Wenn eine Handtasche nicht ausreicht
Wer diesen Sommer in puncto Handtaschen dem neuesten Trend folgen möchte, der muss auf eines verzichten: Zweckmäßigkeit. Denn laut Modeexperten haben Designer heuer ihr Augenmerk hauptsächlich Mikromodelle und löchrige Fischernetzbeutel gelegt, die als Tragehilfe durchaus ihre Tücken haben können.
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Die Handtasche hatte immer schon zwei Gesichter. Einerseits sollte darin alles Platz haben, was die Besitzerin an einem normalen Tag brauchen könnte, andererseits kann sie auch einfach nur als Ergänzung der Garderobe gedacht sein. Wer also derzeit eher nach einem neuen Accessoire als nach einem praktischen Behältnis zum Tragen von Gegenständen sucht, der wird in den heurigen Sommerkollektionen fündig.
Klein, mini, mikro
Laut der „Guardian“-Autorin Morwenna Ferrier habe allen voran eine neue Welle von Mikrotaschen die konventionelle Mode erobert. So verzeichneten die Ketten Zara und Topshop einen Verkaufsanstieg bei Taschen, die kleiner als eine Zuckermelone seien, präzisiert Ferrier. Obwohl die Zwergentasche bereits seit einigen Saisonen ein Hoch erlebt, verkaufen sich einige Modelle immer noch rasant, so Ida Petersson, Verkaufsdirektorin bei Browns gegenüber dem „Guardian.“ Die neu erschienenen „Sacs“ vom französischen Label Jacquemus hingegen hätten inzwischen bereits Kultstatus.
Kreditkarte, Bargeld und Schlüssel (ohne Bund) gehen sich in diesen Modellen gerade noch aus, aber nicht jedes Smartphone wird darin noch einen Platz finden - vielleicht dann, wenn die Tasche nicht unbedingt verschlossen werden muss. Bei einem kleinen Gucci-Täschchen ab 2.000 Euro aufwärts könnte der Trägerin unter Umständen egal sein, ob ihr das Handy verloren geht.
Ein Behältnis für das Nötigste
Die Tasche im Miniformat wird heuer aber gar nicht so sehr als Luxussymbol gehandelt, sondern ist laut Ferrier ein Zeichen dafür, dass Mode versucht, mit der Wirtschaftslage mitzuhalten. Durch den Anstieg von digitalen und bargeldlosen Zahlungen hätten wir einfach weniger zu tragen. Catherine Buckland, Kuratorenassistentin im niederländischen Taschenmuseum, erklärt im Gespräch mit ORF.at, dass die Minimodelle vor allem deshalb einen so anhaltenden Erfolg hätten, weil sie dem vorherrschenden Zeitgeist entsprechen würden, nur das Nötigste bei sich haben zu wollen.
Vom Taxi zum Randstein
Deren Zweckmäßigkeit erinnere Buckland an den Pompadour aus dem 19. Jahrhundert - eine kleine, beutelartige Damenhandtasche mit Zugbändern. „Die Veränderung der damaligen Mode bedeutete für Frauen, dass sie keine Innentaschen mehr unter ihren Kleidern tragen konnten. Das Aufkommen der imperialen Silhouette und ein Trend zu dünner Baumwolle und Leinen zwang sie dazu, ihre ‚Taschen‘ in die Hand zu nehmen“, erklärt Buckland.
Diese Täschchen seien also grundsätzlich für Situationen gedacht, in denen die Frau nicht viel brauche, so Buckland weiter. Die Herausgeberin der „Elle“, Sara McAlpine, ist ähnlicher Meinung und beschreibt gegenüber dem „Guardian“ die Trägerin solcher Taschen als eine „Vom-Taxi-zum-Randstein-Frau“: „Sie bewegt sich nur zwischen dem Büro und Terminen. Sie trägt kein Make-up bei sich. Aber insgeheim ist es ihr wichtig, den Schein zu wahren und so auszusehen, als habe sie alles unter Kontrolle - auch wenn sie es vielleicht nicht hat.“
Nichts ohne PVC
Wer alles unter Kontrolle hat und gar keine Geheimnisse vor seiner Umgebung haben möchte, der kann zur Minitasche in transparent greifen. Die „Vogue“ bejubelte Reality-TV-Star Kylie Jenner dafür, die unpraktischste Tasche aller Zeiten zu haben und damit alles richtig zu machen. Jenner liege mit dem Modell von der Marke L’Afshar doppelt im Trend. Einerseits mit einer Tasche, in die wenig passt, andererseits bestehe sie aus dem It-Material der Saison, Polyvinylchlorid, kurz PVC.
