Empörte Reaktionen im In- und Ausland
In der rumänischen Hauptstadt Bukarest ist die Polizei am Freitagabend mit Gewalt gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Regierung vorgegangen. Der - offensichtlich unverhältnismäßige - Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken sorgte für Empörung. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verlangt eine Klärung des Vorfalls.
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Laut einer Bilanz vom Samstag wurden insgesamt 452 Personen verletzt, 65 davon sind - teils mit schweren Verletzungen - in Krankenhäuser eingeliefert worden. Bei elf der Schwerverletzten handle es sich um Sicherheitskräfte, hieß es.

AP/Andreea Alexandru
Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein
TV-Bilder zeigten, im rumänischen TV und in internationalen Sendern, wie Sicherheitskräfte offenbar wahllos auf Menschen in der Menge einschlagen, Tränengasgranaten gezündet werden, ältere Personen mit Pfefferspray und andere mit Schlägen und Fußtritten attackiert werden. Angegriffen wurden auch Presseteams aus dem Ausland, darunter auch eines des ORF. Presseausweise und erhobene Hände halfen offensichtlich nicht.
Kurz verlangt „volle Aufklärung“
Das ORF-Team drehte gerade, als die Polizei gegen gewaltbereite Protestierende in der Nähe vorging. Wie Korrespondent Ernst Gelegs in der ZIB24 schilderte, wurde ein Kameramann von der Polizei mit Schlagstöcken verprügelt.

APA/AFP/Daniel Mihailescu
Mit Schlagstöcken gegen Kundgebungsteilnehmende
Bundeskanzler Kurz verurteilte am Samstag die gewaltsamen Zusammenstöße scharf und erwartet „volle Aufklärung“, wie er betonte. Die freie Meinungsäußerung sowie die damit verbundene Pressefreiheit seien „Grundfreiheiten der EU, zu denen wir uns klar bekennen und die es bedingungslos zu schützen gilt“, so Kurz in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Dem verletzten ORF-Kameramann wünschte der Bundeskanzler eine schnelle Genesung.
Kameramann „regelrecht verprügelt“
Der ORF protestierte am Samstag „auf das Schärfste gegen das gewaltsame Vorgehen der rumänischen Sicherheitskräfte“. Der Kameramann sei „regelrecht verprügelt“, Korrespondent Gelegs „nur knapp dem Hieb eines Polizisten mit dessen Schild“ entkommen und anschließend festgehalten worden.
Polizei geht auf Kamerateam los
ORF-Korrespondent Gelegs schildert die Situation an Ort und Stelle. Während des Berichts wurde auch das österreichische Kamerateam attackiert.
Generaldirektor Alexander Wrabetz wandte sich in einer Aussendung am Samstag „entschieden gegen eine solche Vorgangsweise“, die auch in einer Ausnahmesituation „keinesfalls zu akzeptieren ist“. Das ORF-Team sei „unschwer von den gewalttätigen Demonstranten zu unterscheiden“ gewesen. In einem EU-Land sei „zu erwarten, dass nicht mit brutaler Gewalt gegen Medienvertreter vorgegangen wird“.
Auch der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) verurteilte das Vorgehen der rumänischen Polizei. In einer Protestnote an Rumäniens Innenministerin Carmen Dan forderte der Verband eine Untersuchung des Vorfalls. Der Kameramann sei „regelrecht verprügelt“ worden. „Rumänien ist Mitgliedsland der Europäischen Union und hat daher die Standards der Pressefreiheit in Europa zu achten.“
Wahlloses Vorgehen
Als Vorwand für ihr brutales Vorgehen bei der Großdemo der Auslandsrumänen dienten der rumänischen Polizei einige Dutzend gewaltbereite Personen, die Rede war von Ultras einiger Fußballclubs, die sich unter die friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten gemischt hatten und sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit Sicherheitskräften geliefert hatten. Die Polizei habe jedoch nicht versucht, die wenigen Störenfriede zu isolieren, hieß es, sondern nutzte deren aggressives Verhalten, um gegen Kundgebungsteilnehmende insgesamt brutal vorzugehen.
Opposition verlangt Rücktritt der Innenministerin
Die bürgerliche und liberale Opposition forderte am Samstag den umgehenden Rücktritt von Innenministerin Dan von den Postsozialisten (PSD) und der gesamten Polizeileitung. Die Polizei sei „wie eine Kriegsmaschine“ gegen die überwiegend friedlich demonstrierenden Menschen vorgegangen, nicht wie „Ordnungshüter im Dienste der Bürger“, sagte Liberalen-Chef Ludovic Orban.

