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Einstiger „Anker“ geriet ins Wanken

An Stabilität hat es der Türkei, dem Land, das einst als „Anker“ im unruhigen Nahen Osten gegolten hat, in der jüngeren Vergangenheit erheblich gefehlt. Hinter dem Land liegen fünf turbulente Jahre, die von Prostesten, Anschlägen und einem Putschversuch geprägt waren.

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2013: Im Mai beginnen die Gezi-Proteste, die sich bald fast auf das ganze Land ausdehnen. Der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan sieht sich wegen seines zunehmend autoritären Führungsstils mit Forderungen aus dem Volk konfrontiert, dass er abdanken soll. Er reagiert mit Härte. Die Polizei knüppelt die Proteste immer wieder nieder, die dennoch über Monate andauern.

Im Herbst kommt es zum offenen Bruch zwischen Erdogan und seinem früheren Verbündeten, dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen. Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung und Menschen aus Erdogans Umkreis führen im Dezember zum Rücktritt mehrerer Minister. Erdogan sieht dahinter die Gülen-Bewegung, die nach seiner Überzeugung das Ziel verfolgt, ihn zu stürzen.

2014: Erdogan kann nach den Statuten seiner AKP nicht ein weiteres Mal als Ministerpräsident antreten. Er kandidiert stattdessen als Staatspräsident und wird im August im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit vom Volk gewählt. Erdogans Ziel ist der Umbau der Türkei von einem parlamentarischen hin zu einem Präsidialsystem, bei dem der Präsident zugleich Regierungschef ist und deutlich mehr Macht hat. Die Opposition warnt vor einer Einmannherrschaft.

2015: Bei der Parlamentswahl im Juni verliert die AKP die absolute Mehrheit. Nachdem Versuche scheitern, eine Koalition zu bilden, ruft Erdogan für November eine Neuwahl aus. Im Juli kommt es zu einem schweren Anschlag auf ein kurdisches Kulturzentrum im südtürkischen Suruc. Daraufhin werden zwei Polizisten getötet. Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bekennt sich zunächst zu der Tat, zieht dieses Bekenntnis dann aber wieder zurück. Erdogan erklärt den Friedensprozess mit der PKK für beendet, der Kurdenkonflikt eskaliert wieder. In manchen mehrheitlich kurdischen Städten in der Südosttürkei kommt es in den Folgemonaten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Im Oktober kommen bei einem Anschlag auf eine prokurdische Friedensdemonstration in Ankara mehr als 100 Menschen ums Leben. Sowohl dieser Anschlag wie auch der in Suruc werden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugeschrieben. Bei der Neuwahl des Parlaments im November gewinnt die AKP wieder die absolute Mehrheit. Im selben Monat schießt die Türkei einen russischen Kampfjet ab, eine monatelange Krise mit Moskau ist die Folge.

2016: Der Terror in der Türkei eskaliert: Im Jänner sterben bei einem Anschlag in Istanbul zwölf deutsche Touristen. Für diesen und weitere Anschläge in den Folgemonaten wird der IS verantwortlich gemacht. Der schwerste davon gilt dem Istanbuler Atatürk-Flughafen im Juni mit 45 Todesopfern. Außerdem verübt die PKK-Splittergruppe TAK schwere Anschläge in Istanbul und Ankara.

Im Juni löst die Resolution des deutschen Bundestags zum Völkermord an den Armeniern eine Krise zwischen Berlin und Ankara aus, die sich bis ins Folgejahr weiter verschärft. Am 15. Juli kommt es zum Putschversuch in der Türkei, den die Regierung der Gülen-Bewegung zuschreibt. Der Versuch, Erdogan gewaltsam zu stürzen, scheitert. Erdogan ruft den Ausnahmezustand aus. Zehntausende Menschen werden inhaftiert oder vom Staatsdienst suspendiert. Kritische Medien werden geschlossen.

In Folge des Putschversuches treibt Erdogan die Einführung eines Präsidialsystems voran. Im Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum im April überziehen Erdogan und Mitglieder seiner Regierung vor allem Deutschland mit Nazi-Vergleichen. Im Referendum stimmt eine knappe Mehrheit für die Verfassungsreform, die mit den für November 2019 geplanten Präsidenten- und Parlamentswahlen abgeschlossen werden soll. Die Opposition spricht von Wahlbetrug. Mit der Reform wird die Regelung gekippt, dass der Präsident keiner Partei angehören darf. Im Mai wird Erdogan wieder zum AKP-Chef gewählt.

2018: Im Jänner marschieren türkische Bodentruppen in der nordsyrischen Region Afrin ein, um die Kurdenmiliz YPG zu vertreiben, die Ankara als Ableger der PKK einstuft. Kritiker vermuten dahinter ein Wahlkampfmanöver. Im April zieht Erdogan die für November 2019 geplanten Wahlen um fast eineinhalb Jahre vor. Im Frühjahr verliert die türkische Lira dramatisch an Wert, was Erdogan unter Druck setzt. Am 24. Juni werden das Parlament und der Präsident gewählt.

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