Porträt C. Walken

Viennale

Hollywoods Lieblingspsychopath

Man nennt ihn auch „König der Cameos“, denn Oscar-Preisträger Christopher Walken ist sich für keine noch so kleine Nebenrolle zu schade. Spielt er einmal mit, adelt er durch seine geheimnisvoll lächelnde Präsenz jeden Film zum Walken-Film: Im Rahmen eines Viennale-Tributes lässt sich der charismatische Sonderling als Hellseher, Hundeentführer, Mafiakiller und als begnadeter Tänzer wiederentdecken.

Dieser Gentleman ist schwer einzuschätzen. Seine Augenlider hängen schläfrig nach unten, während die steil nach oben wachsenden, grauen Haare wirken, als stünden sie ständig unter Strom. Und noch etwas irritiert am Auftreten Walkens: die Augen selbst. Irgendetwas stimmt nicht mit ihnen. Aus einer himmelblauen Iris blitzen grüne Farbflecken heraus. Heterochromie nennt man dieses Phänomen, das Mister Walken noch unergründlicher wirken lässt – ja, wenn er will auch gefährlich.

„Man muss mich nicht erst zurechtmachen, damit ich einen Bösewicht spielen kann“, hat er kürzlich in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ bemerkt. Und er hat recht, denn Walken hat sicherlich das Zeug zum Teufel, allerdings verströmt er selbst als Bond-Schurke mit geschmacklos blondierter Föhnfrisur („A View to A Kill“, 1985) mehr Charisma als sämtliche Bond-Darsteller zusammen.

Berufspsychopath und leidenschaftlicher Tänzer

Das oben beschriebene Gefühl, dass irgendetwas mit diesem Menschen nicht stimme, hat dazu geführt, dass Walken mit Vorliebe für gespaltene Charaktere besetzt wird: nervöse Typen, übersinnlich Begabte, religiöse Eiferer, Psychopathen, Killer. Dabei ist der 73-jährige Schauspieler privat gar nicht so exzentrisch, wie er im Kino tut. Seit 48 Jahren ist er mit der gleichen Frau, der erfolgreichen Schauspielagentin Georgianne Walken, verheiratet und führt mit ihr ein zurückgezogenes Leben in einem Landhaus in Connecticut an der amerikanischen Ostküste.

Mit Georgianne teilt er auch seine Leidenschaft fürs Tanzen, die er - wenn irgend möglich - auch auf der Leinwand auslebt. In fast jeder Leinwandrolle sieht man Walken irgendwann tanzen. Sei es, dass er in „Catch Me If You Can“ (2002) mit seiner Filmgattin durchs Wohnzimmer walzt oder dass er ein ganzes Big-Beat-Musikvideo als Solotänzer bespielt, wie in Spike Jonzes „Weapon of Choice“ – jenen verblüffenden vier Minuten, für die man ihn wohl ewig in Erinnerung behalten wird.

Von Vaters Backstube zur Oscar-Verleihung

Walken wurde am 31. März 1943 unter dem Namen Ronald Walken in New York geboren. Er ist der Sohn eines deutschstämmigen Bäckers, Paul Wälken, der ihn früh auf Botengänge schickte und gerne als Nachfolger im eigenen Betrieb gesehen hätte. Doch die Mutter, Rosalie Russel, eine theaterbegeisterte Schottin, hatte andere Pläne mit ihren Kindern, brachte sie in einer Tanzschule unter und nahm sie mit zu Castings.

Noch als Schulbub durfte Walken in der damals populären Fernsehshow „The Colgate Comedy Hour“ als Sidekick von Jerry Lewis und Dean Martin auftreten. Wohl mehr im Spaß prophezeiten ihm die beiden eine große Showbiz-Karriere, an der Walken von nun an arbeitete. Der internationale Durchbruch gelang ihm allerdings erst im fortgeschrittenen Alter von 35 Jahren mit einer Nebenrolle in Michael Ciminos Vietnam-Drama „The Deer Hunter“ (ebenfalls auf der Viennale zu sehen), für die Walken 1979 mit dem Oscar für den besten Nebendarsteller ausgezeichnet wurde.

Kein Walken-Besuch in Wien

Seit „The Deer Hunter" trat Walken in über 100 Filmen auf - guten, schlechten und solchen, die man sofort wieder vergisst. Er selbst sagt – wohl nicht ohne kokette Untertreibung – über seine Rollenauswahl: „Ich nehme einfach die erstbeste Rolle an. Das ist mein einziges Kriterium.“ („I just take the next best thing. That’s my criteria.“) Leider trifft diese Zusagefreude nicht auf Festivals zu. Im „Guardian“-Interview spricht Walken freimütig über seine Phobien: Menschenmengen und Fernflüge seien ihm ein Gräuel. Bei der Viennale heißt es mittlerweile, es sei zu 99 Prozent fix, dass der Stargast nicht kommt. Schade.

