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Telefonieren, fliegen, Fußball spielen

Jahrzehntelange Feindschaft hat Äthiopien und Eritrea geprägt. Am 9. Juli unterzeichneten der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed und Eritreas Präsident Isayas Afewerki einen Friedens- und Freundschaftsvertrag. Innerhalb weniger Tage ging es danach Schlag auf Schlag beim Aufbau von Kontakten und Kommunikation zwischen zwei Nachbarstaaten.

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Telefon- und Flugverbindungen sowie diplomatische Beziehungen wurden wieder aufgenommen, die jeweiligen Botschaften in den beiden Hauptstädten eröffnet. Familienmitglieder telefonierten wieder miteinander, nachdem sie jahrelang nicht voneinander gehört hatten. Für Ende August ist ein Freundschaftsspiel der Fußballnationalteams geplant.

Auf dem ersten Flug zwischen Eritrea und Äthiopien seit zwei Jahrzehnten machen Passagiere ein Selfie

APA/AFP/Maheder Haileselassie Tadese

Im Juli fand wieder ein Flug zwischen Äthiopien und Eritrea statt

Die Initiative für die Annäherung der Nachbarn ging von Äthiopiens Regierungschef Abiy aus. Und Afewerki ging auf den Vorstoß ein. Der Deal: Äthiopien tritt ein umstrittenes Grenzgebiet an Eritrea ab - ohne wirtschaftliche Bedingung. Dafür erhält Addis-Abeba Zugang zum Roten Meer. Beobachter vermuten auch, dass Afewerki auf Investitionen und Finanzhilfe angewiesen ist und er sich dadurch für den Friedensschluss einsetzte, berichtete etwa die BBC. Abiy sieht die BBC jedenfalls schon als möglichen Kandidaten für den Nobelpreis.

Partei der Tigray als gemeinsamer Feind

Hinter dem Tauwetter der beiden Nachbarstaaten stehen aber auch innenpolitische Gründe in Äthiopien. Abiy und Afewerki teilen einen gemeinsamen Feind, analysierte „Foreign Policy“. Fast drei Jahrzehnte dominierte die Tigrayan People’s Liberation Front (TPLF) das Land und das aus vier Parteien bestehende Regierungsbündnis, die Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (EPRDF). Die Volksgruppe der Tigray stellen in Äthiopien eine Minderheit - sechs Prozent der Bevölkerung. Das Militär und auch die Wirtschaft ist aber von ihren Vertretern beherrscht.

Nach Unruhen und Widerstand der größten Volksgruppen, der Oromo und der Amhara, zog sich der damalige Regierungschef Hailemariam Desalegn zurück, im April wurde Abiy, ein Vertreter der Oromo, zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Er will sein Land auf Reformkurs bringen. Politische Gefangene wurden befreit, die Pressefreiheit gestärkt, Staatsbetriebe privatisiert, und auch der Friedensschluss mit Eritrea stand auf seiner Agenda.

Karte zeigt Äthiopien und Eritrea

APA/ORF.at

Stolpersteine für den Reformprozess könnten von der alten Garde der TPLF kommen. Sie gelten als Haupthindernis für Reformen, profitieren ihre Anhänger doch von Geschäften mit staatsnahen Betrieben und jahrelang aufgebauten Netzwerken. Der Großteil des Militärs bis in die höchsten Ebenen ist von Vertretern der Tigray besetzt.

„Noch können sie alles ruinieren“

Abiy begann bereits, erste hochrangige Militärs und Vertreter der Tigray zu entlassen. Doch er kann nicht von heute auf morgen das gesamte Personal austauschen. Abiys Reformen seien ein „Blitzkrieg-Ansatz“, um die TPFL zu überzeugen, dass sie die neue Realität akzeptieren müsse, analysierte Bronwyn Bruton von der Denkfabrik Atlantic Council gegenüber der dpa. Doch die TPFL-Hardliner seien nicht neutralisiert: „Noch können sie alles ruinieren.“

Jahrzehntelanger Krieg

Nach fast drei Jahrzehnten Krieg spaltete sich Eritrea 1993 von Äthiopien ab. Nur fünf Jahre danach brach erneut ein Krieg zwischen den beiden Staaten aus. Zehntausende Menschen starben zwischen 1998 und 2000. Der Krieg wurde mit dem Abkommen von Algier beendet. Ein kalter, immer wieder aufflammender Grenzkonflikt ist geblieben.

