Alles, was Beine hat, tanzt
Der Stau auf einer der Stadtautobahnen in Los Angeles scheint mal wieder endlos, aus jedem Autoradio dröhnt, wummert, jault oder klimpert eine andere Musik, während die äußerst bewegliche Kamera die Reihen der Blechkisten passiert, die plötzlich ungeahnt lebendig werden.

Viennale
Sebastian erklärt Mia den Jazz - den sie eigentlich gar nicht mag
Schon in der fulminant choreografierten Eröffnungssequenz gibt „La La Land“ Tempo und Genre vor: Alles, was Beine hat zu tanzen, schwingt sich aus dem Auto, wirbelt über den Freeway, verwandelt die trostlose Asphaltkulisse in ein fast schwereloses Traumland aus Rhythmus und Bewegung. Und ja, auch die castinggestählte Nachwuchsdarstellerin Mia (Emma Stone) und der an diversen Hotelbars verschlissene Jazzpianist Sebastian (Ryan Gosling) begegnen einander hier – anfangs mit reichlich wenig Sympathien füreinander. Es sind halt beide in ihrer Welt gefangen auf der gnadenlosen Suche nach dem Weg ins Rampenlicht.
Der Jazzer unter den Regisseuren
Regisseur und Drehbuchautor Chazelle – der selber einmal Jazzmusiker werden wollte - liebt den Jazz, wie schon sein vorheriger Film „Whiplash“ beweist. In „La La Land“ nähert sich der Amerikaner mit dem französischen Vater dieser schon oft totgesagten Musik über die Kraft und den unbedingten Willen seines Hauptdarstellers. Sebastian träumt von einem eigenen Jazzclub. Es darf doch nicht sein, dass in dem von ihm angebeteten Club mittlerweile Tapas serviert werden. Schlimmer noch: Tapas zu Sambamusik.
Mia hat Hunderte erfolglose Castings hinter sich
Auch Mia hat ihre Träume und ist jung genug, nicht klein beizugeben: Hunderte Castings hat sie hinter sich, wo nach ihrem ersten Satz beim Vorsprechen bereits die Langeweile auf den Gesichtern der Castingagenten abzulesen ist: Don’t call us, we call you! Wenn es so weitergeht, wird Mia wohl noch ewig in der Cafeteria – immerhin auf einem glamourösen Studiogelände – Kaffee verkaufen.
„La La Land“ wehrt nun aber jeden Einbruch der sozialen Realität lange vehement ab: Chazelle sucht sich die schönsten (und legendärsten) Filmkulissen von LA, damit genau dort Mia und Sebastian zeigen, was sie können: Vor spektakulären Sonnenuntergängen singen, tanzen und steppen sich die beiden die Seele aus dem Leib. Es könnte ein Musical von Jacques Demy sein, angesiedelt allerdings in Übersee.
Chazelle liebt bedrohte Gattungen
Regisseur Chazelle ist zwar ein Jazz- und Kinonostalgiker, doch einer, der den Untergang der Gattungen lustvoll oder melancholisch zelebrierte, ist er sicher nicht. Chazelle saugt Honig aus der Spielfreude und dem Talent von Gosling und Stone, aus seiner eigenen überbordenden dramaturgischen Fantasie und seinem Sinn für abrupten Szenen- und Stimmungswechsel.

Viennale
Kurz vor dem ersten Kuss gerät im Kino das Zelluloid aus den Fugen
Da steuert „La La Land“ zielsicher auf den ersten Kuss zu, den sich Mia und Sebastian im Kino während einer Vorstellung eines alten James-Dean-Films gleich geben werden, als ihnen die Tücken des Zelluloids einen Strich durch die Rechnung macht. Doch diesem angehenden Liebespaar ist kein Weg zu weit, um sich den Himmel voller Geigen zu erspielen. Auch wenn die beiden immer hart fallen, wenn sie merken, dass in dieser „Stadt der Sterne nicht alle nur für sie leuchten“, wie Sebastian leitmotivisch singt.
Chazelle inszeniert wohl ein Dutzend Tanz- und Gesangseinlagen, jede einzelne ein Schaustück und eine überzogene, bonbonbunte Hommage an Musicalfilme, die es so nicht mehr gibt. Und plötzlich gibt es sie doch noch, voller Spannkraft und Lebenslust - und mit einer Musik, die mitunter schmerzhaft bombastisch in den Ohren dröhnt. Wie sollen zwei Menschen, die für ihre Kunst alles tun (auch wenn Los Angeles voll ist mit diesen Menschen), nicht erfolgreich sein?
Die bitteren Wahrheiten kommen zum Schluss
Erst im letzten Kapitel dieses in Jahreszeiten eingeteilten, gut zweistündigen Kampfs darum, entdeckt zu werden, kommt die bittere Botschaft des Filmemachers zum Tragen.
Filmhinweis
„La La Land“ startet am 13.1.2017 in den österreichischen Kinos.
Auch wenn die Liebe zwischen Mia und Sebastian groß und unzerstörbar scheint, wie sieht es damit aus, wenn die jeweilige Karriereplanung darauf keine Rücksicht nehmen mag? Erwachsen werden, Kompromisse machen, die Liebe Liebe sein lassen – ist das mehr als ein böser Traum? Chazelle ist sich vielleicht selbst nicht ganz sicher, wie sehr er das Wünschbare und die Wirklichkeit in seinem Film kollidieren lassen soll. „La La Land“ bringt da erst einmal lieber eine gute Jazznummer. Dann kann man weitersehen, vielleicht wird ja doch noch einmal alles gut, irgendwann – schließlich wird der gute, alte Jazz auch noch gespielt, in immer neuen Variationen.
Alexander Musik, für ORF.at
Link:
- „La La Land“ (offizielle Homepage)