Xylella lässt Südeuropa erzittern
Die Zeiten für Olivenölproduzenten könnten ertragreich sein - in den vergangenen drei Jahrzehnten ist der weltweite Konsum um 73 Prozent gestiegen. Doch für Teile der Anbauländer Europas liefen die vergangenen Saisonen katastrophal. Xylella fastidiosa nennt sich das für massenhafte Ernteausfälle verantwortliche Bakterium. Bisher gibt es kein Mittel dagegen.
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Das Feuerbakterium, das ursprünglich aus Amerika stammt, ist der Erreger von Krankheiten bei mehr als 100 Pflanzenarten, darunter Nutzpflanzen wie Wein, Oliven und Zitronen, aber auch größere Baumarten wie Eichen oder Ahorn. Es wird durch saugende und stechende Insekten, vor allem Zikaden, übertragen. Die Insekten tragen es in die Krone von Bäumen oder auf kleinere Pflanzen, das Bakterium dringt in die Flüssigkeitsbahnen ein und verstopft diese. Die Wasserzufuhr durch die Äste und den Stamm hin zu den Blättern kommt nach und nach zum Erliegen, die Blätter verfärben sich braun, und es werden nur noch kleine, harte Früchte gebildet. Letztlich sterben die Pflanzen ab, die Ansteckungsgefahr ist immens.

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Der Olivenbaum ist immergrün, jede Braunfärbung folglich ein Grund zur Sorge
Kein Gegenmittel in Sicht
Ein wirksames Gegenmittel ist bisher nicht bekannt, eine schnelle Ausbreitung lässt sich nur verhindern, indem bereits betroffene Pflanzen verbrannt oder gefällt werden. Nachdem befallene Pflanzen aber über Monate keine Symptome zeigen, kommt auch diese Maßnahme oft zu spät. Die EU hat ihre Mitgliedsländer bereits vor Jahren verpflichtet, neue Ausbrüche zu melden, Daten zu sammeln und die betroffenen Regionen abzugrenzen. Wegen des hohen Übertragungsrisikos wurde für Kaffeepflanzen aus Honduras und Costa Rica ein Importverbot verhängt.
Innerhalb der EU wurde das Bakterium erstmals im Oktober 2013 in Apulien nachgewiesen. Zwei Jahre später hatte Xylella fastidiosa das spanische Festland erreicht, Fälle wurden seitdem auch auf den Balearen, Korsika und an der französischen Cote d’Azur verzeichnet. Selbst aus Deutschland und der Schweiz wurde der Nachweis des Erregers gemeldet.
Die Reblaus lässt grüßen
Wissenschaftler vergleichen den Vormarsch des Bakteriums mit der verheerenden Reblausplage, die im späten 19. Jahrhundert über die europäische Weinindustrie hereinbrach und große Teile des Weinbaus auf dem Kontinent zerstörte. Eingeschleppt wurde die Seuche auch in diesem Fall aus Amerika - die Weinrebe Vitis aestivalis wurde damals zuhauf in die Alte Welt verschifft.