Der Kampf gegen die TPFL eint jedenfalls den neuen äthiopischen Regierungschef mit Eritrea. Afewerki, selbst ethnischer Tigray, kämpfte einst gemeinsam mit dem TPFL gegen die kommunistische Militärjunta Derg. Dieses Bündnis ging aber im Laufe des langjährigen Grenzkonflikts der beiden Staaten in die Brüche. Entsprechend offen zeigte sich Afewerki über einen neuen Verbündeten gegen die TPFL.

Ihre Netzwerke stellen für den Reformprozess, vor allem aber auch für den Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien eine Bedrohung dar. Abiys Öffnung Richtung Eritrea und die Entlassung hochrangiger Generäle provozieren die TPFL. „Foreign Policy“ warnt etwa vor dem Risiko eines Militärputschs und dem neuerlichen Ausbruch eines Bürgerkriegs, wenn der Reformweg misslingt. Erst im Juni entging Abiy einem gegen ihn gerichteten Anschlag.

Zahlreiche Details noch unklar

Ein Unsicherheitsfaktor sind auch die Tausenden Soldaten, die an der Grenze zu Eritrea im Einsatz waren und nun anderweitig beschäftigt werden müssen. Der nach wie vor starke Einfluss der Tigray auf das Militär stellt auch für Eritrea ein Risiko dar, ist doch unklar, ob Abiy den Rückzug von der Grenze durchsetzen kann. Eritrea zog staatlichen Medienberichten zufolge seine Truppen von der Grenze zu Äthiopien bereits ab. Bruton von Atlantic Council zeigt sich über das hohe Tempo bei der Annäherung besorgt. Zahlreiche Details seien noch nicht geklärt.

Schlüsselübergabe zwischen dem äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed und Eritreas Präsident Isaias Afwerki

APA/AFP/Michael Tewelde

Abiy (li.) bei der Eröffnung der eritreischen Botschaft in Addis-Abeba

Unklar ist, wie sich die neuen nachbarschaftlichen Beziehungen auf das kleinere Nachbarland Eritrea, das immer wieder als „Nordkorea Afrikas“ bezeichnet wird, auswirken. Das stark isolierte Land zählt zu den ärmsten der Welt. Im Ranking des Human Development Index, der auch Faktoren wie Sterblichkeit und Bildung berücksichtigt, liegt das Land auf Platz 179 von 188. Offizielle Zahlen von der Regierung gibt es nicht. Die Menschenrechtslage sei „katastrophal“, so Human Rights Watch. Es gebe keine Verfassung, keine Gesetzgebung, keine unabhängige Justiz.

Nationaler Dienst trägt Wirtschaft

Das Regime Afewerkis, der selbst im Guerillakrieg gegen Äthiopien in den 80er Jahren beteiligt war, ist stark militarisiert. Es gibt einen verpflichtenden Nationalen Dienst, der unbegrenzt beim Militär oder als Arbeitsdienst etwa in Bergwerken geleistet werden muss. Nahezu die gesamte Bevölkerung kann eingezogen werden: Frauen und Männer, Minderjährige sowie Eritreer und Eritreerinnen bis zu ihrem 70. Lebensjahr.

Afewerki begründete diesen Zwangsdienst und das repressive Regime bisher mit dem Grenzkonflikt mit Äthiopien. Dieses Argument fällt nun weg. Doch sei dieser Nationale Dienst das Rückgrat der Wirtschaft, sagte Bruton: Jegliche Jobs - vom Lehrer bis zum Kellner - würden von Wehrpflichtigen ausgeführt: „Es ist nicht so leicht, eine Wirtschaft komplett neu zu erfinden.“ Auch zahlreiche Oppositionelle zweifeln, dass sich mit dem Friedensschluss nun Afewerkis Regime ändern wird oder er seinen Posten frei macht.

Konsequenzen für Europa?

Anzeichen für eine stärkere Öffnung und Liberalisierung des Landes gibt es bisher nicht. Perspektivenlosigkeit, der willkürliche Nationale Dienst, Unsicherheit treiben jedes Jahr Zehntausende Eritreer in die Flucht. Im vergangenen Jahr erhielten laut Eurostat insgesamt rund 25.400 Eritreer in den 28 EU-Staaten einen positiven Asylbescheid.

Nach dem Friedensabkommen wurden etwa in der Schweiz, einem der wichtigsten Aufnahmeländer für Eritreer, schon erste Stimmen laut, die Aufnahmebewilligungen von Eritreern nun zu überdenken. Für die EU könnte nun auch mit Eritrea eine „Migrationspartnerschaft“ mit Rückübernahmeabkommen eine Option sein. Die Frage ist aber, ob der Frieden zwischen und innerhalb der beiden Länder von Bestand ist.

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