Zwischen Genuss und Gefahr
Mit den ersten lauen Abenden des Jahres füllen sich Schanigärten, Bars und Parks wieder mit Leben. Es wird geredet, gelacht - und getrunken. Gerade in Österreich ist der Konsum alkoholhaltiger Getränke fest in der Alltagskultur verankert. Doch woher kommt dieser gesellschaftliche Zwang des Trinkens? Und wo verläuft die Grenze zwischen Genuss und Gefahr?
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„Sektlaune“, „weinselig“, „angeheitert“ - welche Rolle Alkohol in der Gesellschaft spielt, spiegelt sich auch in der Sprache wider. Dass Alkohol in Österreich als Kulturgut gilt, beweisen nicht zuletzt regionale Bezeichnungen wie Most- und Weinviertel. Doch egal ob Most, Wein oder Bier - als „soziales Schmiermittel“ sorgt Alkohol bekanntermaßen für gute Stimmung, Lockerheit und Entspannung. Laut dem statistischen Jahrbuch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt Österreich beim Alkoholkonsum weltweit im Spitzenfeld. 10,6 Liter reiner Alkohol werden hierzulande pro Kopf und pro Jahr getrunken.
Trinken als Ritual
Von Alkoholkonsum als gesellschaftlichem Zwang würde die Leiterin des Wiener Instituts für Suchtprävention, Lisa Brunner, gegenüber ORF.at zwar nicht sprechen, dennoch sei es ihrer Meinung nach fast unmöglich, sich dem Trinken völlig zu entziehen: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Alkohol fast immer und überall angeboten wird. Zahlreiche traditionelle Feste und Anlässe werden oft mit teilweise übermäßigem Konsum von Alkohol verbunden.“ Dieser werde gesellschaftlich vermittelt, individuell angeeignet und mit einem subjektiven Sinn versehen.
Bedürfnis nach Zugehörigkeit
Die Vorliebe für ritualisiertes Trinken in einer Runde durchziehe seit der Antike alle Generationen, Lebenslagen und Gesellschaftsschichten, so die deutsche Gesundheitspsychologin Laura Einwanger. Pragmatisch betrachtet handle es sich bei Alkohol um eine einfach und kostengünstig zu beschaffende Droge, diese wirke bereits ab einer geringen Menge stimmungsaufhellend.
Auf einer psychologischen Ebene sei vor allem ein Aspekt besonders auffällig: Trinkgelage fanden seit jeher in Gruppen statt. Und wer nicht mittrinkt, ist nicht Teil dieser Gruppe. Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sei ein zutiefst menschliches Bedürfnis und beeinflusse sowohl die soziale Identität als auch den Selbstwert in einer positiven Art und Weise, so Einwanger - und das mache vor allem Jugendliche anfällig.
Unterbrechung des Alltags
Im Erwachsenenalter hingegen wird Alkohol oft als Mittel zur Stressreduktion verwendet. Die gesellschaftliche Bedeutung und soziale Dimension solcher Rituale thematisiert auch der Wiener Philosoph Robert Pfaller. Er sieht Feiern als Unterbrechung des profanen Alltags und spricht von einer „gewaltigen", aber auch subversiven Kraft, die diesem zukommt. Der den Genuss zelebrierende Pfaller ist mit seinen Thesen aber nicht unumstritten. Er muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, mit der Alkohol- und Tabakindustrie zusammenzuarbeiten.
Hohes Schadens- und Suchtpotenzial
Um ein „harmloses Kulturgut“ würde es sich bei dem Genussmittel aber keineswegs handeln, so Brunner: „Es ist sicher so, dass Alkohol in Österreich als Teil des kulturellen Zusammenlebens betrachtet wird, sowohl aus traditioneller, geschichtlicher als auch aus geografischer Sicht.“ Und weiter: „Alkohol ist ein legales Suchtmittel. Nur leider sagt der rechtliche Status einer Substanz nicht automatisch etwas über das Schadens- und Suchtpotenzial aus“, sagt Brunner.
