„Großereignis stärkt die Legitimation“
Bei seinem Besuch in Österreich vor nicht einmal zwei Wochen ist dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Österreich Aufmerksamkeit gewiss gewesen: Seine erste bilaterale Arbeitsreise in der neuen Amtsperiode hat ihn nach Wien geführt. Wenn nun die Fußballweltmeisterschaft der FIFA in Moskau eröffnet wird, erwartet ihn ein weitaus größeres Publikum. Die WM ist ein Milliardengeschäft und ein Medienspektakel - schon mit der Vergabe an Russland hat Putin einen Prestigesieg errungen.
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„Ein solches Großereignis stärkt die Legitimation, weil Putin beweisen kann, dass Russland eine solche Veranstaltung organisieren kann und alle kommen“, sagte Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOIS) in Berlin. Ähnlich sieht Timm Beichelt, Professor der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt und Autor des Buches „Ersatzspieler“, das Verhältnis von Fußball und Macht: „Gerade in autoritären Staaten sind Großveranstaltungen durchaus dazu geeignet, zumindest kurzfristig die Macht der Regierung zu stabilisieren.“

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Putin nach der Stunde des Sieges: Ende 2010 bekam Russland in Zürich den Zuschlag für die WM-Austragung
Von Anfang an Chefsache
Für Putin soll die WM die Bedeutung Russlands auf der sportlichen und politischen Weltbühne unterstreichen. Er behandelte das Großereignis immer als Chefsache: 2010 flog er als Regierungschef nach Zürich, als Russland unter anderem gegen das favorisierte England den Zuschlag des Weltverbandes für 2018 bekam. Angesichts der politischen Dimension ist umstritten, wie der Westen auf das Fußballspektakel reagieren sollte. Es gibt Boykottaufrufe - und eine Debatte, wie sich die Spiele auf Putins Verhalten auswirken.
Überlegungen zu einem Boykott der Eröffnungszeremonie der Fußballweltmeisterschaft in Moskau am 14. Juni waren zunächst von Großbritannien wegen der Vergiftung des früheren Doppelagenten Sergej Skripal angestellt worden. Neben London hatte auch Island angekündigt, dass keine Politiker des Landes zur WM reisen werden. 60 Europaabgeordnete riefen die EU-Mitgliedstaaten auf, die WM auf politischer Ebene zu boykottieren. Auch die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderte Spitzenpolitiker aus aller Welt auf, der Eröffnungszeremonie fernzubleiben.

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Kick des Präsidenten im Kreml - Russlands Elf werden bei der WM keine großen Chancen eingeräumt
Zweifel an Sinn von Boykotten
Wie sinnvoll solche Boykotte sind, ist umstritten. „Möglicherweise könnte Putin diese innenpolitisch sogar ausschlachten“, sagte Sasse. So könnte die Führung in Moskau das Bild einer „Festung Russland“ betonen, das von allen Seiten angegriffen und von niemandem verstanden werde. Putin würde dadurch eher gestärkt. Und die Berichterstattung russischer Medien zeichne ohnehin ein anderes Bild als die Auslandspresse. Russland leide unter einem Informationskrieg, behauptete auch die Vorsitzende des Föderationsrates, Valentina Matwijenko, unlängst bei einer Besichtigung im WM-Spielort Wolgograd. Im ausländischen Fernsehen werde Dreck über das Land gekübelt. „Jetzt kommen Millionen Gäste und werden das wahre Russland sehen, die wahren Russen, und der Infokrieg wird sie nicht beeinflussen können“, hoffte sie.
Tatsächlich bietet ein solches Großereignis die Möglichkeit, ein Land nach außen so zu präsentieren, wie das die Führung gerne möchte. So lege Putin derzeit eine moderatere Haltung an den Tag, damit keine diplomatische Großkrise den großen Auftritt überschatte und die Anreise ausländischer Politiker gefährde, sagte ein EU-Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters.
Verzicht auf Gegenschlag
Mitte Mai etwa rief Putin zur Einleitung eines politischen Prozesses zur Lösung des Syrien-Konflikts auf. Bei einem zuvor nicht angekündigten Treffen mit dem verbündeten syrischen Staatschef Baschar al-Assad sagte Putin, nach den „Erfolgen der syrischen Regierungsarmee im Kampf gegen die terroristischen Gruppen“ sei die Lage nun „günstig für die Wiederaufnahme des politischen Prozesses in großem Umfang“.
Nur einen Monat zuvor hatte es noch nach Eskalation ausgesehen: Als Vergeltung für einen mutmaßlichen Giftgasangriff auf die Stadt Duma hatten die USA mit ihren Verbündeten Großbritannien und Frankreich einen Militärschlag gegen Einrichtungen und Stellungen Assads ausgeführt. Putin verurteilte die Luftangriffe zwar als „Akt der Aggression gegen einen souveränen Staat“, verzichtete aber auf einen militärischen Gegenschlag und gab den besonnenen Staatsführer.

