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Rot-weiß-rote Plattformsuche

Medienpolitik muss mehr sein als ein Tauziehen ums Geld. Diese Bekenntnislinie zieht sich wie ein roter Faden durch die zwei Tage der österreichischen Medienenquete. Mehr Kooperation soll es geben unter heimischen Playern, um sich gegen globale Giganten ein Stück weit behaupten zu können. Wer mit wem zusammenpasse und wer den öffentlich-rechtlichen Wert herstelle, war Gegenstand der Debatten am zweiten Tag der Enquete.

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„Spannend, was sich der Minister einfallen lässt.“ So kommentierte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz den Auftakt am Freitag, dem zweiten Tag der Wiener Medienenquete, als er und sein zuletzt medienpublizistischer Counterpart, Puls-4-Chef Markus Breitenecker, die Arbeitsgruppenergebnisse des Vortags zur Frage nach Public Value und danach, wer diesen herstellt, referieren sollte.

Leibniz, Blümel und die Digitalisierung

Den Schlusspunkt des sehr langen Freitags samt intensiver Debatten in einem zumindest stark überhitzten Raum setzte dann der Medienminister als Gastgeber mit einem Bezug zu Gottfried Wilhelm Leibniz. Schon Leibniz, so Gernot Blümel, habe versucht, die Welt zwischen O und der 1, Gott und das Nichts, auch in Zahlen zu systematisieren - jetzt müsse man dieses Werk vollenden.

Er nehme aus den zwei Tagen die Notwendigkeit einer gestärkten österreichischen Identität mit - und dass es auch auf europäischer Ebene dringende Eingriffe brauche, auch etwa in der Frage des Themas Hass im Netz, wo Soziale Medien als Host-Provider solcher Debatten in die Pflicht genommen gehörten.

Blümel sieht die Notwendigkeiten von Allianzen - und auch den Aspekt, auf europäischer Ebene politisch dafür so zu werben, dass nicht sofort die Wettbewerbsbehörden dagegen einschritten.

Vormittag zum Public Value

Bei den Vormittagsreferaten verwies ORF-GD Wrabetz in der Public-Value-Debatte auf die bekannte Position des ORF, dass nur öffentlich-rechtliche Broadcaster, die einem speziellen gesetzlichen Auftrag und entsprechender Kontrolle unterliegen, einen entsprechenden öffentlich-rechtlichen Mehrwert herstellen können. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk habe für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen, neben den Aufträgen der Grundversorgung in den Bereichen Information, Kultur und Unterhaltung.

Vortrag von ORF-Generaldirektor Wrabetz

Alexander Wrabetz fasst die Session zum Thema Public Value zusammen. Er weist darauf hin, dass die Diskussion von unterschiedlichen Definitionen dominiert war.

Wrabetz für Differenzierung in Medienförderung

Wrabetz erinnerte daran, dass die Seven One Mediagruppe diesen Ansatz anders sehe und die Haltung vertrete, dass auch Private Public Value für sich in Anspruch nehmen, etwa auch RTL in Deutschland, das für den Aspekt der Regionalisierung viel getan habe. In der späteren Diskussion trat Wrabetz für eine neue Medienförderung ein, die sich auf die veränderten Gegebenheiten des Marktes einstelle, wo aber Medienförderung für Private von der Gebühr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk getrennt gehöre.

„Füttern die Bestie, die uns frisst“

Breitenecker betonte in seinem Referat die Notwendigkeit, über neue Content-Partnerschaften nachzudenken und gemeinsame Plattformen, auf denen die heimischen Player mit gleichen Rechten vertreten seien, nachzudenken. „Der Kleinkrieg im Land in der Medienszene muss beendet werden“, so die Forderung Breiteneckers. Positiv bewertete er die Ankündigung des ORF zur starken Reduktion von dessen Facebook-Angeboten. Puls 4 werde da entsprechend nachziehen.

Vortrag von Puls-4-Chef Breitenecker

Markus Breitenecker resümiert über die Session zum Thema Finanzierung und Förderung. Die Silicon-Valley-Giganten seien die größte Bedrohung für heimische Medien.

Regulierung für YouTube, Facebook und Co.

