Mit Meg Stuart ist bei ImPulsTanz auch heuer wieder eine Veteranin am Start – und so vielbeschäftigt wie wahrscheinlich noch nie: Sie ist Mentorin des Stipendiatenprogramms, hält zwei Workshops, experimentiert mit ihrem Kollegen Mark Tompkins im Improlabor und zeigt obendrein zwei choreografierte Stücke – neben „Solos and Duets“ auch ihr Meisterwerk „Blessed“.
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Es kommt einem in diesem Sommer ein wenig bekannt vor: zuerst ein paar Tropfen, dann leichter Nieselregen und schließlich Unmengen an Wasser, die vom Himmel strömen. Doch während der Regen draußen auf der Straße noch immer irgendwann aufgehört hat, geht es im Tanzklassiker „Blessed“ tatsächlich ans Existenzielle. Denn die Sprinkleranlage lässt da so einiges einstürzen, was wir in der Wohlstandsgesellschaft gerne als gegeben angenommen hätten.
AnjaBeutler
Choreografin Stuart: „Blessed“ sei ein Stück, das „gut gealtert ist“
Die Starchoreografin hat „Blessed“ erstmals 2007 auf die Bühne gebracht, heuer macht sie damit auf dem ImPulsTanz-Festival Station. Es sei ein Stück, „das gut gealtert ist“, wie sie im Interview mit ORF.at sagt. Damals, da hatte Hurricane Katrina gerade das, wie sie dachte, „solide und unzerstörbare“ New Orleans zugrunde gerichtet – die Stadt, in der Stuart aufgewachsen war. „Die Situation ist nicht besser geworden, und die Natur antwortet auf die menschliche Gier“, sagt die heute in Berlin lebende 53-jährige Choreografin mit Blick auf die Klimapolitik ihres Herkunftslandes.
Robinson Crusoe im Papp-Paradies
Eine Palme, eine Hütte und ein überdimensionierter Schwan: Ein Held im weißen Anzug streift als glücklicher Robinson Crusoe durch sein kleines Pappendeckel-Paradies – bis sich der Dauerregen nicht mehr ignorieren lässt, bis auch sein letzter Rettungsversuch scheitert und er, dargestellt vom Performer Francisco Camacho, nackt und zitternd im Matsch liegt, zwischen den aufgeweichten Kartons, die einmal seine Welt waren.
Dann taucht plötzlich eine Samba-Queen mit schillerndem Federschmuck und knöchelhohen Plateauschuhen auf und tanzt sich einen weg, als gäbe es kein Gestern und kein Morgen. Und noch etwas später bringt jemand ein paar Requisiten vorbei und unser Held, der unendlich anpassungsfähige, resiliente Mensch, erhebt sich wieder.
Tanz als „konstruktiver Punk“
„’Blessed’ ist ein Stück über die Hoffnung, über die Frage, woran man noch glauben kann, und das kontinuierliche Überleben in radikalen Zuständen“, sagt Stuart. Wie so oft in ihrem Werk geht es um die Verletzlichkeit und tiefe Verletzbarkeit des Menschen. Darum, dass der Weg von der schieren Verzweiflung bis zur freudigen Ektase kein weiter ist. Wie sich Stimmungen, Dynamiken und Perspektiven abrupt ändern können – und etwa der Berg aus Matsch plötzlich zur Kulisse der eigenen Erhabenheit wird.
Meg Stuart bei ImPulsTanz:
„Solos and Duets“ ist am 31. Juli um 21.00 Uhr und am 1. August um jeweils 19.00 und 23.00 Uhr im Wiener Odeon Theater zu sehen.
„Blessed“ wird am 8. und 9. August um jeweils 21.00 Uhr sowie am 10. August um 22.30 Uhr im Wiener Museumsquartier (MQ) Halle G gezeigt.
Stuart gilt als „Erfinderin des psychosomatischen Tanzes“, als Expertin für traumatisierte Körper, als jemand, der emotionale Grenzen auslotet: Ihr Tanz wirkt mal unendlich zärtlich, dann wieder so, als wäre es wilder, räudiger „Punk“, wie sie früher auch einmal selbst gesagt hat. Auf solche und andere Zuschreibungen will sie sich inzwischen aber nicht mehr einlassen: „Ich arbeite mit physischen und psychischen Zuständen, nutze den Körper als Medium für Energien, die nicht die eigenen sind“, erklärt Stuart knapp. Vielleicht aber, so fügt sie hinzu, sei es nicht die Zerstörung, sondern der „konstruktive Punk“, für den sie sich interessiere.
Goldener Löwe für Lebenswerk
Vor gut einem Monat hat Stuart den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale für ihr Lebenswerk entgegengenommen. „Stolz und dankbar“ sei sie, die Ehrung lasse sie aber auch nachdenken, was der Begriff „Lebenswerk“ eigentlich bedeutet. Den Grundstein dazu hat sie vor gut 25 Jahren gelegt, als sie von New York nach Brüssel ging und dort „Disfigure Study“ zeigte, indem sie drei Körper schmerzlich und ins Groteske verdrehte und damit für viele das Stück zur Aids-Krise lieferte.
Es folgten, meistens gemeinsam mit der 1994 gegründeten Kompanie Damaged Goods, insgesamt 30 weitere Stücke – als Residenzchoreografin von Christoph Marthaler am Schauspielhaus Zürich, bei ihrer Station an Frank Castorfs Volksbühne in Berlin und auch heute in Kooperation mit dem Berliner HAU. Drei Bindungen an Theaterhäuser also – was für eine zeitgenössische Tanzchoreografin mehr als ungewöhnlich ist.
Nähe zum Theater
Die Nähe zum Theater, sie besteht bei Stuart aber nicht nur räumlich, sondern auch formal. Im Gegensatz zur reduzierten Abstraktion der Anfangszeit ist sie mittlerweile für ihre Grenzgänge zwischen den Genres bekannt - mit spektakulären Bühnenbildern wie einer Riesentrommel, die die gebeutelten Performerinnen und Performern auch buchstäblich ins Schleudern brachte.
AnjaBeutler
In ihren Performances zeigt Stuart den Körper als zitterndes, taumelndes, sich in der Ekstase verlierendes, herumkullerndes Medium
Oder einer Showtreppe, auf der sie Supermänner und –frauen auftanzen ließ, die sich dort bis ins Monströse entblößten. Bei aller Theatralik sind Stuarts Performer dann aber doch weniger Charaktere als „Container“: Der Körper als zitterndes, taumelndes, sich in der Ekstase verlierendes, herumkullerndes Medium, das sich mit anderen ineinander verkeilt.
„Solos and Duets“
Wer Einblick in Stuarts verstörend-schönen Kosmos bekommen will, der kann sich bei ImPulsTanz auch an „Solos und Duets“ halten. Die Wiener Uraufführung ist nicht mehr und nicht weniger als ein Streifzug durch mehr als 20 Jahre Schaffenszeit, darunter „Signs of Affection“ (2010), „Inflamavel“ (2016) genauso wie Ausschnitte aus abendfüllenden Produktionen wie „Built to last"(2012) und "Until Our Hearts Stop (2015)“. „Ein Tanzkonzert“, meint Stuart, „über Beziehungen und Abhängigkeit. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie die Arbeiten miteinander korrespondieren.“