Der Betrug mit dem „Produkttest“
Rezensionen gehören fraglos zu den großen Vorteilen des Onlinehandels: Ein Blick auf die Einsternekategorie hat schon viele vor ärgerlichen Fehlkäufen oder schlechten Hotels bewahrt. Dass man sie trotz ihrer Nützlichkeit mit Skepsis betrachten muss, ist aber ebenfalls kein Geheimnis. Sei es auf Amazon, Google, Facebook, TripAdvisor oder in App-Stores: Gefälschte und gekaufte Bewertungen sind nach wie vor ein Problem.
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Wurzel des Übels ist der hohe Stellenwert von Rezensionen: Für die Kundschaft sind sie mittlerweile die wichtigste Kaufhilfe und haben sogar Empfehlungen von Freunden und Familie getoppt, so eine Studie des Digitalverbandes Bitkom. Für Firmen bedeuten bessere Bewertungen nicht nur mehr Umsatz - sie sind mittlerweile notwendig, um in der überwältigenden Flut der Angebote überhaupt auch nur gesehen zu werden.

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Wo essen? Wo schlafen? Was kaufen? Bewertungen wie diese haben großen Einfluss auf unsere Kaufentscheidungen
Doch gefälschte Bewertungen untergraben das System: Zum Schluss steht die irregeführte Kundschaft mit einem mangelhaften Produkt da, und auch für ehrlich agierende Unternehmen kann Bewertungsbetrug ernste Konsequenzen haben. Die Portale müssen sich unterdessen nicht nur sicher sein, dass eine Rezension gefälscht ist, sondern dafür auch noch einen Nachweis haben - und das ist in vielen Fällen schwer bis unmöglich.
Einmal fünf Sterne für 14,95 Euro
Während sich so gut wie alle großen Portale eine „Null Toleranz“-Politik bei gefälschten Bewertungen auf die Fahne heften, machen laut dem deutschen Verbraucherschutz nach wie vor zahlreiche Agenturen ihr Geschäft mit angeblich authentischen Käuferkommentaren. Mehrere deutsche Firmen, die offen gekaufte Bewertungen für alle gängigen Onlineplattformen von Google über TripAdvisor bis hin zu Jobbewertungsportalen wie Kununu anbieten, sind online leicht aufzufinden.
Bei einer der Agenturen schlägt beispielsweise eine nicht verifizierte Fünfsternerezension für ein Produkt auf Amazon mit 14,95 Euro zu Buche. Für zehn Bewertungen muss man bereits 189,95 Euro berappen. Die Firma betont, dass ihr Geschäftsmodell legal ist, weil man auf Produkttesterinnen und -tester zurückgreife und diese „echte und aufrichtige“ Bewertungen liefern würden. Laut einer Recherche des „Spiegel“ orten Juristen zumindest ein Handeln in einem Graubereich, wenn nicht gar wettbewerbsrechtliche Probleme. Außerdem dürfte das Modell den Richtlinien zahlreicher Portale widersprechen.
Handel im digitalen Hinterkämmerchen
Wie mehrere Medien und Initiativen, darunter die „Washington Post“, BuzzFeed News und Data for Democracy, recherchiert haben, gibt es aber auch abseits der Agenturen ein verschlungenes und weitaus informelleres Netzwerk für gefakte Onlinebewertungen. Dieses arbeitet unter anderem in privaten Facebook-Gruppen, auf Reddit-Boards und in privaten Chatrooms. Auch über Fiverr, einem Portal zur Vermittlung von „Microjobs“, bieten zahllose „Produkttester“ ihre Dienste an.

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Mit kurzen Postings, hier auf Reddit, werden Aufträge für gefälschte Bewertungen angeboten
Das Prozedere dürfte grosso modo auf allen Plattformen ähnlich ablaufen: Wer eine gefälschte Bewertung für ein Portal kaufen möchte, postet ein Angebot zum „Produkttest“ in die entsprechende Gruppe. „Tester“ melden sich, bestellen das Produkt tatsächlich mit ihrem eigenen Account und hinterlassen ungeachtet der tatsächlichen Qualität eine gute Bewertung. Der Bewertungskäufer soll im Anschluss den Kaufpreis des Produktes und eine kleine Aufwandsentschädigung überweisen. Der Testende kann das Produkt behalten und weiterverkaufen.
„No Name“-Technik als Problemkategorie
Gefälschte Bewertungen scheinen vor allem bei austauschbarer Billigware und bestimmten Produktkategorien ein Problem zu sein - stark betroffen sind etwa „No Name“-Technikprodukte, die oftmals von chinesischen Händlern zu stammen scheinen. Laut der Analyseseite ReviewMeta, die verdächtige Rezensionen von echten trennt, stammt derzeit die Mehrheit der am dubiosesten bewerteten Produkte aus der Kategorie Technik.

