„Sonst müsste ich jeden Tag etwas ändern“
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hält trotz des Streits mit der SPD an dem Begriff „Transitzentren“ fest. In seinem „Masterplan Migration“, den der CSU-Vorsitzende am Dienstag in Berlin vorstellt, heißt es, an der deutsch-österreichischen Grenze werde ein „neues Grenzregime“ ausgestaltet, um Asylbewerber, für deren Verfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise zu hindern.
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„Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden“, steht in dem Dokument. Seehofer hatte aus Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD zuletzt von „Transferzentren“ an der Grenze gesprochen, da die Sozialdemokraten neben dem Begriff auch „geschlossene Lager“ ablehnten.
In einem gemeinsamen Beschluss von CDU, CSU und SPD vom Donnerstag hieß es daher, die Bundespolizei nutze „für das Transitverfahren ihre bestehenden Einrichtungen in unmittelbarer Grenznähe“.
Koalitionsbeschlüsse nicht eingearbeitet
Der 63-Punkte-Masterplan habe den Stand 4. Juli, so Seehofer. Daher habe auch der Koalitionsbeschluss vom 5. Juli „hier jetzt nicht Eingang gefunden“. Seehofer begründete das mit den Worten: „Das ist ja kein Masterplan der Koalition, sondern ein Masterplan dieses Hauses unter meiner Verantwortung“, sagte der Innenminister.
Alle Änderungen in der Umsetzung, wie sie auf europäischer Ebene, auf Bundesebene und in Zusammenarbeit mit den Bundesländern erfolgen, würden nicht aufgenommen: „Sonst müsste ich ja jeden Tag etwas daran ändern“, sagte Seehofer laut „Süddeutscher Zeitung“ merkbar verärgert nach mehreren Nachfragen.
Präsentation um einen Monat verschoben
Die Spitzen der deutschen Koalition hatten sich am Donnerstag darauf verständigt, die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze in „Transitverfahren“ zu prüfen. Sie sollen dann abgewiesen werden, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben. Grundlage dafür sollen noch zu schließende Abkommen mit den betroffenen Ländern sein.
Das Thema Zurückweisungen hatte zu dem erbitterten Streit zwischen CDU und CSU geführt und eine mehrwöchige Regierungskrise ausgelöst, in der Seehofer seinen Rücktritt angeboten hatte. Wegen des Zwists mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Seehofer zudem die ursprünglich für den 12. Juni geplante Präsentation des Masterplans kurzfristig abgesagt.
Schwierige Gespräche über Rücknahmen
Seehofer sagte, er wolle noch im Laufe des Juli Klarheit darüber bekommen, welche Abkommen zur Rücknahme von Migranten es mit anderen EU-Staaten geben werde. Er erwarte „schwierige Gespräche“, die aber gelingen könnten. „Je weniger Europa leisten kann, desto mehr gewinnen nationale Maßnahmen an Bedeutung.“ Er betonte: „Dieser Masterplan ist ein Bestandteil der Asylwende für Deutschland, die dringend erforderlich ist.“ Österreich sei bereits einverstanden damit, dass Personen an der Grenze zurückgewiesen würden, die in Österreich einen Asylantrag gestellt hätten. Anders sei es bei Griechenland und Italien.
Umstrittene „Ankerzentren“
Leitmotiv seines Maßnahmenkatalogs sei die Schaffung von Ordnung und Gewährleistung von Humanität. Erforderlich sei eine Balance zwischen Hilfsbereitschaft und den Möglichkeiten Deutschlands. „Kein Land dieser Welt kann unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen“, sagte Seehofer. Integration könne nur gelingen mit einer Begrenzung der Zuwanderung. Nur die konsequente Durchsetzung des Rechts sichere den Rechtsstaat. „Und da haben wir noch eine ganze Menge zu tun“, sagte der Innenminister. In der Koalition sind die 63 Punkte noch nicht abgestimmt.
So enthält der Plan auch die bereits in Koalitionsvertrag geplante Einrichtung von „Ankerzentren“ („Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung (AnkER)“, Anm.) für Asylbewerbern. Acht Organisationen, unter ihnen Save the Children und Pro Asyl, kritisierten die Pläne. „‚Ankerzentren‘ sind kein Ort für Kinder“, erklärten sie. Seehofer berücksichtige „die Interessen von Kindern an keiner Stelle“.
