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Vorwürfe an Regierungschefin

Der britische „Brexit“-Minister David Davis wirft nach seinem überraschende Rücktritt der Regierung von Premierministerin Theresa May Versäumnisse vor. Der von May eingeschlagene Kurs in den Verhandlungen über den EU-Ausstieg habe eine Reihe von Schwächen, sagte Davis am Montag BBC Radio.

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Kurz nach dem Rücktritt ernannte May am Montag einen Nachfolger: Der 44-jährige Dominic Raab, bisher Staatssekretär im Bauministerium, solle künftig das für den EU-Austritt Großbritanniens zuständige Ressort führen, teilte Mays Büro am Montag mit.

Neuer britischer „Brexit“-Minister Dominic Raab

APA/AFP/Tolga Akmen

Dominic Raab soll der neue „Brexit“-Minister sein

„Zu schnell zu Zugeständnissen bereit“

Davis erklärte am Montag in dem BBC-Interview weiter seine Beweggründe für den Rücktritt und kritisierte die Regierung schwer. Sie sei zu schnell zu Zugeständnissen bereit gewesen. Er fürchte deshalb weiteren Druck aus Brüssel. Davis trat am Sonntagabend zurück. Der Verfechter eines harten „Brexit“ war seit zwei Jahren im Amt und sollte für die Regierung den Austritt Großbritanniens aus der EU organisieren.

Britische Premierministerin Theresa May

Reuters/Toby Melville

Theresa May musste als Premierministerin bisher einige Schläge einstecken

Davis will nach eigenen Angaben May nicht stürzen. Er habe mit seinem Rücktritt eine Gewissensentscheidung getroffen. Sollte May dennoch stürzen, werde er seinen Hut nicht in den Ring werfen. May sei „eine gute Premierministerin“.

Davis will Parlament für Druck nutzen

Noch am Freitag hatte May nach einer Marathonsitzung des Kabinetts auf dem Landsitz Chequers Einigkeit verkündet. Doch der „Brexit“-Hardliner Davis fürchtet, die Pläne könnten Großbritannien zu eng an die EU binden. Außerdem drohten weitere Konzessionen an Brüssel im Lauf der Verhandlungen. Das will Davis nun verhindern, indem er vom Parlament aus Druck auf die Regierung ausübt.

Der „neue Trend“ der „Brexit“-Politik und die Taktik machten es unwahrscheinlicher, dass Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen werde, erklärte Davis in seinem Rücktrittsschreiben an May in der Nacht auf Montag.

"Brexit"-Minister David Davis und die britische Premierministerin Theresa May bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker

Reuters/Eric Vidal

Im Dezember 2017 schien die Welt noch in Ordnung: David Davis mit May bei Verhandlungen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-„Brexit“-Chefverhandler Michel Barnier in Brüssel

May sieht das anders

Sorgen, dass die Zeit für ein „Brexit“-Abkommen nun knapp werden könnte, hat Davis nicht. Er gehe davon aus, dass die Verhandlungen in Brüssel ohnehin bis zur allerletzten Minute gehen werden, so Davis zur BBC. Großbritannien verlässt die EU am 29. März 2019. Eigentlich soll ein Abkommen über den Austritt schon im Herbst stehen, damit es noch rechtzeitig ratifiziert werden kann.

May widersprach den Angaben von Davis allerdings. Sie stimme seiner Charakterisierung der neuen „Brexit“-Strategie nicht zu, erwiderte sie. Sein Rücktritt stürzt die Regierung zur Unzeit in eine neue Krise.

Kurz: Es gibt einen klaren Zeitplan

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betonte am Montag am Rande seines Irland-Besuches, dass es durch den Rücktritt zu keinen Verzögerungen bei den EU-Austrittsverhandlungen mit Großbritannien kommen darf. „Der Rücktritt ist natürlich zu respektieren. Wichtig ist, dass er aber nicht dazu führt, dass sich die Verhandlungen weiter verzögern“, so Kurz.

