Themenüberblick

Vorerst nur Minimalkompromisse in Sicht

Beim Gipfel der 28 EU-Staaten sind beim Hauptthema - der Asylpolitik - deutliche Differenzen zutage getreten. Italien blockiere vorerst jegliche Beschlüsse und wolle derart Druck machen, hieß es Donnerstagabend. Eine Pressekonferenz wurde verschoben. Vorerst scheint es nur Minimalkompromisse zu geben.

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Wie tief die Gräben bei dem Thema noch sind, hatte Italien bereits vor Beginn des Treffens deutlich gemacht. Ministerpräsident Giuseppe Conte drohte mit einem Veto seines Landes, sollte Italien von EU-Ländern keine Unterstützung im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik erhalten.

Am Abend hieß es dann, Rom blockiere erste Beschlüsse und wolle eine Debatte am Abend abwarten. Der Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte, dass „ein Mitglied“ die gesamten Gipfelerklärungen ablehne. Aus diesem Grund wurde auch die Pressekonferenz von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Tusk, die für den Abend geplant war, vorerst abgesagt.

Der italienische Premier Guiseppe Conte

ORF.at/Peter Prantner

Italiens Premier Giuseppe Conte setzt die harte Linie seines Landes fort

Wenn die anderen EU-Länder Italien nicht entgegenkämen, könne er eine Abschlusserklärung nicht mittragen, hatte Conte schon vor dem Treffen gewarnt. Ein Veto sei „eine Möglichkeit, von der ich nicht ausgehen will. Aber wenn es dazu kommen sollte, kommen wir von meiner Seite nicht zu geteilten Schlussfolgerungen.“ Italien will unter anderem die Frage beantwortet haben, wie die EU künftig mit privaten Rettungsschiffen umgeht.

Hier soll es einen Konsens geben, hieß es am späteren Abend. Die EU wolle private Rettungsschiffe künftig von der libyschen Küste fernhalten. Außerdem sollten Schlepper stärker bekämpft werden, wurde aus dem Entwurf der Gipfelschlusserklärung zitiert.

Merkel sieht „Schicksalsfrage“ für EU

Vor dem Gipfel hatte Conte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem bilateralen Gespräch getroffen. Sie hatte noch am Vormittag vor dem deutschen Bundestag gesagt, dass die Migration „die Schicksalsfrage“ für die EU sein könnte. Merkel sucht auf dem Gipfel eine europäische Lösung in der Asylpolitik, um den deutschen Innenminister Horst Seehofer von einseitigen Maßnahmen an der deutschen Grenze abzuhalten und ihre Regierungskoalition zu retten. Merkels CDU und Seehofers bayerische CSU liegen sich deswegen in den Haaren.

Tauziehen um gemeinsame Gipfelerklärung

ORF-Reporter Tim Cupal erklärt die Inhalte der gemeinsamen Gipfelerklärung der teilnehmenden Staaten, von welcher nicht feststeht, ob sie unterzeichnet wird, und die Wünsche Italiens.

Merkel wolle nun unter dem Eindruck des Asylstreits innerhalb der deutschen Union eine „Koalition der Willigen“ schmieden und bi- und trilaterale Abkommen zum Umgang mit der Rücknahme von weitergereisten Asylwerberinnen und Asylwerbern abschließen, hieß es. Rückendeckung kam dabei von Frankreich, Griechenland und Finnland. Auch Ungarn soll einen entsprechenden Deal in Aussicht gestellt haben.

Merkel offen für Asyllager

Merkel teilte vor dem Gipfel außerdem mit, dass sie offen für Gespräche über Asylzentren außerhalb der EU, etwa in nordafrikanischen Staaten, sei. Man müsse allerdings mit den Ländern sprechen, um auch deren Bedürfnisse zu erfüllen. In solchen „regionalen Ausschiffungsplattformen“ in Drittstaaten sollen Wirtschaftsmigrantinnen und -migranten von Flüchtlingen getrennt und es soll geprüft werden, wer Anspruch auf Asyl hat und wer nicht. Auch EU-Ratspräsident Tusk plädierte für derartige Zentren.

Deutsche Kanzlerin Merkel

Reuters/Eric Vidal

Der Streit zwischen Merkel und Seehofer ist ein wesentlicher Aspekt des Gipfels

Bei diesen Lagern nach australischem Vorbild handelt es sich auch um eine langjährige Forderung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Bedenken hinsichtlich der Menschenrechte haben einer Verwirklichung aber den Riegel vorgeschoben. Doch in dieser Hinsicht scheint es einen Meinungswandel gegeben zu haben. Bei dem Gipfel liege ein erstes Konzept für Flüchtlingszentren vor, teilte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mit.

Konzept für Lager liegt vor

Die Pläne seien gemeinsam mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und der Organisation für Migration (IOM) entwickelt worden sei, so Mogherini. Details teilte Mogherini nicht mit. Sie betonte lediglich, dass die „Anlandestellen“ nicht gegen internationales Recht oder Menschenrechte verstoßen würden. Im Vorfeld stellten sich aber zahlreiche Fragen zur juristischen und praktischen Ausgestaltung.

