„Sprachenregelung ist eindeutig“
In der Europäischen Union gibt es derzeit 24 Amtssprachen, und an sich kann jede von diesen auch als Arbeitssprache verwendet werden. So weit die Theorie: In der Praxis dominieren Englisch, Französisch und teilweise Deutsch den Alltag in den EU-Institutionen - und Englisch bleibt wohl auch nach dem Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union weiterhin die klare Nummer eins.
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„Die EU-Sprachenregelung ist eindeutig“, und zwar seit „dem Beginn des Jahres 1958“, heißt es dazu auf ORF.at-Anfrage bei der Kommission. Mit Verweis auf den in dieser Frage an sich zuständigen Europäischen Rat wolle man zwar „nicht über zukünftige Entwicklungen“ spekulieren. Aus den Kommissionsangaben geht schließlich doch mehr oder weniger deutlich hervor, dass nach dem „Brexit“ Englisch nicht nur weiterhin Amtssprache bleibt, sondern auch den Status der in den EU-Institutionen dominanten Sprache kaum verlieren dürfte.

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Vielfach gibt es im Pressesaal der Kommission ein breites Sprachenangebot - oft aber auch nur in Englisch und Französisch
24 gleichberechtigte Sprachen
In der Europäischen Union gibt es derzeit 24 gleichberechtigte Amts- und an sich auch Arbeitssprachen. Dieses Vollsprachregime wurde vom Rat 1958 festgelegt, und daran hat sich, abgesehen von der seitdem immer größer gewordenen Staatengemeinschaft und den damit verbundenen Anstieg der Amtssprachen, bis heute nichts geändert. Neben Französisch und Deutsch hat sich allen voran Englisch als dominante Arbeitssprache durchgesetzt.
„In ganzen Welt verbreitet“
Mit Irland und Malta gäbe es noch zwei weitere Mitgliedsstaaten mit Englisch als Amtssprache. Alle offiziellen Sprachen werden den Kommissionsangaben zufolge in „Interaktion mit den verschiedenen Mitgliedstaaten und Personen aus diesen Mitgliedstaaten verwendet. Sie stehen alle auf einer Stufe - keine Sprache ist wichtiger als eine andere.“
Neben Französisch und Deutsch sei Englisch dann aber auch unter jenen drei Sprachen, „mit denen die Kommission normalerweise intern arbeitet“. Die Rede ist von einer Sprache, „die die meisten Kommissionsbeamten sprechen und die auch von unseren Partnern in der ganzen Welt weit verbreitet ist“, und darauf habe auch der Rückzug des Vereinigten Königreichs „keinen Einfluss“.
„Werde mich in Französisch äußern“
Dabei war es im Mai des Vorjahres bei einer Rede in Florenz ausgerechnet Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der mit der Bemerkung „Ich werde mich in Französisch äußern, weil Englisch langsam, aber sicher an Bedeutung verliert“, für Aufregung sorgte.
„Sie kennen ja den Stil unseres Präsidenten“, man solle „keine dramatischen Schlussfolgerungen“ ziehen, lautete die Reaktion aus der Kommission dann auf die teils bissigen Kommentare im britischen Boulevard. Die hier vermittelte „Alles-nicht-so-gemeint-Botschaft“ trifft dann vielleicht auf Junckers Richtung „Brexit“ gedachten Seitenhieb zu, auf den er in seiner Amtszeit ohne Frage verzichten hätte können - seit der folgenschweren britischen Entscheidung am 23. Juni 2016 gibt es allerdings sehr wohl verschärfte Kritik an der „Quasi-Einheitsamtssprache“ der EU.
Forderung nach Aufwertung anderer Sprachen
Diese Bezeichnung stammt vom ehemaligen deutschen Bundestagsvizepräsidenten Johannes Singhammer (CSU), der nur kurz nach dem „Brexit“-Votum Deutsch und Französisch „nicht mehr länger diskriminiert“ sehen wollte. „Wir sehen den bevorstehenden ‚Brexit‘ als eine Gelegenheit, der Vorherrschaft des Englischen entgegenzuwirken und die anderen Sprachen, darunter besonders die deutsche, wieder mehr zur Geltung zu bringen“, heißt es dazu dann auch beim Verein der Deutschen Sprache (VDS).
Forderungen nach Aufwertung ihrer Sprachen kommen auch aus anderen Ländern, darunter etwa Italien, Spanien und Polen, wobei die polnische EU-Abgeordnete Danuta Hübner auch infrage stellte, ob Englisch nach dem „Brexit“ überhaupt noch Anspruch auf den Status einer Amtssprache habe. In Frankreich wird ohnehin seit Längerem penibel darauf geachtet, dass das einst dominante Französisch in den EU-Institutionen nicht weiter an Bedeutung verliert. Nach dem „Brexit“-Votum sah dann etwa der ehemalige Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Melenchon die Tage von Englisch als eine der drei Verkehrssprachen im EU-Parlament gezählt.
