Tippi Hedren: Die Frau, die Hitchcock „Fettsack“ nannte
„Ich mag Geschichten mit jeder Menge Psychologie“, sagte Hitchcock einmal in einem Interview, denn: „Alles ist auf seine Weise pervers.“ In seinen Filmen unterhält die fetischisierende Liebe („Vertigo“, 1958) und der Voyeurismus, der James Stewart als gehandicapten Fotografen seiner Verlobten erst von Ferne näher bringt („Das Fenster zum Hof“, 1954). Gipfel der filmischen Auseinandersetzung mit Perversion und Besessenheit ist aber „Marnie“ (1964), ein Thriller, in dem ein kontrollsüchtiger Sean Connery die frigide, komplett angstgesteuerte Kleptomanin Hedren zur Heirat zwingt.
Dabei erzählt Hitchcock – wie jeder Künstler – in seinen Darstellungen des Extremen immer auch von sich selbst. Der angeblich so beherrschte, perfekte Selbstvermarkter Hitchcock lebte die eigenen Obsessionen während der Arbeit aus. Auf der Leinwand, aber auch auf dem Set. Die Kontrollsucht des 63-jährigen Meisters bekam ab dem Frühjahr 1962 auch das 33-jährige Model Hedren zu spüren.
Der Meister und das Model
Es war an einem Freitag, den 13., erinnerte sich Hedren in einem Interview, das im Herbst 2012 im British Film Institute aufgezeichnet wurde, als ein Agent sie anrief und für einen Screentest mit Hitchcock einlud. „Hitch“, wie sie ihn bis heute nennt, hatte sie in einem TV-Spot für einen Diätdrink gesehen und setzte die völlig unerfahrene Schauspielerin bei den Studiobossen gegen alle Stars für die Hauptrolle in der Daphne-du-Maurier-Verfilmung „The Birds“ durch.
Filmhinweis
„The Birds“ läuft bei der Viennale am 30. Oktober um 20.30 Uhr und am 28. November um 20.30 Uhr im Filmmuseum. Am 29. Oktober findet um 20.00 Uhr das Galascreening von „Marnie“ im Gartenbau in Anwesenheit von Tippi Hedren statt.
Hitchcock begann nun „seinen“ Star zu formen. Er wählte Hedrens Privatgarderobe aus und versuchte, auf ihren Speiseplan Einfluss zu nehmen. Kurz, er übertrug die penible Kontrollsucht, die er als Filmemacher an den Tag legte, auf die Person Hedren. Doch ein Menschenleben ist kein Storybook (wie Hitchcock es vor jedem Projekt bis ins winzigste Detail anfertigen ließ), und Reality-TV-Formate waren zu Hedrens Glück 1962 noch nicht erfunden. Berühmt geworden sind Hitchcocks Screentests mit Hedren, die sich bis heute erhalten haben. Hier unterbricht die Stimme des Regisseurs den Szenenverlauf, um Hedren aus dem Off nach persönlichen Dingen zu fragen, etwa der Bedeutung ihres Spitznamens: „Tippi, bezeichnet das eine anatomische Körperpartie?“ – „Nein“, sagt Hedren, „es ist die Abkürzung für Tuppsa, das schwedische Wort für ein kleines Mädchen.“
Aus feministischer Sicht ist es problematisch, dass Hedren, deren Karriere nach „Marnie“ bis auf Nebenrollen und TV-Auftritte stagnierte, bis heute vor allem als „Zeitzeugin in Sachen Hitchcock“ auftritt. In Interviews geht es meistens nur um das Eine: ihr Verhältnis zu Alfred, dem Großen. Und natürlich hat Hedren die Wahl, dieses Interesse zu bedienen – oder nicht. Sie könnte es machen wie Hanna Schygulla, die ihren „zweiten Vornamen“ als „Fassbinder-Muse“ satthatte und eine neue Karriere als Chansonniere begann.
Vom Männertraum zur Tierschützerin
Zumindest nimmt sich Hedren in Interviews kein Blatt vor den Mund und scheint die Kamerasituation als Freud’sche Redekur zu nutzen: Wenn damals der Straftatsbestand der „sexuellen Belästigung“ bereits existiert hätte, formuliert sie auf dem Podium des BFI (siehe YouTube-Clip), wäre sie heute eine sehr reiche Frau. Laut Hitchcock-Biograf Patrick McGilligan soll sie den aufdringlichen Regisseur zuletzt als „fatso“ („Fettsack“) beschimpft haben - eine Beleidigung, die dieser überhaupt nicht vertrug.
Als öffentliche Person geht die Schauspielerin dieser Tage außerdem den gleichen Weg wie Brigitte Bardot, deren Körper auch lange Projektionsfläche männlichen Begehrens gewesen war: Hedren – die am Set von „The Birds“ von Krähen und Möwen derart blutig gepickt wurde, dass ihr der Arzt das Weiterdrehen verboten hatte – ist heute eine passionierte Kämpferin für die Rechte von Tieren.
Maya McKechneay, ORF.at