt’s keine Alternative zum Engagement in einer Partei, sonst übernehmen dieses Engagement die, die vielleicht nicht in unserem Sinne denken, reden oder handeln.
Filmhinweis
„Stille Reserven“ läuft am 21.10. um 18.00 Uhr im Gartenbaukino und am 23.10. um 23.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus in Anwesenheit von Clemens Schick und Regisseur Valentin Hitz. Kinostart ist am 28.10.2016.
ORF.at: Was sagen Sie zu jemandem, der nicht wählen geht?
Schick: Dass er sich selbst entmündigt und Leuten die Wahl überlässt, wo er keine Kontrolle hat, was die für ihn entscheiden. Aber wenn ihm das egal ist, muss er auch mit den Konsequenzen leben. Jemand, der nicht zur Wahl geht, ist für mich ein dummer Mensch.
ORF.at: Und was wünschen Sie sich für Ihre eigene Zukunft?
Schick: Weitere Filme wie „Stille Reserven“, wo ich tolle Kollegen treffe. Und viele Projekte, wo man solche Gespräche führen kann, wenn man darüber redet.
Das Gespräch führte Sonia Neufeld, ORF.at
Links:
- Clemens Schick und der Tod (fm4.ORF.at)
- Stille Reserven (Offizielle Website)
- Clemens Schick (Wikipedia)