Der Hype um den Kunststoff ist vor allem dem derzeitigen 80er-Jahre-Revival geschuldet. Das Modelabel Off-White ging noch einen Schritt weiter und kreierte in Kollaboration mit dem deutschen Kofferhersteller Rimowa einen durchsichtigen Reisekoffer.
Designermodell Plastiksackerl
Polymethylmethacrylat, also Plexiglas, war bereits lange vor den 80ern beliebt: „In den 50er Jahren wurden kistenförmige Handtaschen aus Plexiglas in einer lichtdurchlässigen und klaren Farbe hergestellt und konnten mit Konfetti, Blumen oder Muscheln dekoriert werden“, erklärt Buckland. Diese Handtaschen seien auch unter Filmstars populär gewesen und von Marilyn Monroe und Elizabeth Taylor getragen worden. Da sie durchsichtig waren, seien sie meistens mit einem Halstuch gestopft worden, um den Inhalt zu verbergen, erklärt Buckland.
Die diesjährigen, als Handtaschen bezeichneten Einkaufssackerl von Valentino, Burberry und Celine sind normal groß, haben aber noch einen anderen Trend ins Leben gerufen. Dieser erinnert stark an den Halstuchtrick aus den 50ern: Der Inhalt soll nicht einfach im Sackerl herumkugeln, sondern in einer Minitasche verstaut werden, die wiederum in der Plastiktasche getragen wird. Der Zweitaschentrend sei eine geeignete Lösung, um „eine Mikrotasche zu tragen und trotzdem ein funktionierender Erwachsener in der echten Welt zu sein“, argumentiert die „Vogue“.
Besonders die Popularität der Netztaschen habe laut der „Vogue“ das Zweitaschensystem angefeuert. Der löchrige Beutel aus elastischen Schnüren macht sich eigentlich nur als Zweittasche nützlich. Dennoch lassen sich seit Beginn des Frühlings Influencerinnen auf Sozialen Netzwerken vor sommerlichen Motiven mittlerweile kaum mehr ohne Netztasche ablichten, die - wenn für sich selbst stehend - auffallend häufig mit Büchern oder rundem Obst gefüllt ist.
Picknick auf Japanisch
Der Fasson der Netztaschen ähnlich - nur mit Schlitzen anstatt Löchern, und etwas stabiler - ist die aus Bambus hergestellte „Ark“ des Modelabels Cult Gaia. „Die ‚Ark‘ wurde im Sommer 2016 erstmals populär, aber erst jetzt hat die Tasche die ,echte Welt’ erreicht“, schreibt Buckland. Bilder mit der „Ark“, deren Design eher einem Vogelkäfig als einer Tasche gleicht, überfluten die Sozialen Netzwerke, und mittlerweile gibt es auch erschwinglichere Ausgaben der Handtasche, die sich an japanischen Picknickkörben aus den 1940er Jahren orientiert.
Laut der „New York Times“ brachten bereits einige Einzelhandelsunternehmen ihre eigenen Versionen der Tasche auf den Markt. Der Hype um die Tasche liegt laut Buckland in ihrem interessanten und neuartigen Design. Aber auch eine Tendenz zu natürlichen Materialien sei zu spüren, so stünden klobige, gewebte Körbe schon seit einigen Jahren und auch heuer wieder ganz oben auf der Liste der „It“-Bags.
Zehn Nummern größer im Herbst
Wer gerne mehr Stauraum in seiner Tasche hätte, der sollte vielleicht doch noch eine weitere Saison abwarten, denn dem diesjährigen Mikrotrend könnte der nächste Megatrend entgegentreten: Die New Yorker Designer Camilla and Marc beispielsweise präsentierten bei ihrer „Resort Collection“ Handtaschen, in denen mühelos ein Klappsessel verstaut werden könnte.
Die dort vorgezeigten Modelle waren fast so groß wie die Models selbst. Wer also modisch mithalten möchte, für den wird es heuer wohl kaum praktische Mittelwege geben.
Links:
Yasmin Szaraniec, für orf.at