„Polarisierende Dynamik“
Großbritannien soll im März 2019 aus der EU austreten, und eine der derzeit am heftigsten diskutierten offenen Fragen betrifft die künftige Regelung der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland. Egal wie diese letztlich gelöst wird - der „Brexit“ wirkt sich schon jetzt auf Nordirland aus, sind Experten überzeugt.
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Der Politologe Cathal McCall spricht von einer „polarisierenden Dynamik“: „Die Nationalisten sind auf der einen Seite der Debatte, die Unionisten, speziell die DUP, auf der anderen Seite der Debatte. Dabei ist auch nicht hilfreich, dass die DUP, die Democratic Unionist Party, in einer effektiven Partnerschaft mit der konservativen Regierung in London ist“, erläutert der Professor an der Queen’s University Belfast.
London sei deshalb nicht so frei, im Hinblick auf Nordirland als unabhängiger Vermittler aufzutreten, wie es das gerne würde. „In ähnlicher Weise hat sich Sinn Fein von Dublin entfremdet und ist jetzt eine mit den beiden größten Parteien Fianna Fail und Fine Gael konkurrierende Partei. Und Dublin ist deshalb auch kein unabhängiger Vermittler mehr. In gewisser Weise sind sie in die Politik in Nordirland verwickelt worden, und die Grenzfrage ist dabei im Moment zentral.“
„Brexit“ als „Bedrohung“
Ähnlich bewertet das der Soziologe John Brewer: "Die beiden wichtigsten politischen Parteien haben diametral entgegengesetzte Ansichten zum „Brexit“. "Während die DUP ihn unterstütze, sehe die irisch-nationalistische Sinn Fein ihn als „Bedrohung“ für das Karfreitagsfriedensabkommen. „Der ‚Brexit‘ ist somit zu einer Quelle neuer interner Spaltung in Nordirland geworden“, und das wirke sich auch auf die Wahrscheinlichkeit aus, dass die „Machtteilung gemäß den Bedingungen des Karfreitagsabkommens“ wiederhergestellt werde.
Im Jänner 2017 war die nordirische Regierungskoalition zwischen DUP und Sinn Fein zerbrochen, und auch nach den Regionalwahlen im März des Vorjahres sind Gespräche über eine Neuauflage bisher ohne Ergebnis geblieben. Brewer sieht hier auch einen Zusammenhang zum britischen EU-Austritt: Keine Partei sei bereit, die gemeinsame politische Führung wiederzubeleben, „solange sie nicht wissen, was im Hinblick auf den ‚Brexit‘ passiert“.
Hinzu kommt nach Ansicht Brewers, dass „die Aussicht auf eine Fragmentierung des Vereinigten Königreichs infolge des ‚Brexit‘ das Thema eines Vereinigten Irland sowohl im politischen Diskurs von Sinn Fein als auch im Diskurs der irischen Regierung und politischer Parteien aufgeworfen hat“, was die DUP in Schrecken versetzt habe: „Es hat ein beträchtliches Maß an Unsicherheit, Sorge und Unruhe geschaffen, und ihre Reaktion auf diese Sorge und Unruhe ist, dass sie auf stur schalten.“
Grenzfrage mit Friedensprozess verbunden
Das Thema der Grenze ist auch eng mit dem nordirischen Friedensprozess verbunden. Heutzutage sei die Grenze „kaum zu erkennen“, sagt McCall. Im Nordirland-Konflikt sei es jedoch gerade um diese Grenze gegangen und darum, „ob man sie erhalten oder beseitigen sollte“. Das Aufweichen der Grenze könnte „als integraler Bestandteil von Frieden und Friedensbildung“ betrachtet werden, so der Politologe: „Das Karfreitagsabkommen war ein sehr geschickter Weg, beide Seiten anzusprechen, und es wurde die Entscheidung getroffen, Nordirland zu erlauben, gleichzeitig sowohl britisch als auch irisch zu sein, und die offene Grenze hat dabei wirklich geholfen.“
Die Sorge, dass das auch zu neuer Gewalt in der Region führen könnte, ist aus Sicht McCalls durchaus berechtigt. Er verweist auf republikanische Dissidentengruppen. „Man muss betonen, dass sie im Moment relativ klein sind, aber sie sind immer auf der Suche nach jungen Rekruten, speziell in Städten wie Derry/Londonderry“, und eine härtere Grenze könnte bei dieser Rekrutierung helfen.
„Wir sprechen überhaupt nicht von einer Rückkehr der Schwierigkeiten in vollem Umfang in irgendeiner Gestalt oder Form.“ Aber es habe vorhergehende kleinere Konflikte wie die „Grenzkampagne“ der IRA in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren gegeben, und zu einem ähnlichen Szenario könnte es wieder kommen, wenn es etwa ein großes Sicherheitsaufgebot an der Grenze geben sollte. Auch von loyalistisch-unionistischer Seite könnte es Probleme geben, nämlich, wenn diese ein „Abgleiten im Hinblick auf ihren Platz im Vereinigten Königreich“ infolge des „Brexit“ sehen würden: „Das könnte bedeuten, dass es Straßenproteste gibt, Agitation, und aus diesen Dingen heraus kommt manchmal Gewalt.“
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