Erneut forderte er wie viele andere schon am Donnerstag, dass YouTube und Facebook als Medien anerkannt werden müssten und entsprechende Regulierung erfahren sollten. Nur so könne man sie zwingen, auch Verantwortung für die über ihre Plattformen vertriebenen Inhalte, die ja nie ihre eigene seien, zu übernehmen. „Wir füttern im Moment die Bestie, die uns frisst“, so eine plakative Beschreibung Breiteneckers für den Ist-Zustand der digitalen Medienlandschaft

Gemeinsame Plattformen, aber wie?

In der Diskussion mit Schlüsselplayern der heimischen Medienszene ergab sich ein durchaus vielschichtiges Bild, wie Kooperation auszusehen habe. Für „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak bestünden in der Debatte noch zu viele Unklarheiten, wer denn mit wem zusammenpasse. Er können sich aber eine Form von „journalistischem Netflix“ in Österreich vorstellen.

„Falter“-Herausgeber Armin Thurnher begrüßte in seinem Statement die grundsätzliche Reflexion zur Lage in der digitalen Medienlandschaft und lobte dabei Breitenecker und Corinna Millborn für ihr Buch. Allerdings, so Thurnher: „Der Zwang zur Kooperation als Antwort auf die Lage der Gegenwart soll nicht zu einer Form der Neurose ausarten.“

EBU-Chef erinnert an Netflix-Investitionen

Dass bei Lösungen für die Zukunft Journalisten möglicherweise zu viel an den Wert ihres Journalismus glaubten, das konnte man, wenn man wollte, aus dem Referat des irischen EBU-Chefs Noel Curren heraushören. Er verwies auf die enormen Ausgaben von Riesen wie Netflix und Amazon im TV-Drama-Bereich: Deren Investitionen erreichten bald die Gesamtinvestitionen der öffentlich-rechtlichen Sender in Europa. „Natürlich haben die öffentlich-rechtlichen kein Monopol auf Qualität“, so Curren, der aber daran erinnerte, dass man den Aspekt Qualität und Public Service tunlichst auseinanderhalten solle.

Vortrag von EBU-Generaldirektor Curran

„Wir müssen uns ändern“, sagt Noel Curran. Öffentlich-rechtliche Medien agierten in einer stark regulierten Industrie, daher brauche es Kooperationen und mehr gemeinsame Plattformen.

Bedeutung für das neue ORF eins

Dass mehr für ein jüngeres Publikum in anderen Erzählformaten gemacht werden müsse, daran erinnerte noch einmal Wrabetz in seinem Statement und erinnerte an die Aufgaben der neuen ORF-eins-Channelmanagerin Lisa Totzauer. Man müsse ein jüngeres Publikum für die eigenen Produktionen begeistern. Das sei eine Herausforderung an den ORF. Ein neu eingerichteter Doku-Mittwoch versuche im Infobereich gerade eine Brücke zu den Jungen zu bauen. Gerade die Neupositionierung von ORF eins sei eine der zentralen Aufgaben des ORF in der näheren Zukunft.

Vice-Chef erinnert an nötige Blickveränderung

Dringende Änderungen in der Mediendebatte mahnten im Rahmen der Konferenz unter anderen auch RTR-Aufsichtsratschef Andreas Rudas und Stefan Häckel von Vice ein. Für Häckel geht die Debatte über die Medienpolitik immer noch nach sehr bekannten Vorzeichen ab, die viele Themen wie Kreativitäts- und Nachwuchsförderung zu sehr außer Acht lasse.

Vice-Chef will Debatte erweitern

Stefan Häckel von Vice sieht die Notwendigkeit, die Medien- und Gebührendebatte um einige zeitgemäßere Elemente zu ergänzen.

Außerdem würde man mit einem Blick auf die jungen Zielgruppen sehr wohl feststellen können, dass Themenbereiche, die die Menschen bei ihren Bedürfnissen und Interessen abholten, von etablierten Medien, die zu sehr eine Erregungsökonomie bedienten, liegen gelassen werden.

Rudas ortet Handlungsbedarf

Andreas Rudas ortet dringenden Handlungsbedarf für Strukturreformen. Auch aufseiten des ORF.

