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In Zukunft strenge Kontrollen nötig

Sobald fremdes Erbgut in den Bauplan eines Organismus eingefügt wird, zählt dieses laut EU-Recht eindeutig als gentechnisch verändert. Moderne Gentechnikverfahren wie die „Genschere“ CRISPR/Cas können die DNA von Pflanzen, Tieren oder Menschen aber rasch und präzise manipulieren, ohne dabei fremde DNA einzusetzen. Dass derartig behandelte Pflanzensorten trotzdem als gentechnisch verändert gelten, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch in einem richtungsweisenden Urteil entschieden.

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Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Risiken für Mensch und Umwelt durch die neuen Verfahren derzeit nicht absehbar seien. Die potenziellen Gefahren seien „vergleichbar“ mit denen älterer Methoden, die bereits unter strengen Auflagen stehen, so das Gericht. Mit Mutagenesetechnologien - also ohne Fremd-DNA - manipulierte Pflanzensorten gelten somit in Zukunft als „gentechnisch veränderte Organismen“ (GVO).

Sicherheitsprüfungen und Kennzeichnung

Damit fallen mit solchen Methoden manipulierte Pflanzen auch unter das geltende EU-Recht für „gentechnisch veränderte Organismen“. Diese unterliegen strengen Vorschriften: Unter anderem müssen Hersteller vor ihrer Zulassung prüfen, ob ihre Produkte eine Gefahr für die Gesundheit oder die Umwelt darstellen. Sie müssen zudem im Handel gekennzeichnet sein. Die strengen Auflagen werden einen breiten Einsatz der Methode wohl blockieren.

Ausgangspunkt des von französischen Landwirtschaftsverbänden angestoßenen Prozesses war, dass bisher einige Methoden von den GVO-Regeln ausgenommen waren, sofern bei diesen etwa kein fremdes Genmaterial verwendet wird. Darunter fallen etwa Genmanipulationen mit Chemikalien und radioaktivem Material. Nun ging es darum, ob neue Methoden wie eben etwa CRISPR/Cas ebenfalls von diesen Ausnahmen profitieren können.

Gezieltes Schneiden von Erbgut

Die „Genschere“ CRISPR/Cas ist ein Verfahren zur Genomchirurgie (Genome Editing), mit denen Teile des Erbguts gezielt geschnitten und verändert werden können. Die Methode gilt als besonders günstig, schnell und präzise und könnte die Züchtung von Pflanzen und Tieren mit bestimmten erwünschten Eigenschaften deutlich beschleunigen. Zudem seien Manipulationen nicht mehr zu sehr dem Zufall überlassen. Die Methode gilt als Meilenstein in der Forschung.

Das Verfahren besteht aus mehreren Stufen: Zuerst muss im Genom die richtige Stelle gefunden und angesteuert werden. Anschließend schneidet ein Protein die DNA an dieser Stelle durch, und die Zelle repariert sie anschließend wieder. Dabei können einzelne DNA-Bausteine ausgetauscht, gelöscht oder zugefügt werden. Auf diese Weise entsteht die Mutation.

Ergebnis oft „naturident“

Hinter dem Urteil von Mittwoch stand nun die Streitfrage, ob moderne Verfahren zur Genomchirurgie unter die derzeit geltenden Regeln für die Verwendung von genetisch veränderten Organismen fallen oder nicht. Denn als die aktuellen Gesetze zur Gentechnik beschlossen wurden, gab es moderne Verfahren wie CRISPR/Cas noch nicht.

Die durch diese Methode herbeigeführten Änderungen sind in manchen Fällen so klein, dass sie von einer natürlichen Mutation nicht unterscheidbar sind und auch durch Kreuzungen erreichbar wäre - formell spricht von von „naturident“. Damit stellt sich freilich auch die Frage, wie man Manipulationen durch die „Genschere“ in Zukunft nachweisen will.

Kein „Einschleusen“ von Erbgut

Auf dieser Basis argumentierten jedenfalls auch jene, die gegen eine Einstufung der „Genschere“ als Gentechnik sind. Ihr Argument: Es handle sich nur um Gentechnik, wenn fremde Gene in Erbgut eingeschleust werden. Da mit der Genschere allerdings das bestehende Erbgut manipuliert wird, sei das nicht der Fall. Was zählt, sei nicht die Methode, sondern das Ergebnis.