Andere Sprachen „nicht genug Bedeutung“
Dagegen sprechen allerdings handfeste Argumente von Expertenseite: Geht es nach der Sprachwissenschaftlerin Anna Mauranen von der Universität von Helsinki sei das Gewicht des Englischen schlichtweg „zu global“, und somit könne es auch nicht einfach abgeschafft bzw. durch eine andere Sprache ersetzt werden. Weder Deutsch, Französisch noch global wachsende Sprachen wie Spanisch und Portugiesisch hätten „allein genug Bedeutung, um von großer Bedeutung zu sein“, wird Mauranen vom Magazin „EuropeCEO“ zitiert.
„Wenn man die sprachlichen Entwicklungen dem freien Markt überlässt“, dann werde das auch weiter dazu führen, dass sich das Englische auf Kosten der anderen Sprachen als Verständigungssprache durchsetzt, sagte dazu Matthias Hüning in einem von der Freien Universität (FU) Berlin - allerdings noch vor der „Brexit“-Entscheidung - publizierten Artikel.
Für den schwedischen Sprachwissenschaftler Marko Modiano ist die britische EU-Mitgliedschaft für diese Entwicklung weitgehend irrelevant. Die Bereitschaft, englisch zu sprechen, sei vielmehr „integraler Bestandteil der Globalisierung“, so Modiano in der vom Fachjournal „World Englishes“ publizierten Studie „Englisch in einer Post-‚Brexit‘-EU“.

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Fachsimpeln in „Eurospeak“ hat in den Gängen der EU-Institutionen bereits Tradition
„Authentisches europäisches Englisch“
Der „Brexit“ könnte Modiano zufolge dann aber doch Auswirkungen auf die englische Sprache haben. Es gehe nicht nur um die Frage, ob die derzeitige Hauptarbeitssprache der EU nach dem „Brexit“ geschwächt oder „ironischerweise“ weiter gestärkt werde. Es stehe durchaus auch die Möglichkeit im Raum, dass der EU-Austritt Großbritanniens „den soziolinguistischen Raum“ für ein „authentisches europäisches Englisch“ freimache, die dann als „gemeinsame Verbindungssprache für die Verwaltung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten dient“.
Es handelt sich um eine nicht gänzlich von der Hand zu weisende These: Wenn man sich in den EU-Institutionen umhört, stellt sich vielmehr die Frage, ob sich hier nicht ohnehin schon eine eigene, auf dem Englischen basierende und mit eigenen Normen und Floskeln angereicherte „EU-Sprache“ durchgesetzt hat.
Ob „Eurospeak“, „Eurish“ oder schlichtweg „Euroenglisch“ - der in den EU-Institutionen gesprochene Jargon hat bereits viele Namen und sorgt für Außenstehende neben Verwunderung auch für Irritationen. Reichlich Beachtung findet dabei ein in unregelmäßigen Abständen herausgebrachter „Leitfaden“ mit dem Titel „Misused English Words and Expressions in EU-Publications“. Mit diesem ist Jeremy Gardner vom Europäischen Rechnungshof zumindest um grobe Aufklärung über die sprachlichen Neuinterpretationen der EU-Beamtenschaft bemüht.
Deutsch am meisten gesprochene Muttersprache
Ungeachtet anderslautender Vorzeichen bleibt dennoch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich das Blatt gegen das Englische, in welcher Form auch immer, wendet - schließlich habe sich die Lingua franca Europas schon öfter verschoben, woran Mauranen etwa mit Blick auf die Blütezeit der heute „zurückweichenden“ französischen Sprache im 18. Jahrhundert erinnert.
Englisch in Summe klar voran
Wenn es um die am häufigsten gesprochene Muttersprache in der EU geht, listet Spezial Eurobarometer aus dem Jahr 2012 Deutsch (16 Prozent) vor Englisch und Italienisch (13 Prozent), Französisch (zwölf Prozent), Spanisch und Polnisch (jeweils acht Prozent). Bei den meistgesprochenen Fremdsprachen ist Englisch mit 38 Prozent klar voran. Es folgen Französisch (zwölf Prozent), Deutsch (elf Prozent), Spanisch (sieben Prozent) und Russisch (fünf Prozent).
Tonangebend war das Französische auch lange auf Ebene der Europäischen Staatengemeinschaft, und daran hat zunächst auch der Beitritt Großbritanniens im Jahr 1973 kaum etwas geändert. Spätestens mit der Osterweiterung im Jahr 2004 hat sich dann Englisch in der EU als gemeinsame Zweitsprache etabliert. Als Hintergrund gilt, dass in Polen und den baltischen Staaten Englisch weit gebräuchlicher ist als etwa Französisch.
Mit Blick auf die in der laufenden „Brexit“-Sprachendebatte herumgereichten Eurobarometer-Zahlen ist Englisch mit knapp 50 Prozent auch die weitaus am häufigsten gesprochene Sprache der gesamten EU. Ausschlaggebend dafür ist der Anteil jener, die Englisch als Fremdsprache sprechen, denn als Muttersprache liegt Englisch zusammen mit Italienisch hinter Deutsch nur auf Platz zwei. Nach dem „Brexit“ wird Englisch nur noch für rund ein Prozent der EU-Bürger die Muttersprache sein - und selbst dann die am häufigsten gesprochene Sprache bleiben.
Links:
Peter Prantner, ORF.at, aus Brüssel