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„Beträchtliche Risiken für Weltwirtschaft“

Sollten sich die Streitigkeiten zwischen den USA und ihren wichtigsten Handelspartnern weiter zuspitzen, könnte der Welthandel einen Einbruch wie im Zuge der Finanzkrise des Jahres 2008 erleiden - davor warnte die Weltbank Anfang Juni. Auch die Renditekurve in den USA, von manchen Ökonomen als verlässlichstes Stimmungsbarometer gehandelt, scheint zu zeigen: Eine neue Krise steht bevor.

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Mit „schwerwiegenden Folgen" müssten bei einem ausgeprägten Handelskrieg vor allem die Entwicklungsländer rechnen. Ökonomin Franziska Ohnsorge, die Hauptautorin des jüngsten Weltbank-Berichts „Global Economic Prospects“, sagte, dass für zwei Drittel aller Schwellenländer eine der drei großen Wirtschaftsmächte, also die USA, China und Europa, größter Handelspartner sei. Jede Verringerung des Handelsvolumens träfe sie direkt und indirekt: Ein Einbruch chinesischer Exporte etwa wäre aufgrund der Wertschöpfungskette in ganz Südostasien zu spüren.

Schädlicher Protektionismus

Eine deutliche Erhöhung der Einfuhrzölle würde ein Schrumpfen des Welthandels von neun Prozent auslösen, errechnete die Weltbank. Das wäre vergleichbar mit dem Rückgang während der Finanzkrise 2008/09, jedoch könnten die Auswirkungen noch größer sein, wenn die Länder über das von der Welthandelsorganisation (WTO) erlaubte Zollniveau hinausgingen, berichtete der „Guardian“. Heute schöpfen die Volkswirtschaften den Spielraum der WTO nur zu 30 bis 50 Prozent aus.

Wirtschftsnobelpreisträger Paul Krugman

Reuters/Nacho Doce

Ein schwerwiegender Handelskonflikt scheint derzeit laut Nobelpreisträger Paul Krugman sehr wahrscheinlich

Wirtschaftsexperte und Nobelpreisträger Paul Krugman schrieb unlängst in einem Kommentar für die „New York Times“, dass ein zugespitzter Handelskrieg zwischen den USA und anderen Ländern Importzölle in Höhe von 30 bis 60 Prozent nach sich ziehen und den Anteil des Handels an der Weltwirtschaftsleistung um 70 Prozent – und damit auf das Niveau von Beginn der 1950er Jahre - zurückgehen lassen könnte. Das globale Weltbruttoinlandsprodukt würde in diesem Fall um zwei bis drei Prozent sinken.

Unheilvoller Zyklus

Neben dem Wirtschaftsprotektionismus sehen Ökonomen weitere Risiken. Dazu zählen mögliche Verwerfungen an den Finanzmärkten durch Zinserhöhungen der Notenbanken. Sorgen machen sich Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) auch wegen der hohen Schulden weltweit. Nach Jahren des extrem billigen Geldes der Notenbanken habe sich der weltweite Schuldenstand auf 164 Billionen Dollar (132,68 Billionen Euro) erhöht. „Die Schulden der öffentlichen Haushalte in entwickelten Ländern sind auf einem Stand, den wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehen haben“, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde im April. Das könne schnelle Kurskorrekturen nötig machen, die vor allem in Niedriglohnländern zu spüren wären.

Zudem gehen Wirtschaftsexperten der Weltbank von einem zyklischen Charakter von Krisen aus - alle zehn Jahre würden sie sich wiederholen. Die letzte gab es 2008/2009, seither ist eine Dekade vergangen. In den 1970ern war es die Ölkrise, zehn Jahre später brach im Gefolge des finanziellen Bankrotts von Mexiko die Lateinamerikakrise aus. Die jetzige Situation verglich Krugman mit der schweren Asienkrise Ende der 1990er, die Russlands Wirtschaft ebenso wie mehrere osteuropäische Länder mit sich riss.

Verzweifelter Börsenhändler

AP/Richard Drew

Im Herbst 2008 brach ein „Tsunami“ über die Finanzwelt herein

Alarmierendes Signal

Ein Damoklesschwert über der Wirtschaft beschwor die „New York Times“ vor wenigen Tagen herauf: „Man kann einen Handelskrieg mit China herunterspielen. Man kann die Auswirkungen der steigenden Ölpreise auf Konzerngewinne kleinreden. Aber ein Signal vom Anleihemarkt ist schwer zu ignorieren: Die Renditekurve in den USA sagt eine Rezession für gewöhnlich mit überraschender Genauigkeit voraus.“

Die Renditekurve, im Fachjargon Yield-Kurve genannt, drückt das Zinsverhältnis verschiedener Obligationen aus, die sich in Laufzeit oder Risiko unterscheiden. Eine normale Kurve liegt vor, wenn eine längere Laufzeit oder ein größeres Kreditrisiko eine höhere Rendite bedingen. Eine inverse Zinskurve bedeutet, dass die Zinsen für kurze Laufzeiten über jenen für lange Verbindlichkeiten liegen. Diese Umkehrung deutet darauf hin, dass Anleger von einem Absinken der aktuell gültigen Zinssätze ausgehen, was allgemein auf ein langsameres Wirtschaftswachstum schließen lässt.

Flache Kurve

Die Differenz zwischen Zweijahres- und Zehnjahresstaatsanleihen der USA beträgt derzeit rund 0,34 Prozentpunkte - das letzte Mal wurde ein solch niedriger Stand 2007, also vor dem letzten Crash, verzeichnet. Die Abflachung der Kurve allein bedeute nicht, dass eine neue Rezession unumgänglich sei, hieß es in der „New York Times“. Aber wenn es weiter in diese Richtung ginge, würden die langfristigen Zinssätze unter die kurzfristigen fallen.

Eine invertierte Renditekurve ging laut einer aktuellen Studie der San Francisco Federal Reserve jeder Rezession der letzten 60 Jahre voraus. „Nur einmal, Mitte der 60er Jahre, folgte auf eine Inversion eine wirtschaftliche Verlangsamung, aber keine offizielle Rezession“, schrieben die Forscher der Bank im März. Allerdings sei es nicht exakt absehbar, wann der Abschwung kommt, wenn die Zinskurve ins Negative dreht. In der Vergangenheit dauerte es zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.

Viele Fragezeichen

Zu den aktuellen Wirtschaftsdaten in den USA scheint diese Prognose nicht zu passen: Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie zuletzt vor 18 Jahren, Investitionen von Konzernen nehmen weiter zu, und auch der private Konsum erholt sich. Allerdings, sagten Ökonomen, könne es sein, dass diese Zahlen nur eine kurzfristige Reaktion auf die Steuerreform von US-Präsident Donald Trump zeigen würden. Wenn dem so sei, hieß es in der „New York Times“, sei eine Abkühlung zu erwarten.

Vergangene Woche schloss sich auch die Europäische Zentralbank (EZB) den Kassandrarufen an. Die Einführung höherer Zölle und die Diskussionen über weitere protektionistische Schritte könnten die Aussichten gefährden. „Mit Blick auf die Zukunft könnten sich die Risiken für die Weltwirtschaft, die aus einem weitgreifenden Anstieg des Protektionismus resultieren, als beträchtlich erweisen.“

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