Prompte SPD-Kritik
Die Kritik der SPD folgte prompt: Vizeparteichef Ralf Stegner sagte: „Die Wiederholung eines Schmierentheaters wird zur Farce.“ Die SPD habe „keinerlei Bedarf an weiteren Aufführungen im Sommertheater der CSU“. „Wir reden über keinen anderen Masterplan als den Koalitionsvertrag“, fügte Stegner hinzu. „Den sollte Seehofer endlich umsetzen. Nachverhandlungen wird es mit der SPD nicht geben.“
Auch die Opposition übte Kritik: AfD-Chef Alexander Gauland sagte, das sei „keine Wende in der Migrationspolitik“. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erkannte ein „Koalitionspingpong“ nach dem Motto „Söder jagt Seehofer, Merkel bremst ihn aus“. Die SPD hingegen sei „zum Zuschauen verdammt“.
„Ungeeignet und verantwortungslos“
Linken-Parteichef Bernd Riexinger warf Seehofer vor, die SPD zu provozieren, weil „Transitzentren“ für Flüchtlinge weiterhin Bestandteil seines Plans seien. „Es scheint, als ob niemand in der Regierung willens oder in der Lage ist, den völlig außer Kontrolle geratenen Innenminister in seine Grenzen zu weisen“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, es zeige sich, „wie ungeeignet, kompromissunfähig und verantwortungslos Herr Seehofer agiert, wenn er selbst nach diesen Wochen nicht in der Lage ist, die wenigen Änderungen, die die SPD vorgeschlagen hat, einzuarbeiten“. Seehofer selbst habe zugegeben, dass das kein Plan der Regierung sei, sondern immer noch nur ein Plan des Innenministeriums. „Das zeigt: Dieser Mann ist ungeeignet, verantwortungsvoll zu handeln.“
FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sieht vor allem in der Person Seehofer „hochexplosiven Sprengstoff“ für die Fraktionsgemeinschaft der Union. Dass der Konflikt beendet sei, sei reines Wunschdenken des CSU-Vorsitzenden.
Auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) nahm Seehofers Plan mit Skepsis auf. „Wir sehen positive Ansätze, der Grundtenor dieses Papiers ist jedoch bedenklich“, sagte der UNHCR-Vertreter in Deutschland, Dominik Bartsch. „Der Plan konzentriert sich nur auf Verschärfungen bei der Verwaltung und in Verfahrensfragen und vernachlässigt das Wichtigste: den Menschen.“
Asylzahlen stark rückläufig
Unterdessen wurden aus Seehofers Innenministerium auch neue Asylzahlen veröffentlicht. Diese lagen im ersten Halbjahr um 16,4 Prozent oder 18.300 Fälle unter der des ersten Halbjahres 2017. Insgesamt seien von Jänner bis Juni 93.316 Asylanträge gestellt worden, davon 81.765 Erstanträge, teilte das Ministerium mit.
Im Juni habe es 13.254 Asylanträge gegeben, darunter 11.509 Erstanträge. Das waren 13,2 Prozent weniger als im Vorjahr, aber 6,1 Prozent mehr als im Mai. Das Hauptherkunftsland blieb mit einem deutlichen Abstand Syrien - im ersten Halbjahr stammten 22.520 Antragsteller aus dem Bürgerkriegsland. Es folgten der Irak, Afghanistan und Nigeria. Unter den zehn häufigsten Herkunftsstaaten gab es aus drei Staaten im ersten Halbjahr einen Anstieg: Aus Nigeria, der Türkei und Georgien kamen mehr Antragsteller. Aus den sieben weiteren Ländern verringerte sich die Zahl der Anträge.
Die deutsche Regierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag auf Druck der CDU auf einen Korridor für die Zuwanderung von 180.000 bis 220.000 Menschen jährlich geeinigt. Seehofer hält es für „zunehmend wahrscheinlich“, dass diese Zahl heuer erreicht wird.
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