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Stadion Sotchi - Putin auf Besuch mit FIFA-Präsident Gianni Infantino (links) und dem Gouverneur von Krasnodar
„Beziehungen auf dem Tiefpunkt“
Langfristige Auswirkungen auf die Politik Putins erwarten sich Experten durch die WM-Austragung allerdings nicht. „Man sollte das nicht überbetonen“, sagte ZOIS-Chefin Sasse. Putin habe derzeit auch unabhängig von der WM eher Interesse an Stabilität auf niedrigem Niveau und nicht an einer Eskalation. „Die Beziehungen sind schon auf dem Tiefpunkt angelangt.“
Dafür erwartet die ZOIS-Direktorin, dass anders als in Sotschi auch kein Rückschlag nach Abschluss der Weltmeisterschaft droht. 2014 hatte Putin sich vor den Olympischen Winterspielen auch konstruktiv gezeigt - und kurz nach dem Ende der Spiele dann die ukrainische Halbinsel Krim annektiert.
„Sehr konstruktiv, aber nicht einfach“
Diese Annexion ist ein weiterer Konfliktpunkt mit dem Westen. Hier ist derzeit wenig Bewegung in Sicht, einen Ausweg aber skizzierte der Innsbrucker Universitätsprofessor Gerhard Mangott am Montag in der ZIB2: „Russland wird die Krim nicht aufgeben, selbst die größten Teile der Opposition wollen das nicht, und der Westen wird die Annexion nicht anerkennen. Aber die Wirtschafts- und Finanzsanktionen, also die Sanktionen, die Russland wirklich wehtun, wurden nicht wegen der Annexion der Krim verhängt, sondern wegen der Kämpfe in der Ostukraine. Das heißt, diese Sanktionen könnten verschwinden, ohne dass Russland die Krim zurückgibt.“ Gemeinsame Bekenntnisse zu neuen Verhandlungen gibt es immerhin bereits.
In Wien sagte Putin, er sehe eine Chance für einen schrittweisen Neubeginn in den Beziehungen zwischen der EU und Russland. „Am Wiederaufbau des vollen Formats unserer Zusammenarbeit ist nicht nur Russland interessiert, auch unsere europäischen Freunde sind es.“ Es laufe ein Dialog mit Vertretern aus Brüssel, um die auf Eis gelegten Mechanismen und Instrumente der Kooperation wieder aufzunehmen, so der russische Präsident. Diese Diskussionen seien „sehr konstruktiv, aber nicht einfach“.
FIFA voll des Lobes
FIFA-Präsident Gianni Infantino jedenfalls glaubt fest an ein großes WM-Turnier in Russland. Politische Themen sollen keine große Rolle spielen, hofft er – und gerät ins Schwärmen: „Russland will bei dieser WM der Welt beweisen, dass es ein offenes Land ist, in das Menschen kommen können, in dem Menschen feiern können, Fußball feiern können. Russland hat viel zu bieten, Geschichte, Kultur. Ich habe nun 20 Jahre Turniere organisiert und ich habe noch nie ein Land erlebt, das so viel tut, die Fans willkommen zu heißen.“ Putin wird die Botschaft gerne vernehmen.
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