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Epidemie in der Geschichte kein Einzelfall

Ein bizarres Ereignis in Straßburg, das sich 1518 zugetragen hat, beschäftigt Forscherinnen und Forscher bis heute. Hunderte Menschen tanzten anscheinend grundlos auf den Straßen der Stadt, laut Berichten kamen Dutzende durch die Erschöpfung ums Leben. Das pausenlose Tanzen über Wochen hinweg war dabei kein Einzelfall.

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Die Tanzwut in der elsässischen Stadt ging zunächst von „Frau Troffea“ aus, heißt es in Aufzeichnungen. Die Frau soll an einem heißen Sommertag ihr Haus verlassen haben und darauf begonnen haben, mehrere Tage hindurch zu tanzen - ohne Grund, ohne Pause, insgesamt sechs Tage lang. Noch innerhalb der ersten Woche der „Tanzpest von Straßburg“ schlossen sich 34 weitere Menschen Frau Troffea an - am Ende des Monats stieg die Zahl der Tanzwütigen gar auf 400.

Insgesamt dauerte das zunächst unerklärliche Spektakel drei Monate. Schmerzende Füße und Müdigkeit wurden offenbar ignoriert - die Folgen waren für Dutzende Menschen fatal. Zunächst setzte Erschöpfung ein, dann starben einige von ihnen. Geht man nach den Aufzeichnungen eines Schreibers aus der Region, starben am Höhepunkt der Tanzwut bis zu 15 Menschen pro Tag.

Stadt schlug außergewöhnliche Therapie vor

Erst wurden die Tanzenden von der Bevölkerung Straßburgs nur von Schaulustigen beobachtet. Es sollte einige Zeit dauern, bis auch die Stadt reagierte: Bürger Straßburgs konsultierten Mediziner, die zum Schluss kamen, dass es sich um „überhitztes Blut“ handeln müsse. Dem medizinischen Fortschritt des auslaufenden Mittelalters entsprechend veranlassten die Stadtchefs daraufhin jedoch eine höchst zweifelhafte Therapie.

Gemälde von Peter Brueghel

Public Domain

Betroffene tanzten tagelang ohne Pause und wurden dabei auch gestützt

Die Tanzwütigen sollten noch mehr tanzen - um damit die Krankheit „abzuschütteln“. Dafür wurden extra zwei Hallen geöffnet und der Getreidemarkt freigehalten, auch eine eigene Bühne wurde speziell für die Tanzwütigen errichtet. Begleitet wurden sie von Trommlern und Pfeifern, um das bizarre Spektakel abzurunden, das von außen wohl einem Renaissance-Rave geähnelt haben muss.

Vertrauen auf das Wohlwollen des Tanzpatrons

„Zittern des Körpers, Krämpfe, Zuckungen, all diese Körperzustände wurden bis ins 17. Jahrhundert vor allem mit der Religion und dem Volks(aber)glauben gesehen“, so Brigitte Marschall vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien. „Personen mit solchen Symptomen wurden auch als Besessene bezeichnet.“ Auch in Straßburg handelte man schließlich entsprechend - und untersagte Tanzen in der Öffentlichkeit.

Buchhinweis

John Waller: A Time to Dance, A Time to Die. The Extraordinary Story of the Dancing Plague of 1518. Icon Books, 272 Seiten, 9,99 Euro.

Stattdessen wurde auf die Wirkung des heiligen Veits vertraut: Die Betroffenen wurden zu einem nahe gelegenen Schrein gebracht, in dem die blutig getanzten Füße mit roten Schuhen versehen wurden, so der Historiker John Waller im „Guardian“, der auch ein Buch zu dem Thema verfasste. Schließlich wurden sie um eine Holzfigur des Schutzpatrons der Tänzer geführt. In den darauffolgenden Wochen, so die Aufzeichnungen, soll sich die Lage beruhigt haben.

Wodurch die Tanzwut ausgelöst wurde, ist dabei ähnlich ungewiss wie die heilende Wirkung des heiligen Veits, Theorien gibt es jedoch einige. Oft wird von körperlichen Ursachen ausgegangen: „Diese Körpersymptome hatten ihre Ursache meist in mangelhafter Ernährung, in Seuchenschüben und organischen Erkrankungen“, so Marschall.

