Hoffen auf misslungene Experimente
Die Synthese eines neuen Farbpigments ist potenziell ein Milliardengeschäft. Derzeit wird intensiv an farbgebenden Substanzen geforscht, die ein Superrot erzeugen können. Die Hoffnung ruht auf dem 2009 entdeckten YInMn-Blau - und dem Faktor Zufall, der bei der Entdeckung neuer Pigmente schon immer eine bedeutende Rolle gespielt hat.
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Anfang des 18. Jahrhunderts wollte der deutsche Chemiker Johann Jacob Diesbach einen roten Florentiner Lack erzeugen. Als Ausgangsstoff dienten ihm Cochenilleschildläuse, aus denen sich der rote Farbstoff Karminsäure gewinnen lässt. Die getrockneten Insekten behandelte Diesbach, vereinfacht gesagt, zunächst mit Alaun und Eisensulfatlösung, dann mit Pottasche. Letztere war verunreinigt - und statt des gewünschten rotvioletten Pigments entstand ein ozeanblaues. Bekannt wurde es als „Berliner Blau“. Es war das erste Pigment überhaupt, das in dieser Form nicht in der Natur vorkommt.
Überraschungen im Labor
Ebenso wenig geplant erfolgte fast 270 Jahre später die Entdeckung von „Pigment Red 254“ („PR 254“) - dem „Ferrari-Rot“. Ein Forschungsteam der Michigan State University suchte in den 1970ern nach einer neuen antiaromatischen Substanz; einer reaktionsfreudigen, instabilen Verbindung, bestehend aus Stickstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff. Man habe eigentlich nur testen wollen, ob die Herstellung einer solchen Verbindung überhaupt möglich sei, sagte Teamleiter Donald Farnum dem US-Technologiemagazin Gizmodo: „Wir hatten kein Interesse, irgendetwas mit irgendeinem praktischen Nutzen zu erzeugen“, so Farnum.

Mas Subramanian unter cc by sa
YInMn - das Superblau, aus dem ein Superrot werden soll
Aus diesem Blickwinkel betrachtet war das Experiment ein Fehlschlag. Zur Überraschung der Forschenden entstand aus dem Mix aus chemischen Elementen und Mineralien nämlich ein leuchtend rotes Pulver. Nachdem Farnum die Entdeckung in einem wissenschaftlichen Paper beschrieb, synthetisierte der Schweizer Pharmariese Ciba-Geigy das Pigment.
Für den mittlerweile in Novartis aufgegangenen Konzern erwies sich „PR 254“ als Kassenschlager. Es fand Einsatz in Halbleitern und Fernsehgeräten und verleiht den roten Sportwagen der italienischen Nobelmarke Ferrari die charakteristische Farbe. Farnum dagegen, der kein Patent angemeldet hatte, sah keinen Dollar. Wie lukrativ das Geschäft mit Pigmenten sein kann, zeigt sich auch am Beispiel Titanoxid, auch bekannt als Titanweiß. Es kommt vorwiegend bei Lacken und Farben zum Einsatz. Mit Titandioxid werden dem US-Wirtschaftsmagazin Bloomberg zufolge jährlich mehr als elf Milliarden Euro umgesetzt.
Gift in Farbe und Spielzeug
„PR 254“ ist nicht nur deswegen der Ferrari unter den derzeit bekannten 200 natürlichen und synthetischen Rotpigmenten. „Der Welt fehlt ein tolles, vielseitig einsetzbares Rot“, konstatierte Bloomberg. Die Gladiatoren im antiken Rom schmierten sich quecksilberhältigen Zinnober ins Gesicht. Im Rot des Renaissancemalers Tizian war hochgiftiges Arsen verarbeitet. Rot gefärbtes Spielzeug enthielt jahrelang das Schwermetall Cadmium.
Die „gesunde“ Alternative wäre roter Ocker (Eisenoxid), der aus Lehm gewonnen wird und der bereits in steinzeitlichen Höhlenmalereien zu finden ist. Das Pigment habe allerdings einen großen Nachteil, sagte Narayan Khandekar, Leiter der „Forbes Pigment Collection“ im Museum der US-Eliteuni Harvard, gegenüber Bloomberg: „Es ist den Leuten einfach nicht strahlend genug.“
Umweg über Blau
Die Hoffnung bei der Suche nach dem Superrot ruht indes auf YInMn-Blue (ausgesprochen Yin-Min-Blue), dem 2009 entdeckten Superblau. Es trägt den Spitznamen „Mas-Blue“, nach seinem Erfinder, dem indischen Chemiker Mas Subramanian, der an der Oregon State University in den USA forscht. Wie viele andere Farbtöne ist auch das Superblau bei einem fehlgeschlagenen Experiment entstanden.

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Chemiker Subramanian: Aus dem Brennofen kam leuchtend blaues Pulver
Gemeinsam mit Studierenden arbeitete Subramanian an der Erforschung neuer Materialien zur Herstellung von Halbleitern. Dabei erhitzten die Forschenden Oxide der chemischen Elemente Yttrium, Indium und Mangan auf fast 1.100 Grad Celsius. Als sie das Gefäß aus dem Brennofen holten, befand sich darin unerwarteterweise ein leuchtend blaues Pulver. Subramanian beauftragte einen seiner Doktoranden, das Experiment zu wiederholen. Als abermals eine blaue Substanz entstand, ließ der Chemiker die Verbindung umgehend patentieren. YInMn-Blue ist das erste entdeckte Blaupigment seit 200 Jahren.
Feilen an der chemischen Zusammensetzung
YInMn ist eine anorganische Verbindung, was sie stabil und somit interessant für die Farbindustrie macht. Und sie hat einen weiteren Vorteil: Durch Zugabe bestimmter Stoffe lassen sich aus ihr weitere Pigmente erzeugen. Mit Kupfer gemeinsam etwa ergibt YInMn ein Grün, mit Eisen ein Orange und mit Zink und Titan ein gedämpftes Violett. „Wir haben einige Farben gemacht. Rot war aber noch nicht dabei“, sagte Subramanian.
Die Forschenden fanden heraus, dass sich die Stärke des Blautons über den Mangan-Anteil regulieren lässt. Analog dazu starteten sie den Versuch, den Indium-Anteil zu verringern und so einen Rotton hinzubekommen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Entfernung zwischen den Atomen im Gemisch zu modifizieren, sodass Blau absorbiert und Rot reflektiert wird.
Den Indium-Anteil gering zu halten beziehungsweise ganz zu ersetzen brächte zudem einen Kostenvorteil. Das Metall ist der mit Abstand teuerste Inhaltsstoff von YInMn. Ausufernde Kosten haben schon einmal die Entwicklung von Superrot verhindert. Zu Beginn des Jahrtausends schufen zwei deutsche Forscher ein Rotpigment, bei dem sie anstelle von Cadmium erfolgreich das Mineral Perowskit nutzten. Die kommerzielle Erzeugung des Pigments erwies sich allerdings als zu teuer, das Projekt wurde aufgegeben.
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