Der Nachtmahr

Viennale

Das Mädchen und sein Monster

Schnell, laut, superseltsam: „Der Nachtmahr“, ein Techno-Monsterfilm des Berliner Regisseurs Akiz, hat das Zeug zum Kult. Was als Gruselstory beginnt, wandelt sich zum einfühlsamen Coming-of-Age-Drama mit überraschendem Ausgang.

Der Titel klingt archaisch und ist wunderschön, wie er in weißen Lettern am nächtlichen Horizont leuchtet: „Der Nachtmahr“. Ein bisschen sieht das aus wie ein Plattencover. Und tatsächlich folgt im Vorspann ein Schriftzug, der den Vorführer auffordert, den Film laut zu spielen.

Alles, was fetzt

Ganz klar, „Der Nachtmahr“ will Musik sein: Disco, Techno, alles, was fetzt. Darum hat Regisseur Akiz - mit bürgerlichem Namen Achim Bornhak - für den Soundtrack die Berliner Underground-Legende Alec Empire (Atari Teenage Riot) engagiert. Und Sonic-Youth-Bassistin Kim Gordon steuert nicht nur den Abspannsong bei, sondern hat auch einen Gastauftritt als Englischlehrerin (siehe Trailer).

Filmstills aus "Der Nachtmahr"

Viennale

Tina (Carolyn Genzkow) und ihre Clique im permanenten Rausch. Die Kinder reicher Eltern lassen kein Vergnügen aus.

Schon am Anfang pochen die Beats, wenn Hauptfigur Tina (gespielt von der 23-jährigen Hamburgerin Carolyn Genzkow) mit ihrer Mädelsclique im Cabrio durch die Nacht rast. Die drei sind unterwegs zu einem Schwimmbad-Rave, bei dem sich Berlins Jeunesse doree in Ekstase tanzt. Am Rand, unter dem alten Sprungturm, steht Adam (Wilson Gonzales Ochsenknecht), ein Techno-DJ, in den Tina verliebt ist, obwohl oder vielleicht gerade weil er mit seinen schwarz umrandeten Augen aussieht wie der Tod.

Filmhinweis

„Der Nachtmahr“ ist auf der Viennale am 23.10. um 24.00 Uhr im Gartenbaukino und am 24.10. um 15.30 Uhr in der Urania zu sehen.

Huschende Schatten und verzerrte Optik

Nach einigen Drinks und einer Runde Koks zeigt man einander Handyvideos: missgestaltete Embryos und tödliche Unfälle. Was halt „voll hart“ ist. Tina erleidet einen Schwindelanfall und später am Abend einen Schock, der ihre Wahrnehmung für den Rest des Films verändert. Sie beginnt seltsame Geräusche zu hören, ein Gurren, Raunzen, Scharren und Kratzen. Den Eltern erzählt sie von huschenden Schatten und einer vor dem Kühlschrank kauernden Gestalt - und landet damit beim Psychiater. Die Kamera betont die Desintegration der Heldin, indem sie deren große Augen und die hervorstehende Nase mit einer Weitwinkeloptik verzerrt, bis man meint, ein verängstigtes Nagetier zu sehen.

Filmstill aus "Der Nachtmahr"

Viennale

Die langgliedrige Hauptdarstellerin Carolyn Genzkow wirkt manchmal selbst entrückt, wie ein Wesen von einem anderen Stern

Interview mit dem Regisseur

Im Interview mit ORF.at spricht Regisseur Akiz über sein „ganz und gar unbedrohliches Monster“ - mehr dazu in „Das Unterbewusstsein ans Steuer lassen“.

In der zweiten Hälfte des Films sieht man, was bisher nur zu hören war: das Monster, das wie ein müder Klumpen Fleisch am Boden hockt. Ein Verwandter von Steven Spielbergs „E.T.“, aber irgendwie älter, hässlicher: ein faltiges Urwesen, das so ganz in Kontrast steht zur schnelllebigen und schicken Welt, in der Tina sich bewegt. Da ist einmal die langbeinige Tina, die der Film oft und gerne spärlich bekleidet in Untersicht filmt wie das Lolita-Modell einer Hollister-Werbung (deren hochpreisige Produkte sie im Film auch trägt). Und nun plötzlich neben ihr: die verhutzelte Kreatur – der Nachtmahr – der auf merkwürdige Weise mit Tinas Körper verbunden scheint, als wäre dies ihre ganze, hinter der Fassade aus Sarkasmus und teuren Life-Style-Klamotten verborgene Verletzlichkeit.

Ein Monster gewordener Fresszwang

Man kann in diesem Wesen, das nachts vor dem Kühlschrank hockt und Dinge in sich hineinschlingt, unschwer Tinas verdrängte Impulse erkennen. Ein Monster gewordener Fresszwang, eine Krankheit, die den superschlanken Mädchen aus Tinas Clique wohl nicht ganz fremd ist. Auch wirkt die von blauen Adern durchlaufene Hautoberfläche des Nachtmahrs wie ein nach außen gestülptes, undefinierbares Geschlechtsorgan, allerdings nicht bedrohlich, sondern eher mitleiderregend - ein Stück Körper, das von Tina sein Existenzrecht fordert.

Ein fleischgewordenes, verdrängtes Begehren, wie man es aus den Body-Horror-Filmen des kanadischen Regisseurs David Cronenberg kennt. Die Haltung des Films gegenüber dem Wesen wird nun überraschenderweise sanft: Und erst das mehr als merkwürdige Ende zeigt, was dieser Nachtmahr seinem Menschen wirklich bedeutet.

Maya McKechneay, ORF.at

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