Elf Langfilme und ein Tanzvideo bei der Viennale

Christopher Walken mit Filmsohn Leonardo di Caprio

Viennale

Christopher Walken mit Filmsohn Leonardo DiCaprio in „Catch Me If You Can“ (2002)

Bleibt sein Porträt in den elf Langfilmen (plus Bonustrack „Weapon of Choice“), die Hans Hurch für die Viennale ausgewählt hat. Die Auswahl beinhaltet vor allem bekanntere Filme wie Abel Ferraras „The Addiction“ (1995), Tim Burtons „Batman Returns“ (1992) und Steven Spielbergs Hochstaplerdrama „Catch Me If You Can“, in dem Walken den Vater des Helden (Leonardo DiCaprio) spielt.

Es ist Walken zu verdanken, dass sich zumindest eine Szene des letzteren, immer an der Grenze zum Kitsch operierenden Films in die Erinnerung einbrennt: Ein Sohn, der es scheinbar zu etwas gebracht hat, schenkt seinem weniger erfolgreichen Vater (Walken) eine Luxuslimousine - und demütigt ihn mit dieser gut gemeinten Geste. Die Szene ist nicht besonders gut geschrieben - aber Walkens Gesicht erzählt sie als Abfolge der Gefühle: aufglimmende erste Freude, Nachdenken, Verzweiflung und verletzter Stolz. Ein gelungenes Mikrodrama in Spielbergs Drama der großen Gesten.

Hellseher, Psychopath und Drogenpapst

Temporeicher und eigenwilliger kommt die schwarze Komödie „7 Psychopaths“ von Martin McDonagh daher, die 2012 auch schon regulär im österreichischen Kino zu sehen war und von der Viennale erneut gezeigt wird. An der Seite von Woody Harrelson und Colin Farrell spielt Walken hier den polnischstämmigen Quäker Hans Kieslowski (eine Anspielung auf Regisseur Krzysztof Kieslowski), der davon lebt, die Hunde anderer Leute zu entführen, um als angeblich ehrlicher Finder die ausgesetzte Belohnung zu kassieren.

Hans wirkt sanft, nachdenklich, gütig, doch hinter seinem altmodischen Seidenschal verbirgt sich eine tiefe Narbe, quer über den Hals. Auch er ist einer der „Psychos“ aus dem Filmtitel – ein Eiferer, der sein früheres Leben der Rache verschrieben hatte. In der unterhaltsamsten Szene dieses durchwegs unterhaltsamen Films sitzt Hans halluzinogene Kakteen kauend an einem Lagerfeuer und räsoniert: „Ich glaube, ich hätte einen super Papst abgegeben.“ Und seltsamer Weise hat er wohl recht.

Christopher Walken mit Hund in "7 Psychopaths"

Viennale

Walken als kultivierter Hundeentführer in „7 Psychopaths“ (2012)

Wer allerdings einen wirklich wunderbaren Hauptdarsteller Walken in einem ebenso wunderbaren Film erleben will, sollte sich bei der Viennale für „The Dead Zone“ (1983) entscheiden: In diesem atmosphärisch dichten, kanadischen Thriller von David Cronenberg ist Walken als ehemaliger Komapatient zu sehen, der von Visionen geplagt wird, von Szenen aus der Vergangenheit, aber auch von Zukunftsvisionen, in denen er drohendes Unheil voraussieht, sobald er den Körper eines anderen Menschen berührt. Das hier ist wirklich eine Paraderolle für den zugleich in sich versunken und nervös wirkenden Schauspieler.

„Brainstorm“: Skandalumranktes Meisterwerk

In Cronenbergs Film gelingt es Walkens Figur Johnny dank seiner Zukunftsahnungen, einen Jungen vor dem Ertrinken zu retten. Zeitgleich mit dem Kinostart von „The Dead Zone“ im Jahr 1983 machte Walken übrigens mit einem ganz realen Fall von Ertrinken weniger erfreuliche Schlagzeilen: Während des Drehs zum Scifi-Thriller „Brainstorm“ (Regie: Douglas Trumbull) segelte Walken mit seiner Filmpartnerin Nathalie Wood und deren Ehemann Robert Wagner auf der Privatjacht des Paares. Wood ging über Bord und starb unter bis heute ungeklärten Umständen. Gerüchte von einem Eifersuchtsdrama machten in Hollywood die Runde. Eine Reihe von TV-Dokumentationen (zuletzt: „Autopsy: The Last Hours of Natalie Wood“, 2014) versuchten erfolglos, Woods Todesursache auf den Grund zu gehen.

Walken in "Catch me if you Can"

Viennale

Walken als Grenzgänger zwischen Leben und Tod in „The Dead Zone“ (1983)

Der Skandal um den Tod der Hauptdarstellerin schob sich vor die Wahrnehmung des Films „Brainstorm“, einem wahrhaft merkwürdigen Meisterwerk, in dem Walken als introvertierter Wissenschaftler einen Virtual-Reality-Helm entwirft, mit dem sich eigene Gefühle speichern und anderen Menschen vermitteln lassen. Immer wieder ändert sich das Leinwandformat dieses visionären Zukunftstraums aus den 80 Jahren von 35mm Standard auf 70mm Panavision: Die Gefühle aus der Konserve wirken schließlich intensiver als die Realität. Zu finden ist „Brainstorm“ in voller Länge auf YouTube, aber leider auch während der Viennale nicht im Kino.

Maya McKechneay, für ORF.at

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