„LSD-Trip“ als mögliche Erklärung

Häufig wird die Tanzwut auch mit dem Mutterkorn in Verbindung gebracht. Der Pilz, der vor allem Roggen befällt, bildet Gifte, die der Wirkung von LSD gleichen - für die Droge wird das Mutterkorngift nämlich chemisch hergestellt. Doch im Fall der Straßburger Tanzpest dürfte Mutterkorn keine geeignete Erklärung bieten: Es sei unwahrscheinlich, dass durch eine entsprechende Vergiftung über Tage hinweg getanzt werden könnte, sagt etwa Waller.

Der Historiker geht stattdessen von einer Massenpsychose als Auslöser aus. Die Bedingungen dafür waren ideal: Das Gebiet um den Rhein war eine Krisenregion, neben einer Hungersnot gingen auch zahlreiche Krankheiten um, so Waller. Durch den Aberglauben der Bevölkerung hielten sich Gerüchte zu Übernatürlichem hartnäckig - etwa auch dass der heilige Veit Sünderinnen und Sünder mit endlosem Tanzen bestrafen könne.

Gemälde von Peter Brueghel

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In einem Gemälde von Pieter Brueghel dem Jüngeren ist zu sehen, wie für die Tanzwütigen musiziert wird

Laut Waller ließen Menschen sich von dem Gedanken, wie sich entsprechend „Besessene“ verhalten sollen, in ihrem Tun leiten. Und diejenigen, die zunächst nicht von der Tanzwut betroffen gewesen seien, hätten die „Besessenen“ gesehen, sich dadurch in ihrem Aberglauben bestätigt - und seien quasi „angesteckt“ worden. Erstaunlich ist jedenfalls, dass die Menschen mit ihren ohnehin geschwächten Körpern in der Lage waren, mehrere Tage durchgehend zu tanzen.

Rhein-Region als Bermudadreieck der Tanzwut

Unbestritten ist jedenfalls, dass es die Tanzwut in dieser Form tatsächlich gegeben hat. Von dem Ereignis, so Waller, gebe es „historische Aufzeichnungen“, Todesurkunden, Aufzeichnungen von Ärzten, Predigten und Chroniken aus der Region - alle berichteten von tanzenden Menschen. Und die Tanzwut in Straßburg war nicht die einzige dieser Zeit.

Ganz im Gegenteil: Tatsächlich dürfte die Epidemie im Elsass eine der letzten in dieser Form und diesem Ausmaß gewesen sein. Schon in den vorhergehenden Jahrhunderten gab es Berichte über Hunderte Menschen, die unfreiwillig tanzten. Besonders aus der Gegend rund um den Rhein häuften sich in der Zeit bis 1518 Berichte über die Tanzwut. Belege gibt es etwa für das Jahr 1374: Damals ging das Phänomen von Aachen aus und breitete sich nach Köln, Flandern und auch Straßburg aus, neben vielen anderen Regionen. Einen weiteren Ausbruch gab es 1463 in Trier, ebenfalls im Rheinland.

Auch Kunst setzt sich mit Tanzwut auseinander

In der Kunst widmete Sebastian Brant dem Tanz ein Kapitel in seinem „Narrenschiff“, der Mediziner Paracelsus benannte das Phänomen. Zeugnisse finden sich aber nicht nur in schriftlichen Aufzeichnungen, sondern auch als Bildmotiv.

Die Arbeiten des niederländischen Malers Pieter Bruegel des Älteren sprechen die Tanzwut nicht direkt an, doch im „Hochzeitstanz“ oder dem in Wien ausgestellten „Kampf zwischen Karneval und Fasten“ wird Tanz durchaus als ekstatisch dargestellt. Bruegels Werke werden auch in Bildern von Pieter Brueghel dem Jüngeren und dem niederländischen Kupferstecher Hendrik Hondius zitiert, die die Tanzwut explizit erwähnen.

„Seid bereit, die Epidemie breitet sich aus“

Auch wenn die letzte große Tanzwut im Rheinland ein halbes Jahrtausend zurückliegt: Die Straßburger Tanzpest fasziniert weiterhin. So lassen sich Parallelen zum modernem Tanz ziehen, der immer wieder zwischen Bewusstsein und Unbewusstem stattfindet. Die Stadt Straßburg selbst nimmt das Jubiläum des Ereignisses als Anlass für eine Ausstellung, die im Herbst stattfindet. Und ein Straßburger DJ-Kollektiv, das sich elektronischer Musik verschrieben hat, schließt den Kreis zur Vergangenheit - so wirbt „1518“ für Events mit dem Slogan: „Seid bereit, die Epidemie breitet sich aus.“

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