Für Rudas soll der ORF gebührenfinanziert bleiben. Allerdings ortet er einen dringenden Bedarf einer Struktursanierung, damit nicht wie bisher auf Kosten der Struktur beim Programm gespart werde.

Blümel verspricht zügiges Weiterarbeiten

Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) zog am Freitag zum Abschluss der Medienenquete ein positives Resümee und versprach ein zügiges Weiterarbeiten. Als prioritär bezeichnete er „europäische Lösungen“ bei den Themen E-Privacy und Leistungsschutzrecht; auch das Ansinnen, medienrechtliche Standards auf soziale Netzwerke anzuwenden, will er weiter prüfen.

Bei „Hate Speech“ „können wir es uns nicht mehr leisten, wegzusehen“. Wichtig seien ihm auch die kartellrechtlichen Voraussetzungen für Kooperationen und Allianzen. Er will „Experten und Stakeholder“ mit Vertretern der Wettbewerbsbehörde an einen Tisch setzen und das diskutieren lassen. Erneut versprach Blümel „konkrete Gesetzesvorschläge in manchen Bereichen“ für heuer. Am 8. und 9. Oktober findet zudem im Rahmen des EU-Rats für Kultur und Medien eine weitere Konferenz statt.

Blümels Fazit aus der Medienenquete

Blümel beendete die Medienenquete mit einem Ausblick auf die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Alle Teilnehmer seien sich über die Relevanz einig gewesen.

Keinerlei Spekulationsgrundlage lieferte Blümel, was die Regierungspläne für den ORF angeht. Reformen seien aber unabdinglich, hielt er fest. „Absolut niemand hat die Relevanz des Öffentlich-rechtlichen in Frage gestellt. Niemand. Und genauso waren sich alle einig, dass sich die Öffentlich-rechtlichen in ganz Europa ändern müssen. Das sind zwei Aspekte, die man einfließen lassen wird in künftige Gesetzesmaßnahmen.“

„Ergebnisoffene Debatte“ über GIS-Gebühren

SPÖ-Mediensprecher Thomas Drozda nahm der Regierung indes auch beim Abschlusspodium nicht ab, dass sie keine Agenda habe. Er gehe nicht davon aus, dass diese Diskussion wirklich so „ergebnisoffen“ sei, wie die Regierung behaupte. ÖVP und FPÖ hätten jetzt eine lange To-do-Liste abzuarbeiten.

Konkret danach gefragt, ob sich an der FPÖ-Linie für eine Abschaffung der ORF-Gebühren etwas geändert hatte, führte FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein allerdings genau diese „ergebnisoffene“ Debatte ins Treffen. „Die FPÖ hat den Standpunkt, die GIS-Gebühren abzuschaffen. Ich würde diesen Standpunkt auch heute hier vertreten. Doch die politische Debatte soll dort stattfinden, wo sie hingehört - im Parlament.“

Aufruf zu verstärkter Medienbildung an Schulen

Dem „Kampf gegen die digitale Übermacht müssen wir uns jetzt sehr konzentriert widmen“, sagte ÖVP-Mediensprecher Karl Nehammer. NEOS-Mediensprecherin Claudia Gamon hob den Aspekt der Medienbildung hervor: „Wir schaffen es nicht, mit den Themen Mediennutzung, Quellenkritik, Umgang mit Medien in die Schulen zu kommen.“ Das werde sich bald „brutal rächen“, wenn es die Politik mit Wählern zu tun bekommen, die nicht zwischen seriösen und unseriösen Quellen und Informationen unterscheiden können.

Liste-Pilz-Mediensprecher Alfred Noll sieht keinen Zweifel daran, dass sich der ORF neu aufstellen muss. „Wenn der ORF so bleibt, wie er ist, dann geht er von alleine zugrunde. Da brauchen ÖVP und FPÖ nicht antauchen“, sagte er. Geharnischte Kritik übte er an den Privatsendern: Diese hätten es in 18 Jahren nicht geschafft, am Markt zu reüssieren, und forderten nun öffentliche Unterstützung - für Noll „Chuzpe“.

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