600 Flüge gestrichen
Höhere Kosten, niedrigere Ticketpreise, Personalengpässe, der bevorstehende „Brexit“ und nun der größte Streik in der Geschichte von Ryanair - die irische Billigfluglinie gerät zunehmend unter Druck.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Schon länger sorgen die Arbeitsbedingungen bei Ryanair für Aufregung bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - nun sollen in der Hauptreisezeit weitere Signale folgen. Bereits zum dritten Mal innerhalb von zwei Wochen wollen die irischen Piloten und Pilotinnen am Dienstag ganztägig ihre Arbeit niederlegen. Auch das Kabinenpersonal kündigte Proteste an. Am Mittwoch und Donnerstag streiken Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter in Belgien, Portugal und Spanien.

Reuters/Stefano Rellandin
Wegen eines Streiks des Kabinenpersonals hat Ryanair für Mittwoch und Donnerstag mehr als 600 Flüge gestrichen
Österreich nicht unmittelbar betroffen
Ryanair steht somit vor den größten Streiks der Firmengeschichte, 600 Flüge wurden bereits vorsorglich abgesagt. Auch wenn Österreich und die Ryanair-Tochter Laudamotion von den Streiks nicht unmittelbar betroffen sind, werden sich diese aufgrund von Ausfällen und Verspätungen auf den gesamteuropäischen Flugverkehr auswirken. Welche Flughäfen betroffenen sind, teilte die Airline nicht mit. Die rund 100.000 betroffenen Passagiere seien aber bereits informiert, hieß es auf der Facebook-Seite des Unternehmens.
Faire Arbeitsverträge gefordert
Hinter den Streiks stehen vor allem die Gewerkschaften, die von Ryanair erst voriges Jahr unter dem Druck wachsender Personalknappheit in der Branche anerkannt wurden. Und die Liste der Forderungen ist lang: faire existenzsichernde Gehälter, ein verbessertes Krankengeld und Arbeitsverträge, die sich an örtlichem und nicht an irischem Recht orientieren. Vertreter und Vertreterinnen des Kabinenpersonals beklagen zudem die Arbeitsbedingungen bei Ryanair. So müssten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen trotz Krankheit erscheinen, um schriftlich ihre Krankheitssymptome darzulegen.
„Um in Spanien medizinische Betreuung in Anspruch nehmen zu können, muss ich meine EU-Krankenversicherungskarte verwenden, da Ryanair hier keine Sozialabgaben zahlt. Wer öfter als zweimal im Jahr krank ist, muss außerdem mit einem Disziplinarverfahren rechnen. Und wenn wir nicht genug an Bord verkaufen, droht man uns, dass die Crew nach Litauen versetzt wird“, sagte ein Mitglied von SITCPLA - der spanischen Kabinenpersonalvertretung gegenüber der „Financial Times“.

Reuters/Clodagh Kilcoyne
Es sind die umfangreichsten Arbeitsniederlegungen in der Geschichte von Ryanair - und es dürften mehr werden
Streikwelle könnte Jobs kosten
Ryanair hat bereits in mehreren Ländern mit verschiedenen Beschäftigtengruppen Verhandlungen begonnen. Die meisten Tarifgespräche laufen aber zäh, da es über die Rechtsgrundlage grundlegende Meinungsverschiedenheiten gibt - also ob irisches oder das jeweils nationale Recht zugrunde liegt.
Sollte es zu keiner Einigung und zu weiteren Streiks kommen, erwäge man, Flugzeuge von einigen Märkten abzuziehen, was in weiterer Folge zum Verlust von Arbeitsplätzen führen könne, sagte Ryanair-Chef Michael O’Leary. Er rechnet mit weiteren Streiks in der Sommerhochsaison und signalisierte wenig Entgegenkommen.
„Wir sind nicht bereit, unangemessenen Forderungen nachzugeben, die entweder unsere niedrigen Tarife oder unser hocheffizientes Modell gefährden werden“, sagte O’Leary. Ryanair war mit knapp 129 Millionen Passagieren und Passagierinnen vergangenes Jahr die am stärksten gebuchte Fluglinie Europas.
Massenhafte Verspätungen und Flugstreichungen
Doch nicht nur das fliegende Personal, sondern auch das Bodenpersonal streikt. „Das Jahr 2018 entwickelt sich zu einem der schlimmsten Jahre für Fluglotsenstreiks in Europa. In Verbindung mit Personalengpässen bei der Flugverkehrskontrolle führt das bei allen Fluggesellschaften zu massenhaften Verspätungen sowie Flugstreichungen“, sagte Ryanair-Sprecher Ryanair, Robin Kiely. Elf Prozent der Verspätungen der täglichen 2.400 Ryanair-Flüge sind auf Personalengpässe bei französischen, deutschen, spanischen und griechischen Fluglotsen zurückzuführen.
Zusammen mit British Airways und easyJet will Ryanair nun eine Klage bei der Europäischen Kommission gegen die „ungerechtfertigten Verzögerungen“ einbringen. Die EU-Kommission müsste genauso wie nationale Regierungen auf die Engpässe und Streiks der Fluglotsen reagieren. Grundlage der Klage ist die Verletzung des EU-Grundrechts des freien Personenverkehrs.
Aktien- und Gewinnverluste für Ryanair
Doch nicht nur Streiks machen dem Billigflieger zu schaffen. Auch höhere Kosten für Kerosin und eine bessere Bezahlung der Piloten und Pilotinnen haben den Gewinn von Ryanair einbrechen lassen. Im ersten Quartal seines Geschäftsjahrs von April bis Juni sank der Nettogewinn um 22 Prozent im Vorjahresvergleich auf 309,2 Mio. Euro, wie Ryanair am Montag mitteilte. Zudem wirkt sich das ungewöhnlich heiße Wetter in Nordeuropa auf den Ticketverkauf negativ aus. Die Gewinnprognose für das Gesamtjahr hielt die Airline dennoch aufrecht – trotz Streiks und des bevorstehenden „Brexits“.

Grafik: ORF.at; Quelle: Financial Times/Ryanair
150 Millionen Euro im Minus
O’Leary bekräftigte zwar die Ziele für das laufende Geschäftsjahr, machte diese aber auch von Ticketpreisen und Streiks abhängig. So sei der Rückgang bei den durchschnittlichen Ticketpreisen im ersten Quartal etwas geringer als erwartet ausgefallen. Jedoch werde im wichtigen Sommerquartal jetzt nur noch mit einem Anstieg von einem anstatt von vier Prozent gerechnet. Der Ausblick kam an der Börse nicht gut an. Die Ryanair-Aktie lag am Montagvormittag rund fünf Prozent im Minus.
Die österreichische Niki-Nachfolgeairline Laudamotion, an der Ryanair mit 75 Prozent Mehrheitseigentümer ist, dürfte indes auf einen Jahresverlust von 150 Millionen Euro kommen. Bisher hatte Ryanair nur 100 Millionen Euro veranschlagt. „Ich würde davon ausgehen, dass sie zum Ende des dritten Jahres Gewinn schreiben“, sagte Ryanair-Finanzchef Neil Sorohan zu Reuters.
Vorerst dürfte Ryanair allerdings damit beschäftigt sein, eine Einigung mit den Gewerkschaften zu finden, das Fluglotsenproblem in den Griff zu bekommen und die Kosten trotz allem niedrig zu halten.
Links