Dieser Status sei es auch, der dazu führe, dass viele Menschen alkoholische Substanzen als gänzlich unproblematisch wahrnehmen würden. Zudem sei immer noch zu wenig über die negativen Auswirkungen von übermäßigem Alkoholkonsum bekannt. Des Weiteren beeinflusse die mediale Vermittlung die Wahrnehmung.
So wird der Alkoholkonsum in Film und Fernsehen nach wie vor als normaler Bestandteil des Lebens dargestellt. Abschließend sei auch der Wirtschaftsfaktor nicht zu vergessen: „In den letzten Jahrhunderten ist es zur Bildung eines eigenen Industriezweigs gekommen. Alkohol stellt natürlich auch ein sehr lukratives Geschäft dar“, so Brunner.
Schmaler Grat zur Sucht
Der Grat zwischen genussvollem Alkoholkonsum und problematischen Trinken ist allerdings ein schmaler: „Alkohol ist ein heikles Thema, nicht zuletzt deshalb, weil es so widersprüchlich besetzt ist. Einerseits gehören alkoholische Getränke zweifellos zum österreichischen Alltag. Anderseits haben in unserem Land 14 Prozent der Bevölkerung einen problematischen Umgang mit Alkohol, rund fünf Prozent sind sogar alkoholabhängig“, so Alexander Hagenauer, stellvertretender Generaldirektor im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, anlässlich der Vorstellung des Ratgeberbuches „Alkohol – Zwischen Genuss und Gefahr“ Anfang Mai.
Auf die Menge kommt es an
Entscheidend dafür, ob es sich bei Alkoholkonsum um ein Genussmittel oder eine Gefahrenquelle handelt, ist die Menge. Die „Harmlosigkeitsgrenze“ für Frauen wird bei 16 Gramm Reinalkohol pro Tag gesehen. Dem entsprechen 0,2 Liter Wein oder 0,4 Liter Bier. Bei Männern erhöht sich die Grenze auf 24 Gramm – also 0,6 Liter Bier oder 0,3 Liter Wein. Problematisch wird es, wenn die Menge zunehmend gesteigert wird, heißt es in dem Ratgeberbuch. Denn mit der Erhöhung der Dosis steigt gleichzeitig die Toleranz für Alkohol im Nervensystem und meint das, was umgangssprachlich „Trinkfestigkeit“ genannt wird.
Schleichende Abhängigkeit
Die Alkoholsucht tritt meist schleichend ein und bedarf immer einer medizinischen Abklärung. Typisch für den Übergang zur Abhängigkeit ist die zunehmende Verharmlosung und Verheimlichung des Konsums. Das kann lange Zeit gutgehen, da die körperlichen und psychischen Folgeerscheinungen des Missbrauchs oft lange auf sich warten lassen. Die Erkrankung entwickelt sich langsam, oftmals können bis zu 15 Jahre vergehen, bis es zu einer Behandlung kommt.
Verantwortung statt Enthaltsamkeit
„Alkoholabhängigkeit ist die häufigste Diagnose bei Suchterkrankungen in Österreich. Dennoch ist es nach wie vor ein Tabuthema“, meint Brunner. Aufgrund der großen gesundheitspolitischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Bedeutung stellt sie sie sich die Frage, wie bereits vor Entstehung einer Suchtkrankheit mit riskantem Konsum umgegangen werden kann.
Der Suchtprävention kommt hierbei eine zentrale Rolle zu. Brunner fordert eine sachliche und emotionsfreie Debatte. Schließlich gehe es nicht darum, Alkoholkonsum zu verdammen und Enthaltsamkeit zu propagieren, sondern um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Substanz. Sie zeigt sich davon überzeugt, dass es ein großes Spektrum zwischen Sucht und Abstinenz gibt. Ein wichtiges Ziel der Prävention sei die Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen eigenen Konsummotiven. Dabei geht es um die Frage, ob man Alkohol bewusst und kontrolliert genießt oder etwa in Krisen zu Alkohol greift und versucht, dadurch Stress und Ärger zu bekämpfen.
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