Unter anderem ist auch offen, wo solche Lager eigentlich errichtet werden könnten. Doch der krisengeschüttelte Transitstaat Libyen hat bereits abgelehnt, ebenso das von Österreich vorgeschlagene Albanien sowie die Balkan-Staaten Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Auch in Serbien und Montenegro werde es keine Lager geben, so der EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos.

Juncker warnt vor „Neokolonialismus“

EU-Kommissionspräsident Juncker warnte in Zusammenhang mit Flüchtlingszentren vor „Neokolonialismus“. Wenn es um solche Ideen gehe, dann „bitte ich um einiges an Zurückhaltung“. Wenn die Botschaft sei, „dass die Afrikaner das zu tun haben, was wir wollen, wird das schiefgehen. Ich bin in Kontakt mit diesen Regierungen. Die mögen nicht fremdbestimmt werden.“ Man sollte heute nicht den Eindruck erwecken, „dass es hier Neokolonialismus geben wird“, so Juncker.

Der Kommissionspräsident sieht auch nicht die Möglichkeit eines völligen Kurswechsels in der Migrationspolitik der EU. Viele würden nicht zur Kenntnis nehmen, dass bereits viel erreicht worden sei. Von sieben Gesetzesvorschlägen seien fünf unter Dach und Fach. Zwei Probleme blieben. „Wir werden versuchen - heute ist das nicht mehr möglich -, die ausstehenden Probleme bis Jahresende zu lösen.“

Kurz gibt sich optimistisch

Kurz gab sich vor dem Gipfel zuversichtlich: „Ich glaube, dass es heute möglich ist, eine Trendwende in der Flüchtlings- und Migrationspolitik einzuleiten“, sagte er am Donnerstag. Mit einer Einigung des Gipfels auf „Anlandeplattformen“ könne wahrscheinlich erstmals gelingen, „dass Menschen, die ihren Weg mit Schleppern nach Europa starten, nicht mehr in Europa aussteigen, sondern außerhalb von Europa“. Kurz: „Das ändert alles.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz

ORF.at/Peter Prantner

Kurz trat unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen zum Migrationsthema in Brüssel vor die Presse

Für Menschen werde es dadurch weniger attraktiv, sich illegal auf den Weg zu machen. „Es entzieht den Schleppern die Geschäftsgrundlage. Es kann dazu führen, dass wir endlich das Ertrinken im Meer beenden, weil sich die Menschen gar nicht mehr auf den Weg machen, und es beendet die Überforderung in Mitteleuropa“, sagte Kurz.

Die Umsetzung solcher Auffangzentren halte er für sehr realistisch und rechtskonform. Als Optionen sehe er etwa Vereinbarungen mit Libyen und Ägypten. Zu einer möglichen Vereinbarung mit Deutschland sagte der Kanzler: „Unser Ziel ist eine europäische Lösung.“ Bei seiner Pressekonferenz in Brüssel zeigte sich Kurz zweckoptimistisch. Die Debatte gehe in die richtige Richtung, allerdings rechne er mit einer langen Diskussion.

Journalisten während EU-Gipfel

ORF.at/Peter Prantner

Journalistinnen und Journalisten vertreiben sich die Wartezeit mit Fußball

Kurz hielt auch fest: Sollte Deutschland an seiner Grenze Flüchtlinge abweisen, wird Österreich ebenfalls die Grenzen dichtmachen. „Wenn Deutschland Maßnahmen setzt, wie es derzeit angekündigt ist, dann werden wir selbstverständlich gleiche Maßnahmen an unseren Grenzen setzen müssen, weil wir Schaden von der Republik abwenden müssen.“

Macron für „europäische Lösung“

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron plädierte wie Kurz für europäischen Lösungen. „Wollen wir nationale Lösungen oder glauben wir an europäische Lösungen? Ich verteidige europäische“, sagte Macron. Der niederländische Premierminister Mark Rutte meinte, dass man sich vor allem um das Problem der Primärmigration kümmern müsse. Danach werde es auch leichter sein, eine solidarische Lösung bei der Sekundärmigration innerhalb Europas zu finden, weil die Flüchtlingszahlen dann kleiner seien. Auch er sprach sich für Lager aus.

EU-Ratspräsident Tusk verteidigte die Verschärfung der Migrationspolitik. „Wenn wir uns darauf nicht einigen, sehen wir einige wirklich harte Vorschläge von wirklich harten Typen“, sagte Tusk. Die Alternative zu einem verstärkten EU-Außengrenzschutz und externen Flüchtlingszentren wären „chaotisch voranschreitende Grenzschließungen“ innerhalb der EU, sagte Tusk.

Formell befassen sich die Staats- und Regierungschefs noch bis Freitag in unterschiedlichen Gipfelformationen auch noch mit weiteren Themen, etwa dem und Handelsstreit mit den USA. Am Freitag wird ohne Großbritannien unter den 27 Länderchefs zum „Brexit“ diskutiert, danach gibt es einen Euro-Zonen-Gipfel.

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