Sühnhaus

Viennale

Schuld, Sühne und die Geister der Toten

Präzise und stilsicher geht Maya McKechneay in ihrem ersten Langfilm „Sühnhaus“ dem Ringtheaterbrand 1881 auf den Grund. Wobei „Sühnhaus“ mehr ist als die historische Aufarbeitung des verheerenden Brandes mit offiziell 386 Toten. Die Filmemacherin hinterfragt ein Gesellschaftssystem aus Duckmäusertum, Dünkel und Ungerechtigkeit.

Wenn Filmkritiker selbst Regie führen, scheitern sie nicht selten an ihren eigenen Ansprüchen. Nicht so im Falle von McKechneay, die auch Filmrezensionen für ORF.at schreibt. Ausgehend von der schrecklichen Brandnacht an der Wiener Adresse Schottenring 7 – dort stand das Ringtheater -, findet McKechneay in „Sühnhaus“ Bilder und Töne, um das Gesellschaftssystem als verkrustet zu entlarven.

„Sühnhaus“ spannt den Bogen weit: vom rasch und unerbittlich niedergeschlagenen Aufstand 1848 über das eben als Sühnhaus gedachte Wohngebäude, das der Kaiser anstelle des abgebrannten Theaters errichten ließ, bis hin zur Landespolizeidirektion, die heute am Schottenring 7 zu Hause ist.

Schottenring 7, eine glücklose Adresse

Es ist eine glücklose Adresse, suggeriert der Film, der als dramaturgisches Vehikel die Präsenz von Geistern, die Erlösung suchen, durchaus in den Bereich des Möglichen rückt. Auch wenn McKechneay nicht glaubt, dass sich ein Ort durch ein Feuer reinigen kann.

„Aber das Bild an sich finde ich schon richtig“, sagt sie im ORF.at-Interview: „Die Menschen erklären einen Ort zu ihrem Besitz und versuchen ihn zu domestizieren. Sie versuchen Gewinn mit ihm zu machen. Sie unterwerfen einen Ort ihren Prinzipien. Aber was wäre, wenn der sich einmal wehrt? So funktionieren Geisterhausfilme - ihre Metaphorik hat ja einen ganz realen Kern.“

„Ein Ort kann sich nicht wehren“

Ein Ort kann sich nicht dagegen wehren, mit welcher Bedeutung die Menschen ihn versehen, sagt die gebürtige Münchnerin: „Wenn er es könnte, vielleicht würde er tatsächlich in Flammen aufgehen. Dann wäre das Hitlerhaus in Braunau wahrscheinlich auch schon lange niedergebrannt. Und wenn in amerikanischen Horrorfilmen ein Indianerfriedhof unter dem Keller einbetoniert ist, dann rumort es ganz real: Das ist das schlechte Gewissen derjenigen, die sich diesen Grund unrechtmäßig angeeignet haben. Im Fall des Schottenring 7 schaut es vielleicht weniger drastisch aus, aber auch hier haben sich verschiedene Geisteshaltungen wiederholt: Machtdenken, Besitzstreben, Obrigkeitshörigkeit.“

Sühnhaus

Viennale

Eine der vielen Darstellungen der Schreckensnacht von 1881

Es sind die Toten der 48er-Revolte, die dort verscharrt wurden, wo später das Ringtheater hochgezogen wurde. Ein Haus, das möglichst viele Besucher – 1.700 Menschen auf 1.700 Quadratmetern - auf engem Raum fassen sollte. Die Rendite musste stimmen. Und als sich 1881 das Gas entzündete und das Feuer in Windeseile das Theater mit den hölzernen Rängen erfasste, fanden vor allem die Besucher auf den billigen Plätzen den Tod.

McKechneay mag Geistergeschichten, leere Räume, Keller und Archive – dank ihres hervorragenden Kameramanns Martin Putz und eines einfallsreichen Sounddesigns (Stefan Rosensprung) gelingt „Sühnhaus“ ein schöner Spagat: die visuell und akustisch aufregende Aufarbeitung einer entsetzlichen Brandnacht und ein sehr persönlicher zeitgeschichtlicher Kommentar dazu.

„Alles gerettet“ - ein fataler Kommentar

„Alles gerettet!“- so die fatale Ansage eines servilen Polizisten in der Brandnacht zum Vertreter der Obrigkeit. Der Mann schien brav seine Pflicht getan zu haben – doch gerettet wurden nur wenige, offiziell erstickten 386 Menschen in den Flammen oder sie wurden erdrückt von denen, die panisch flüchten wollten. Vergeblich: Die Türen im Theater gingen nach innen auf. Freiwillige Helfer ließ die Polizei nicht ins Theater hinein. Rufen die Geister der Toten noch heute? In den tiefen Kellern der Landespolizeidirektion, wo das Filmteam die vor sich hin gammelnde Kommandozentrale für den Kriegsfall entdeckte?

Sühnhaus

Viennale

Im Sühnhaus ordinierte auch Sigmund Freud

Es war nicht ganz einfach, eine Drehgenehmigung in der Landespolizeidirektion zu bekommen, sagt McKechneay: „Als wir schließlich drehen durften, hatten wir aber die volle Unterstützung der Polizei und durften - bis auf die Einsatzzentrale - überall drehen. Im tiefsten Keller genauso wie auf dem Hubschrauberlandeplatz."

Filmhinweis

„Sühnhaus“ läuft auf der Viennale am 25.10. um 18.00 Uhr im Gartenbaukino und am 27.10. um 11.00 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus. Offizieller Kinostart ist der 8.12.

„Das waren schon merkwürdige fünf Tage. Mit der schweren Steadycam sind wir an der Kante, sieben Stockwerke über dem Boden, entlangbalanciert, um den Schwindeleffekt zu bekommen. Im Keller dagegen gab es kaum Sauerstoff, weil er nur als Aktenlager genutzt wird. Da ist einer aus dem Team einmal fast bewusstlos geworden.“

Wird unerwünschtes Gedenken weggekehrt?

McKechneay liefert zu den Bildern eine Fülle aufschlussreicher Details und sie stellt viele Fragen. Manchmal schießt diese kluge Geisterjägerin dabei ein wenig übers Ziel hinaus, etwa wenn sie andeutet, wie in Wien mit nicht staatskonformem Gedenken verfahren wird: Es wird einfach weggekehrt. Oder ist es nur Zufall, dass die Müllabfuhr - die 48er – dieselbe Kennzahl hat wie das Jahr des niedergeschlagenen Aufstands?

Alexander Musik, für ORF.at

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