Themenüberblick

Eine besondere Beziehung

Die Herrschaft über die Seewege war es, die kleinen europäischen Reichen jahrhundertelang die globale Vorherrschaft gesichert hat. Doch nicht nur in politischer und militärischer Hinsicht hatte der Kontinent immer schon eine besondere Beziehung zur See, wie die derzeit laufende Ausstellung „Europa und das Meer“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin zeigt.

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Europas Küstenlinie erstreckt sich über 70.000 Kilometer. Der kleine Kontinent hat sie über die Jahrhunderte zu seinem größten Vorteil gemacht: Von ihrer Küste aus richteten die Europäer Handels- und Verkehrswege ein, die sich beinahe über den gesamten Erdball spannten. Auf den Ozeanen transportierten sie Menschen, Waren, Wissen, rechtliche und verwaltungstechnische Normen, Lebensgewohnheiten und moralische Werte.

Bucht in Giechenland

Getty Images/Paul Biris

Schiffswrackbucht auf Zakynthos: Das Verhältnis zum Meer hat Europa geprägt

Anhand von 400 Objekten aus der eigenen Sammlung und von internationalen Leihgebern begibt sich das DHM auf eine Suche nach den Spuren dieses maritimen Austauschs. Sie reichen weit zurück: Über die antiken Fundamente des Hafen von Piräus in Griechenland wird in „Europa und das Meer“ erzählt, wie die Griechen im 8. Jahrhundert vor Christus begannen, sich das Meer anzueignen. Über ein Netz aus Handelsstützpunkten kontrollierten sie den Mittelmeer-Raum und dehnten ihren Einfluss bis an die Küsten des Schwarzen Meeres aus.

Küste gegen Hinterland

Mit den Griechen verbreitete sich das Athener Geld und das attische Handelsrecht. Normen für Maß- und Gewichtseinheiten garantierten den reibungslosen Handel zwischen Geschäftsleuten unterschiedlichster Herkunft. Literarisch schlug sich die enge Beziehung zum Meer in der Ilias und der Odyssee nieder, die beide dem griechischen Dichter Homer zugeschrieben werden.

Europa auf dem Stier, 500–475 v. Chr.

bpk / Antikensammlung, SMB / Johannes Laurentius

Europa auf dem Stier (500–475 v. Chr.): Auf seinem Rücken reiste die mythologische Figur, die dem Kontinent ihren Namen gab, über das Meer

Das Duell Seemacht gegen Landmacht prägte die Antike nicht nur militärisch, sondern auch ideologisch. Der Konflikt zwischen der weltoffenen Demokratie in dem am Meer gelegenen Athen und der aristokratischen Landmacht Sparta steht stellvertretend für den Gegensatz von Küste und Hinterland.

Ausstellungshinweis

„Europa und das Meer“, bis 6. Jänner 2019, Deutsches Historisches Museum Berlin, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr (24. Dezember geschlossen).

Die Weltoffenheit der Küstenstädte war manchem Zeitgenossen in der Antike ein Dorn im Auge: „Städte am Meer aber weisen auch eine bestimmte Verderbnis und Veränderlichkeit des sittlichen Zustandes auf“, schrieb schon der römische Politiker und Philosoph Cicero (106 bis 43 v. Chr.). Und weiter: „Nichts aber hat mehr Karthago und Korinth lange erschüttert und schließlich zugrunde gerichtet als diese Heimatlosigkeit und Zerstreuung der Bürger, weil sie in ihrer Gier nach Handel und Seefahrt Bebauung der Fluren und Übung der Waffen vernachlässigt hatten.“

Vorläufer der Fließbandproduktion

Vom griechisch-römischen Altertum führt die Schau weiter ins Reich der Seerepublik Venedig, dem „Prototyp der modernen Seemacht“, wie es im Ausstellungskatalog heißt. Getrieben von Handelsinteressen dehnten die Dogen ihren Einfluss vom 12. bis zum 16. Jahrhundert über die Adria bis tief hinein ins Mittelmeer aus. Zum Schutz seiner Handelsinteressen baute der „Meeresstaat“ eine für die damalige Zeit einzigartige Marine auf.

Bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts war die staatliche Schiffswerft des kleinen Reiches das größte Industrieunternehmen der Welt. Neben Handels- und Kriegsschiffen wurden unter anderem Taue, Segel, Schießpulver und Waffen hergestellt. Um schneller produzieren zu können, wurden die Fertigungsprozesse in einzelne Schritte zerlegt - und so die Fließbandproduktion vorweggenommen.

Folgenschwere Expansion

Die in der Ausstellung beleuchteten Themenkomplexe sind mit europäischen Küstenstädten verknüpft. An den Beispielen Lissabons und Sevillas wird die folgenschwere Expansion der Seemächte Portugal und Spanien in die „Neue Welt“ nachgezeichnet. Die portugiesische Hauptstadt wurde zum Knotenpunkt für den Austausch mit Asien.

Antonie Volkmar, Abschied der Auswanderer, 1860

Deutsches Historisches Museum, Berlin

„Abschied der Auswanderer“ von Antonie Volkmar (1860): Europa wurde vom Auswanderungs- zum Einwanderungskontinent

Von Afrika bis nach Ostasien baute Portugal ein Netz von Militär- und Handelsstützpunkten auf. Ziel war die Kontrolle des lukrativen Handels mit Gewürzen. Auf der anderen Seite nutzten die Jesuiten Lissabon als Ausgangshafen für ihre Bemühungen, Ostasien zu missionieren. Der zentrale Hafen für die spanische Expansion nach Westen war Sevilla. Die Eroberer brachten unermessliches Leid in die „Neue Welt“. Die Neuankömmlinge zerstörten die Hochkulturen der Azteken und Inka.

In Afrika wiederum wurden von den europäischen Mächten bis zum 19. Jahrhundert mehr als 13 Mio. Menschen versklavt. Auch ihre Geschichte wird im DHM erzählt - ausgehend von der französischen Hafenstadt Nantes, einst Zentrum des Menschenhandels. In der Ausstellung gezeigt werden auch Pierre Bontiers und Jean le Verriers Chronik über „Die Eroberung und die Eroberer der Kanarischen Inseln“ und der Grundriss des französischen Sklavenschiffes „Marie-Seraphique“. Die Exponate sollen laut den Kuratorinnen und Kuratoren verdeutlichen, „dass machtpolitische Interessen, das Streben nach wirtschaftlicher Dominanz und koloniales Denken“ bei der Expansion der europäischen Reiche „fast immer Hand in Hand gingen“.

Brücke in die Jetztzeit

Die Schiffsbaukunst wird in „Europa und das Meer“ anhand der Entwicklungen in Amsterdam erzählt, der Welthandel am Beispiel London. Die Brücke in die Jetztzeit wird in der Ausstellung, die sich über zwei Etagen des Museums zieht, über das Thema Migration geschlagen. Zwischen 1840 und 1880 wanderten über 15 Mio. Menschen aus Europa aus.

Im 20. und 21. Jahrhundert drehte sich das Verhältnis ins Gegenteil: Aus dem Auswanderungskontinent Europa wurde ein Einwanderungskontinent. Auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung und auf der Suche nach einem besseren Leben wagten Mio. Menschen die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer. Tausende kamen dabei ums Leben. Im DHM ist das Smartphone eines Geflüchteten ausgestellt.

Max Liebermann, Badende Knaben, 1902

Museum Kunst der Westküste, Alkersum/Föhr

Max Liebermanns Gemälde „Badende Knaben“ (1902): Das Meer ist heute Sehnsuchtsort für Touristinnen und Touristen

Für Europäerinnen und Europäer wurde dagegen das Meer zum Sehnsuchtsort: In den vergangenen Jahrzehnten hat der Tourismus deutlich angezogen. Getrieben von der Aussicht auf Erholung zieht es alljährlich Tausende Menschen an die Küsten des Kontinents. Das DHM blickt in der Schau zurück auf die Anfänge des Badeurlaubs, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Die ökologischen Auswirkungen des Fremdenverkehrs führen dann wieder direkt in die Jetztzeit, ebenso wie die thematisierte Nutzung natürlicher Ressourcen aus dem Meer und der Klimawandel.

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