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Adapter, Kabel, Kopfhörer, Schutzfolien - unter anderem bei billigen Technikartikeln ist Skepsis angebracht
Laut von der „Washington Post“ zitierten Experten habe sich das Problem verschlimmert, seitdem Amazon aktiv darum wirbt, dass ausländische Handelstreibende ihre Produkte auf der Plattform verkaufen - Probleme dürfte es dabei vor allem mit China geben. Schwarze Schafe aus diesem Segment würden versuchen, sich mit Billigpreisen und gefälschten Rezensionen gegen bekannte Marken und aufrichtige Mitbewerber durchzusetzen.
Denn: Bewertungen beeinflussen nicht nur die Kundenmeinung, sondern auch, welche Produkte, Hotels, Restaurants oder Anbieter Usern überhaupt angezeigt werden - und nur was ganz vorne gereiht wird, verkauft sich auch. Besonders zu kämpfen haben mit solchen Methoden Opfer von Plagiarismus. Die Kopien würden mit gefälschten Bewertungen nach oben gepusht, während das Original in den hinteren Rängen verschwindet. In diversen Foren klagen Nutzerinnen und Nutzer teils über regelrechte Kampagnen.
Portale betonen „Null Toleranz“-Politik
Amazon betont - wie alle anderen großen Bewertungsportale - immer wieder seine „Null Toleranz“-Politik gegenüber gefälschten Bewertungen. „Alle Versuche, Community-Inhalte oder Funktionen zu manipulieren, einschließlich falsche, irreführende oder unechte Beiträge, sind streng verboten“, schreibt der Konzern in seinen Richtlinien, demzufolge ein Prozent der Bewertungen in den vergangenen Monaten „nicht authentisch“ waren.
„Wir schützen die Glaubwürdigkeit der Bewertungen durch sehr strikte Maßnahmen“, so Amazon gegenüber ORF.at. Man gehe strikt gegen unseriöse Rezensenten und Verkäufer vor, indem man gegen die Richtlinien verstoßende Bewertungen entferne. Auch Maßnahmen wie eine vorübergehende Sperre, einen dauerhaften Ausschluss oder rechtliche Schritte seien möglich. Man habe Hunderttausende von Kundinnen und Kunden gesperrt und bereits Klagen gegen über 1.000 „unseriöse Akteure wegen Missbrauchs von Bewertungen“ eingeleitet. Man investiere zudem intensiv in maschinelles Lernen und automatisierte Systeme, um der Problematik zu begegnen.
Fake-Restaurant blamierte TripAdvisor
Ähnliche Maßnahmen und betonte Anstrengung im Kampf gegen gefälschte Bewertungen gibt es auch andernorts. Facebook und Google verweisen darauf, dass falsche Kommentare und Scams gemeldet werden können. Allerdings sind die Hilfsseiten der Portale voll von Usern, die sich über mangelndes Engagement beim Löschen beschweren. Auch TripAdvisor betont „maßgebliche Investitionen, welche die Integrität unserer Bewertungen bewahren“. Das Portal geriet aber 2017 in die Kritik, nachdem gefälschte Bewertungen ein fiktives Restaurant an die Spitze der Charts für Restaurants in London brachte.
Hausverstand und Algorithmen als Abhilfe
Doch wie erkennt man nun als Käuferin oder Käufer gefälschte Reviews? Zum einen hilft es, Bewertungen mit gesundem Hausverstand und kritischem Blick zu lesen. Skepsis ist unter anderem bei sehr kurzen, sehr überschwänglichen (bzw. dramatisch schlechten) und grammatikalisch dubiosen Kritiken angebracht. Allerdings gilt: Auch viele Fake-Reviews werden in "Handarbeit“ gefertigt, sind oft sehr ausführlich und mit eigens angefertigten Fotos oder gar Videos aufgepeppt.

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Nach einem Check auf ReviewMeta rutschte die Bewertung für dieses Produkt von 4,3 auf 1,0
Um sich einen Überblick über die Echtheit zu verschaffen, gibt es aber auch technische Hilfsmittel: Seiten wie Fakespot oder das bereits erwähnte ReviewMeta lesen die Bewertungen, filtern „unnatürliche“ Rezensionen heraus und berechnen daraus einen neuen Durchschnitt. ReviewMeta etwa analysiert dazu unter anderem die Textstruktur, wie viele Bewertungen des Produktes bereits von Amazon gelöscht wurden, und ob besonders viele Kritiken zu einem ähnlichen Zeitpunkt veröffentlicht wurden. Das bedeutet nicht, dass trennscharf gefälschte Reviews erkannt werden - viel mehr sei ReviewMeta „als Ergänzung“ zu den Rezensionen zu nutzen. Eine Orientierung im Bewertungsdschungel bieten die Seiten auf jeden Fall.
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