Rohrwacher, Lee, Wenders und der Papst
Alice Rohrwachers „Lazarro felice“, Spike Lees „Blackkklansman“, Wim Wenders’ Papst-Doku und Asghar Farhadis „Todos lo saben“: ein Blick auf die Highlights von Cannes - ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
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Die italienische Regisseurin Rohrwacher ist Jahrgang 1982 - und dennoch bereits Cannes-Veteranin mit viel Erfahrung. Schon ihr Debütfilm „Corpo celeste“ wurde 2011 in der Reihe „Quinzaine des realisateurs“ gezeigt - und mit diversen Preisen für die beste Nachwuchsregie ausgezeichnet. 2014 folgte dann der Durchbruch mit dem Jurypreis in Cannes für das italienisch-schweizerisch-deutsche Sozialdrama „Le meraviglie“.
Nun ist sogar die Goldene Palme in Griffweite. Der „Standard“ berichtete von 15-minütigem Applaus und von Ergriffenheit im Publikum bei der Premiere von „Lazarro felice“. In dem Film würden die Zwänge und Nöte der feudalen Gesellschaft mit den heutigen Verhältnissen verglichen. Der Kunstgriff dazu ist ein junger Wandler zwischen den Zeiten. Was verkopft klingt, sei Fabulieren auf höchstem Niveau: „Mehr kann Kino eigentlich nicht leisten.“
Die Mutter aller Filmfestivals
Kreischende Fans, Tausende Journalisten und Hollywood-Stars auf dem roten Teppich: Cannes erweist sich einmal mehr als die Mutter aller Filmfestivals.
Spike Lee in Bestform
Ein weiterer Favorit auf die Goldene Palme ist Spike Lees neues Werk „Blackkklansman“. Auch dieser Film wurde bei seiner Weltpremiere an der Croisette mit minutenlangen stehenden Ovationen bedacht. Die Mischung aus Krimisatire und politischer Anklage stellt laut Medienberichten die beste Arbeit des Regisseurs seit Langem dar.
Lee stellt seinem Film einen Prolog von Alec Baldwin als ebenso hasserfülltem wie lächerlichem Rassistenprediger im Gewand der 1950er voran - also von jenem Hollywood-Star, der mittlerweile legendär für seine Donald-Trump-Imitation ist. Als Epilog bringt Lee Nachrichtenausschnitte von der rechtsextremen Demonstration in Charlottesville 2017, die zu schweren Ausschreitungen führte. Am Ende steht eine US-Flagge auf dem Kopf und färbt sich sukzessive schwarz-weiß.
Schwarzer Humor und Blaxploitation
Dazwischen liegen zwei Stunden des Lee eigenen Genremix. Blaxploitation, das schwarze Subkulturkino, kommt da ebenso zu Ehren wie die Buddy-Cop-Filme der 70er und allgemein die Stilistik der Zeit mit Splitscreens und wiederholten Schnitten aus verschiedenen Perspektiven. Inhaltlich geht es in dem schwarzhumorigen Krimi um den Ku-Klux-Klan, gegen den Ende der 70er Jahre von einem schwarzen Polizisten ermittelt wurde.
Wenders’ Hommage an den Papst
Ganz anders der mit Spannung erwartete Beitrag, den der Deutsche Wim Wenders nach Cannes brachte: „Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes“ ist eine Dokumentation über den Pontifex. Dabei geht es nicht um dessen Biografie, sondern vielmehr um seine Ideen, Meinungen und Überzeugungen. „Die Welt heute ist eine taube Welt“, sagt der Papst darin. Viele seien gleichgültig dem Leiden anderer gegenüber. Er prangert soziale Missstände an, die „Plünderung der Erde“ und das Ausgrenzen von Menschen anderer Kulturen und Religionen. „Es gibt heute viel Armut, das ist ein Skandal“, sagt er. „Der Versuchung des Reichtums erliegen viele, auch in der Kirche.“
Ikonen unter sich
Die deutsche Regie-Ikone Wenders zeigt außerhalb des Wettbewerbs in Cannes eine Papst-Doku. Im Vatikan erhielt er ungewöhnliche Einblicke in die Arbeit des Papstes.