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Ganze Wirtschaftszweige in Südeuropa könnten in Existenznot geraten, sollte Xylella sich weiter verbreiten
Rodungsprogramm verordnet
Schon zu Beginn der Xylella-Seuche hatte die EU Italien aufgefordert, ein radikales Programm zur Abholzung von befallenen und benachbarten gesunden Bäumen zu starten, um die Ausbreitung einzudämmen. 2015 aber stoppten mehrere Staatsanwälte Apuliens diese Anordnung und leiteten Ermittlungen gegen zehn Forscher und Behördenvertreter ein. Sie warfen den Beschuldigten vor, „unwahre“ Fakten übermittelt und die EU so zu einer falschen Einschätzung gebracht zu haben. Es gebe „keinen Beweis“ für eine Verbindung zwischen dem Bakterium und den Austrocknungserscheinungen der Bäume, argumentierten die Staatsanwälte und forderten weitere Untersuchungen, bevor Bäume gefällt würden.
Übergriffe und Verschwörungstheorien
Vorausgegangen waren der Aktion der Staatsanwaltschaft heftige Proteste der ansässigen Olivenbauern. Pflanzenschutzbeauftragte der EU wurden Ziel von Übergriffen, sogar zu Entführungen soll es gekommen sein. In Sozialen Netzwerken verbreiteten sich alternative Erklärungen für das plötzliche Sterben der Bäume: Luftverschmutzung, Klimawandel, die jahrelange Zerstörung des Bodens durch Pestizide. Auch Verschwörungstheorien grassierten, etwa wurde behauptet, die Mafia habe Wissenschaftler der Universität Bari in Nordapulien bestochen, das Bakterium in die Umwelt zu entlassen – angeblich mit dem Ziel, abgestorbene Olivenhaine als billiges Bauland für Tourismusprojekte zu ergattern.
Der Europäische Gerichtshof sprach im Juni 2016 schließlich ein - vermeintliches - Machtwort: Das Fällen gesunder Olivenbäume, die weniger als 100 Meter von einem kranken Baum entfernt stehen, sei zulässig und durch das Vorsorgeprinzip gerechtfertigt. „Die Maßnahme steht in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel des Pflanzenschutzes in der Union“, hieß es. Die EU-Kommission leitete wegen Verzögerungen im Kampf gegen die Ausbreitung des Pflanzenschädlings ein Strafverfahren gegen Italien ein.
Italiens Behörden versagten
Vor einem Jahr listete die EU-Kommission dann zahlreiche Versäumnisse der italienischen Behörden auf. Ihrer Meinung nach wurde nicht nur das systematische Monitoring der Infektion zu spät begonnen, auch die infizierten Bäume seien nur mit „extremer Verzögerung“ beseitigt worden, berichtete damals das Magazin „Spektrum der Wissenschaft“.
Darüber hinaus hätten die Behörden bis dato lediglich etwas mehr als die Hälfte der bereitgestellten zehn Millionen Euro für Eindämmungsmaßnahmen ausgegeben. „Die ganze Situation ist lächerlich“, wurde der Pflanzenpathologe Giovanni Martelli von der Universität Bari in Nordapulien zitiert. „Die Behörden waren einfach immer zu langsam, wenn rasche Aktionen nötig gewesen wären“, kritisierte er.
„Atemberaubende Epidemie“
Staatliches Versagen und die aggressive Natur des Bakteriums scheinen einen Sieg im Kampf gegen Xylella unmöglich gemacht zu haben. Wissenschaftler fürchten gar, dass sich die Ausbreitung durch Mutationen noch beschleunigen könnte.
Rodrigo Almeida, der in Berkeley an der University of California zu Xylella forscht, sprach gegenüber dem Branchenmagazin „Olive Oil Times“ von einer „atemberaubenden, kaum in den Griff zu bekommenden Epidemie“. Sein Kollege Alexander Purcell pflichtete bei: Das Bakterium sei in der apulischen Region Salento derart verbreitet, „dass eine Ausrottung nicht mehr möglich scheint“.
In dieser Region am italienischen Stiefelabsatz prägt Xylella ganze Landstriche. Zehntausende Bäume mussten gefällt werden, Millionen weitere sind vermutlich infiziert. Anfang April meldete Italiens staatliche Nachrichtenagentur ANSA eine Vervierfachung der befallenen Bäume in einer Pufferzone nördlich von Salento.

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Griechenland blieb bisher von der Seuche verschont
„Schädlinge kennen keine Grenzen“
Im Dezember des Vorjahres warnte der für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissar Vytenis Andriukaitis, Xylella sei „die größte Pflanzengesundheitskrise der EU seit vielen Jahren“. Infolge des Klimawandels und der Globalisierung des Handels könnte sich diese noch verschlimmern. „Nachdem Schädlinge keine Grenzen kennen, muss jeder seinen Beitrag dazu leisten, dass Pflanzen in der EU gesund bleiben und schwerwiegende Folgen für Landwirtschaft, Budget und Kommunen vermieden werden“, sagte er.
Wie schnell sich die Lage zuspitzen kann, zeigte sich jüngst im spanischen Andalusien: Anfang des Jahres gab die lokale Regierung bekannt, dass keine Xylella-Fälle in der Region zu verzeichnen seien. Ein Aktionsplan, der Prävention und Überwachung vorsieht, habe sich bewährt. Mitte April aber wurde das Bakterium in einer Baumschule für Zierpflanzen nachgewiesen - ein eher harmloser Fall, da sich die Pflanzen in einer geschlossenen Umgebung befanden.
Doch was für eine Katastrophe ein Ausbruch der Seuche in der Gegend bedeuten würde, lässt sich erahnen: Andalusien ist der größte Olivenölproduzent in Spanien, 930.000 Tonnen, fast ein Drittel der weltweiten Olivenölproduktion, werden hier hergestellt.
Griechenland trägt noch weiße Weste
Griechenland ist der einzige der größten Olivenölerzeuger in Europa, der noch nicht von Xylella betroffen ist, aber die Alarmglocken schrillen auch hier. Auf einer Pflanzenschutzkonferenz in der Stadt Larisa äußersten Wissenschaftler unlängst ihre Befürchtung, dass der Import von Pflanzen aus Italien eine erhebliche Gefahr darstelle. Auch zeigten sie sich skeptisch gegenüber der angeblichen Resistenz gegen das Bakterium, die einigen Sorten zugeschrieben wird. Sie rieten den griechischen Erzeugern, erst zu handeln, wenn alle wissenschaftlichen Bewertungen abgeschlossen seien. Zu befürchten steht, dass der Name „Xylella“ bald weitaus mehr Menschen vertraut sein wird.
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