„Es gibt einen klaren Zeitplan, und der muss eingehalten werden. Das bedeutet, wir brauchen im Herbst eine politische Einigung“, damit die nötigen Beschlüsse auf EU- und britischer Seite zeitgerecht getroffen werden könnten. Die „Brexit“-Verhandlungen treten unter österreichischer EU-Ratspräsidentschaft in die heiße Phase.

Gegen harte Grenze

In den vergangenen Tagen sei „ein großer Schritt vorwärts“ gemacht worden, sagte Kurz in Anspielung auf die am Freitag von May präsentierte „gemeinsame Position“ ihrer Regierung zu den künftigen Beziehungen zur EU. Es sei nur möglich zu verhandeln, wenn man die Position des Verhandlungspartners kenne, sagte Kurz bei einem Besuch im irisch-nordirischen Grenzgebiet vor Journalisten.

Der Bundeskanzler unterstrich zudem, dass es entscheidend sei, „sicherzustellen, dass es auch weiterhin keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland“ gebe. Im Nordirland-Konflikt seien vor 20 Jahren noch Menschen gestorben. „Wir sind alle froh und dankbar, dass es möglich war, diese Frage zu klären, und die Klärung war natürlich auch nur deshalb möglich, weil es hier eben keine harte Grenze gibt.“

Hardliner gegen neuen Kurs

Der neue Plan der britischen Regierung wurde von vielen „Brexit“-Hardlinern als Abkehr vom EU-Austritt gewertet. Der als unternehmensfreundlich bezeichnete Plan sieht die Schaffung einer Freihandelszone mit der EU für Güter sowie weitere enge Beziehungen zur EU vor. Dadurch würde eine Landgrenze mit Kontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland vermieden. Der Dienstleistungssektor soll ausgenommen bleiben. Zudem behält sich Großbritannien das Recht vor, eigene Einfuhrzölle zu verhängen und neue Handelsabkommen mit Dritten zu schließen. In Zukunft soll das Parlament auch entscheiden können, ob europäische Regeln und Vorschriften befolgt werden.

Schwerer Schlag für Premierministerin

Für May ist der Rücktritt von Davis ein heftiger Schlag. Sie muss nun mit weiterem Widerstand aus dem „Brexit“-Flügel ihrer Partei rechnen. Etwa 60 Abgeordnete in ihrer Fraktion werden dazu gezählt. Auch Außenminister Boris Johnson soll den Plänen nur äußerst widerwillig zugestimmt haben. Sollten weitere Regierungsmitglieder zurücktreten, könnte das May in ernsthafte Bedrängnis bringen. Selbst ein Sturz der Premierministerin scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Davis gilt als glühender Vertreter eines klaren Bruchs mit Brüssel. Er hatte bereits in der Vergangenheit mit seinem Rücktritt gedroht, sollte May das Land zu eng an Brüssel binden. Seit Langem gilt er als unzufrieden mit seiner Rolle in der Regierung. Davis hatte sich bei den Austrittsgesprächen in Brüssel stets nur kurz gezeigt und wirkte oft schlecht vorbereitet. Mehr und mehr übernahm May in den Verhandlungen selbst das Steuer.

Sechster Ministerwechsel in einem Jahr

Davis ist der sechste Minister, den May seit der Neuwahl im Juni des Vorjahres verliert. Verteidigungsminister Michael Fallon und Vizeregierungschef Damian Green hatten nach Belästigungsvorwürfen ihre Posten aufgegeben. Entwicklungshilfeministerin Priti Patel trat zurück, weil sie sich ohne Absprache im Israel-Urlaub mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu getroffen hatte.

Innenministerin Amber Rudd musste im Skandal um die unrechtmäßige Behandlung von Gastarbeitern aus der Karibik als illegale Einwanderer abtreten. Nur ein Rücktritt war nicht von einem Skandal ausgelöst worden: James Brokenshire hatte sein Amt als britischer Nordirland-Minister wegen einer Erkrankung aufgegeben. Er kehrte - gesundet - als Minister für Kommunen an den Kabinettstisch zurück.

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