Wenders outete sich im Interview mit „kulturMontag“ als bekennender Fan des Papstes: „Ich kann nur Filme machen über etwas, das ich sehr liebe. Weil für mich ist das die Kraft, die mich treibt, dass ich das teilen möchte mit jemandem.“ Beeindruckt habe ihn vor allem die kritische Haltung des Papstes zu den Themen Armut und Klimawandel. Kritische Stimmen sind in dem Film nicht zu hören: „Ich wollte keinen Film machen, der eine kritische Distanz hat zum Papst. Das können andere viel besser.“
Von Trier lässt das Publikum fliehen
Unterdessen sorgte Lars von Trier bei seinem Comeback in Cannes erneut für Schockmomente: Wegen extremer Gewaltszenen in seinem neuen Film verließen mehrere Zuschauer die Vorführung von „The House That Jack Built“. In einer Szene werden etwa Kinder ermordet, in einer anderen werden einer Frau die Brüste abgeschnitten.
Von Trier bricht in seinen Filmen regelmäßig Tabus und zeigt besonders brutale und sexuell explizite Szenen. Dieses Mal warnte er seine Zuschauer vor: Auf ihren Tickets wurden sie vor „gewaltsamen Szenen“ gewarnt. In dem Film spielt der US-Schauspieler Matt Dillon einen Serienmörder.
Der 62-jährige von Trier war zuletzt vor sieben Jahren bei dem Filmfest vertreten. Damals hatte er einen Skandal ausgelöst, als er Sympathie für Adolf Hitler bekundete. Die Festivalleitung erklärte ihn daraufhin in einem beispiellosen Schritt für unerwünscht. Für die Äußerung entschuldigte sich der Däne später. Dass er in diesem Jahr erstmals wieder eingeladen wurde, kommentierte er nicht.
Neues von Polanski
Neben programmierten Skandalen zeichnen sich auch Flops ab. In seinem neuen Film „Nach einer wahren Geschichte“ erzählt Roman Polanski von der kontraproduktiven Beziehung zweier Frauen. Das geriet ihm in Anbetracht allzu bekannter Versatzstücke ziemlich beliebig. Der Regisseur, gegen den in den USA ein Verfahren läuft, weil er 1977 eine 13-Jährige missbraucht haben soll, erzählt die Geschichte der Schriftstellerin Delphine (Emmanuelle Seigner), die am Ende ihrer Kräfte ist. Obwohl ihr letztes Buch zum Bestseller avancierte, leidet sie unter einer schlimmen Schreibblockade.
Ein Umstand, der auch mit dem Inhalt dieses Romans zusammenhängt. Darin geht es um das schwierige Verhältnis zu ihrer Familie, das ihr seit Kindheitstagen all ihre Kraft abverlangt. Eines Tages lernt sie zwischen Autogrammstunden und Interviews eine charmante Frau namens Elle (Eva Green) kennen. Für Delphine wird sie zu einer Art Muse, die sie zu immer neuen Gedankengängen inspiriert. Schließlich beginnt die Autorin, über Elle zu schreiben und scheint darin endlich das Thema für ihren nächsten Bestseller gefunden zu haben. Doch Elle hat ganz andere Pläne, die Delphine zu spät durchschaut. Klingt spannend, ist es laut Medienberichten aber nicht.
Farhadi brachte große Namen nach Cannes
Gemischte Kritiken waren in den Feuilletons auch über den neuen Psychotrhiller des zweifachen iranischen Oscar-Preisträgers Asghar Farhadi zu finden. Mit „Todos lo saben“, dem ersten spanischsprachigen Film des in seiner Heimat politisch verfolgten Farhadi, wurden die Filmfestspiele heuer eröffnet. Der Regisseur von Filmen wie „Nader und Simin“ und „The Salesman“ brachte mit seinen Hauptdarstellern Javier Bardem und Penelope Cruz gleich zwei Stars mit an die Croisette.
In dem Film geht es um eine dysfunktionale Familie, die zusätzlich durch eine Entführung erschüttert wird. Der „Hollywood Reporter“ schreibt: „Herausgekommen ist dabei ein seltsamer, etwas enttäuschender Hybrid aus einem geschwätzigen Thriller und einem Familiendrama.“ Versöhnlich heißt es dann jedoch: Mit geballter Starpower wird das schon an den Kinokassen funktionieren.
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