Debatte in Deutschland entbrannt
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hält einen weiteren Vorstoß für neue Regeln für Familienbeihilfenzahlungen ins EU-Ausland für wenig chancenreich. „Es gibt eine klare Tendenz unter den EU-Mitgliedstaaten, die gegenwärtige europäische Rechtslage nicht zu ändern“, sagte der Deutsche dem Berliner „Tagesspiegel“ (Sonntag-Ausgabe).
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Über den - völlig legalen - Bezug von Kindergeld (In Österreich: Familienbeihilfe) für Kinder im Ausland wird derzeit in Deutschland heftig diskutiert. Gegenüber der Zeitung verwies Oettinger auf Beratungen im Rat der EU-Sozialministerinnen und -sozialminister vom vergangenen Juni, bei denen sich eine Mehrheit gegen eine Anpassung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder an die dortigen Lebenshaltungskosten ausgesprochen hatte.
Lindner: „Unterhaltskosten als Orientierung“
Hintergrund der Debatte ist ein Rekord an ausländischen Kindergeldempfängerinnen und -empfängern in Deutschland. Zudem wurden Sozialbetrugsvorwürfe laut: So sah Duisburgs Rathauschef Sören Link (SPD) Schlepper am Werk, die Menschen in schrottreifen Wohnungen unterbringen, ihnen Scheinbeschäftigungen verschaffen und oft einen Teil der Familienbeihilfe einbehalten. Zahlen zu den angeblichen Missbrauchsfällen in Deutschland gibt es bisher nicht.

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FDP-Chef Lindner: Die Höhe des Kindergeldes „sollte sich an den tatsächlichen Unterhaltskosten in dem Land orientieren, wo das Kind lebt“
FDP-Chef Christian Lindner sagte nun der dpa, die Höhe des Kindergeldes „sollte sich an den tatsächlichen Unterhaltskosten in dem Land orientieren, wo das Kind lebt - und die sind in osteuropäischen Staaten eben niedriger als in Deutschland“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte „Mechanismen, die Sozialmissbrauch wirksam unterbinden“.
Bogner-Strauß: „Debatte in Deutschland notwendig“
Eine ähnliche Debatte wie in Deutschland hatte es auch in Österreich gegeben. Die ÖVP-FPÖ-Regierung hatte bei der Indexierung einen nationalen Alleingang beschlossen, die Neuregelung der Familienbeihilfenzahlung ins Ausland soll 2019 in Kraft treten. Die EU-Kommission erklärte dazu, eine Anpassung von Zahlungen an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes sei wegen des Verbots von Diskriminierung von Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmern nirgendwo im EU-Recht vorgesehen. Relevant ist dies, weil die Familienbeihilfe keine Sozialleistung ist, sondern für Kinder von Menschen bezahlt wird, die arbeiten und Einkommensteuer zahlen.
Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) sieht dennoch gute Chancen, dass in der EU künftig die Höhe des Kindergeldes für im Ausland lebende Kinder neu berechnet werden kann. Die Europäische Kommission habe festgestellt, dass die Mitgliedstaaten über die Zuerkennung und die Berechnungsmethode von Familienleistungen selbst entscheiden dürften, sagte sie am Samstag in einem dpa-Interview. Eine Anpassung sei damit im Einklang mit dem Europarecht.

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Bogner-Strauß sieht die Anpassung in Einklang mit EU-Recht
Die in Deutschland aufgeflammte Debatte sei dringend nötig, sagte Bogner-Strauß. Es gehe um eine „neue Gerechtigkeit“. Sie argumentierte, die Lebenshaltungskosten seien in der EU einfach unterschiedlich hoch. Die Familienbeihilfe anzupassen, sei deshalb nur fair.
Keine Missbrauchsfälle in Österreich bekannt
„Die neue Regelung ist für alle Kinder gleich, unabhängig von ihrer Nationalität, aber abhängig davon, wo sie leben“, betonte Bogner-Strauß. Eine Anpassung könne in bestimmten Fällen, wenn Kinder in der Schweiz oder Skandinavien wohnten, auch eine Erhöhung bedeuten. Der Beschluss der Regierung im Mai sei durch eine Vervielfachung der Ausgaben in den vergangenen Jahren ausgelöst worden. Fälle von Missbrauch seien in Österreich nicht bekannt.
Österreich hat 2017 rund 253 Millionen Euro für im Ausland lebende Kinder bezahlt. Die meisten von ihnen seien in Ungarn, der Slowakei, Polen und Rumänien zu Hause. Zum Beispiel erhalte ein in Rumänien lebendes Kind rund 200 Euro aus Österreich, ein Vielfaches der dortigen Leistungen. „Es gibt sogar Länder, die die Familienbeihilfe besteuern. Dafür ist sie ganz sicher nicht gedacht.“ Bei einer Neuberechnung würde man rund 114 Millionen Euro sparen. Die Gelder sollen der Ministerin zufolge für Familienzwecke wieder ausgegeben werden.
Es ist geplant, dass das Gesetz zum Jahreswechsel in Kraft tritt. Eine abschreckende Wirkung zum Beispiel auf dringend gebrauchte Pflegekräfte aus dem Ausland sieht die Ministerin nicht. Die meisten Pflegerinnen und Pfleger hätten bereits ältere Kinder. Dass ausländische Arbeitskräfte ihre Kinder nach Österreich holten, um eine höhere Familienbeihilfe zu kassieren, befürchtet die Politikerin nicht. Familien, die nur wegen der höheren Familienbeihilfe nach Österreich zögen, hätten aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten insgesamt höhere Ausgaben.
Kommission prüft Österreichs Alleingang
Die EU-Kommission prüft noch, ob das Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Regierung mit dem Unionsrecht kompatibel ist. Einigen Fachleuten zufolge handelt es sich um einen klaren EU-Rechtsbruch. Die EU-Kommission hatte immer erklärt, dass es zu keiner Diskriminierung von EU-Bürgern und -Bürgerinnen kommen dürfe und für gleiche Beitragszahlungen auch Anspruch auf gleiche Leistungen bestehen müsse.
Dieses Prinzip verfolgte bisher auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Rechtsprechung. Die Kommission könnte Österreich vor dem EuGH klagen, sollte die Indexierung beschlossen werden. Zuletzt hatte sich der eigentlich noch für vor dem Sommer angekündigte Gesetzesbeschluss aber verzögert. Ein möglicher Missbrauch der geltenden Regelungen müsse aus Sicht der Kommission durch eine Stärkung der Instrumente zur Missbrauchsbekämpfung angegangen werden, hieß es vergangene Woche aus Brüssel.
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