Das hätte allerdings auch bedeutet, dass mit der Genschere manipulierte Lebensmittel nicht kennzeichnungspflichtig wären und ungekennzeichnet ihren Weg in die Supermärkte gefunden hätten. Greenpeace etwa hatte zudem davor gewarnt, dass es für diese Pflanzen keine umfassende individuelle Risikobewertung mehr gäbe.

Kritikerinnen und Kritiker verweisen zudem darauf, dass die Folgen der Genmanipulation derzeit noch nicht genügend erforscht und absehbar wären. Sie warnten vor „Supersaatgut“ von Saatgutriesen, das gegen bestimmte Pflanzenvernichtungsmittel resistent ist und damit sensible Ökosysteme empfindlich stören könnten.

Unternehmen in den Startlöchern

Das Urteil ist eine Überraschung, da der EuGH-Generalanwalt zuvor empfohlen hatte, die Technologie von den scharfen EU-Regeln auszunehmen. Die Einschätzung war aber nicht bindend.

Weltweit arbeiten zahllose Labors an Pflanzen, deren Erbgut mit CRISPR/Cas verändert wurde. Es geht etwa darum, Pflanzen gegen Krankheiten resistent zu machen oder ihre Lagerfähigkeit zu verbessern. Noch gibt es in der EU keine entsprechenden Produkte, doch viele Unternehmen stünden bereits in den Startlöchern. In den USA wird derzeit eine mit CRISPR/Cas behandelte Weizensorte getestet, eine ebenfalls behandelte Sojasorte befindet sich bereits im Einsatz.

Gemischtes Echo zu Entscheidung

Seitens des zuständigen Landwirstchaftsministeriums hieß es gegenüber ORF.at, dass man das Urteil zur Kenntnis nehme und es mit seinen Auswirkungen in den kommenden Tagen prüfen werde. Aus österreichischer Sicht sehe man derzeit keinen Handlungsbedarf, da die aktuelle Gesetzgebung in Österreich sehr streng sei. Problematisch sei allerdings, dass Gentechnik in anderen Mitgliedsstaaten erlaubt ist und damit keine europaweit einheitlichen Regeln gelten. Das Gesundheitsministerium sah die österreichischen Regelungen durch das Urteil gestärkt. Man hoffe, dass sich auch andere EU-Staaten der Rechtslage angleichen.

Saatgut Austria kritisierte die Entscheidung scharf. Obmann Michael Gohn ortete eine undifferenzierte sowie intransparente Einstufung: Eine pauschale Unterwerfung der neuen Züchtungsmethoden unter die GVO-Richtlinie sei „unwissenschaftlich und in der Sache falsch“. Die Anwendung des Gentechnikrechts sollte sich aus der Methode und der Art der Veränderung in der Pflanze ergeben. Das Urteil führe dazu, dass die Methoden dank kostenintensiver Zulassung kleinen und mittelständischen Firmen nicht zur Verfügung stünden, und diese damit im internationalen Wettbewerb quasi chancenlos seien.

Umweltschützer erleichtert

Umweltschutz-NGOs reagierten hingegen erleichtert auf die Entscheidung: Ein „klares Bekenntnis zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit“ ortete Global-2000-Gentechniksprecherin Heidemarie Porstner. Greenpeace fordert jetzt eine rasche europaweite Umsetzung des Urteils. Arche Noah weist darauf hin, dass jetzt die Politik am Zug sei, um Interpretationsspielräume zu schließen. Die Arbeiterkammer Wien sah ein „starkes Signal für die Informationsrechte der Konsumentinnen und Konsumenten“.

Karin Kadenbach, umweltpolitische Sprecherin der SPÖ im Europaparlament, begrüßte das Urteil: „Es liegt jetzt an der EU-Kommission, dieses Urteil umfassend anzuwenden und auch wirklich alle dieser Verfahren den strengsten Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten zu unterwerfen.“

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