Reuters/Inquam Photos/Octav Ganea
Zigtausende Rumänen und Rumäninnen waren aus dem Ausland zur Demo nach Hause gekommen
Die bürgerliche USR forderte die sofortige Offenlegung aller bei dem Polizeieinsatz ergangener Befehle. Klare Worte fand auch der frühere Premierminister und Ex-PSD-Chef Victor Ponta: Der sozialdemokratische Parteichef und Parlamentspräsident „Liviu Dragnea und seine Regierung haben dem eigenen Volk den Krieg erklärt“, ihr Vorgehen sei „abscheulich und kriminell“ gewesen und dürfe nicht ohne Folgen bleiben.
Korruptionsvorwürfe gegen führende Politiker
Die Proteste in Bukarest richteten sich gegen Dragnea und Ministerpräsidentin Vasilica Viorica Dancila - beiden wird Korruption und eine Bevormundung der Justiz vorgeworfen. Viele im Ausland lebende Rumänen und Rumäninnen waren extra für die Demonstration angereist. Sie verlangen den Rücktritt der beiden. An der Kundgebung sollen rund 110.000 Menschen teilgenommen haben. „Wir gehen nicht weg“, „Rücktritt“, „Fort mit der Mafia-Regierung“, „Ohne Straftäter in hohen Ämtern“, „Wir sind das Volk“ und „Wir geben nicht auf“ skandierten sie.
Auch die Polizei bekam Sprechchöre ab: „Ohne Gewalt“ und „Schämt euch, ihr beschützt Diebe“, hieß es wiederholt in Richtung Polizei, die die Teilnehmerzahl in Bukarest geringer als die Veranstalter einschätzte. Auch in mehreren anderen Städten - Sibiu, Cluj, Timisoara, Brasov, Iasi, Oradea, Galatz, Craiova und Constanta - demonstrierten weitere Zehntausende gegen die sozialdemokratische Regierung (PSD).
Angesehene Staatsanwältin abgesetzt
Unmittelbarer Anlass für das Aufflammen der Antiregierungsproteste ist die Entlassung der angesehenen Sonderstaatsanwältin Laura Kövesi Anfang Juli. Sie musste auf Betreiben der Regierung ihren Hut nehmen, der verfassungsrechtlich umstrittene Schritt wurde vom der Regierung nahestehenden Verfassungsgericht gutgeheißen, ein entsprechendes Dekret von Präsident Klaus Iohannis schließlich unterzeichnet - obwohl er sich zuerst gegen die Entlassung gewehrt hatte. Kövesi hatte zahlreiche Politiker der Korruption überführt und ins Gefängnis gebracht.
Wegen Wahlmanipulation vorbestraft ist auch der starke Mann der rumänischen Regierung, Dragnea, als dessen Marionette Dancila gilt. Er selbst kann deswegen derzeit nicht Ministerpräsident werden. Er wurde außerdem in erster Instanz wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch verurteilt.
Präsident kritisiert „brutales Vorgehen“
Staatspräsident Klaus Johannis hatte schon am späten Freitagabend das „brutale Vorgehen“ der Polizei kritisiert. Von Innenministerin Dan forderte er umgehend eine Erklärung zu dem „völlig unverhältnismäßigen Einsatz“ der Sicherheitskräfte gegen die vorwiegend friedlichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Großdemonstration. In einer authentischen Demokratie habe jeder Bürger und jede Bürgerin das Recht zu demonstrieren, der Versuch, „den freien Willen der Menschen durch Polizeigewalt zu brechen“, sei zu verurteilen, so Johannis.
Zur Demo aufgerufen hatten mehrere Verbände von Auslandsrumänen und Auslandsrumäninnen. Seit Tagen waren Zehntausende von ihnen aus ganz Europa, Nordamerika und sogar aus Asien angereist. Laut rumänischer Grenzpolizei passierten allein in den 24 Stunden vor der Demo mehr als 220.000 rumänische Staatsangehörige die Grenzübergangspunkte - viele von ihnen in Autokolonnen, die anschließend während ihrer Durchreise bis nach Bukarest in zahlreichen Städten und Ortschaften mit Jubel begrüßt wurden.
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