„Realität ist immer einen Schritt voraus“
Im 16. Jahrhundert hat es zwar bereits Abbilder von der Erde gegeben, große Teile sind aber noch vor ihrer Entdeckung gestanden. Japan, Brasilien und die arabische Halbinsel waren bereits skizziert, andere Gebiete noch nicht. Heutzutage ist das freilich anders. Und doch gibt es - kaum vorstellbar - immer noch weiße Flecken auf den Landkarten.
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Das hat auch seine Gründe - nämlich die raschen Veränderungen, die sowohl durch den Menschen als auch durch die Natur verursacht sind. Beispielsweise sind einige Städte Afrikas und Asiens derart schnellen baulichen Veränderungen unterworfen, dass diesen nicht einmal Webkartendienste wie Google Maps nachkommen.
Relikte der Vergangenheit
Aber auch jene Veränderungen, die ohne direkte Eingriffe geschehen, können von Kartografen kaum zeitnah erfasst werden. Die meisten dieser Veränderungen gehen auf die globale Erwärmung bzw. auf den Klimawandel zurück: Inseln verschwinden im Meer, Eisschollen verschieben sich (oder verschwinden ebenfalls), Gletscher schmelzen, Küstenverläufe ändern sich, und Wälder verschwinden oder entstehen auf künstliche Weise. Eine gedruckte Karte ist bereits im Moment des Drucks ein Relikt der Vergangenheit.
„In dem Moment, in dem eine Karte einen Status quo abbildet, ist das bereits schon wieder überholt“, heißt es von einem Google-Maps-Experten gegenüber der BBC. „Die Realität wird immer einen Schritt voraus sein“, so der Experte weiter. Deshalb ist eines klar: Die Erde wird niemals aktuell abgebildet sein können. Doch es gibt auch noch andere Gründe für mangelnde Komplettheit: Webkartendienste folgen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Mehrheitsinteressen - die Unterrepräsentation bestimmter Orte der Welt äußert sich sogar auf vermeintlich aktuellen Onlinekarten.
Grobe Unschärfen
Auf diesen sind etwa Armenviertel bzw. Slums oft nur sehr unscharf eingezeichnet, auch Kriegsregionen bzw. Länder wie Nordkorea werden oftmals nur ansatzweise berücksichtigt. „Es handelt sich oft um Orte, die ein Staat nicht als Teil seiner Landschaft dargestellt sehen möchte“, erklärt Alexander Kent von der britischen Canterbury Christ Church University. „Hier geht es nicht darum, wie es dort wirklich aussieht. Es geht darum, dass es so dargestellt wird, wie der Kartograph es will“, so Kent.
Infolge dieser Vernachlässigung blieben kartographische Fehler oft jahrelang unentdeckt: Ein Beispiel dafür ist Ile de Sable (Insel aus Sand) zwischen Australien und Neukaledonien, deren Nichtexistenz erst vor zwei Jahren endgültig bestätigt wurde. Zweihundert Jahre lang war die Insel für existent gehalten worden und auch in den Karten entsprechend vermerkt - erst nach dem belegten Irrtum löschten viele Kartenhersteller die Insel aus ihren Werken. Auch Google Maps hatte die Insel eingezeichnet - sie ist zwar noch vermerkt, jedoch seit 2012 lediglich als Hinweis auf eine sogenannte Geisterinsel.
Vernachlässigte Ozeane
Zu den von Kartographen am wenigsten berücksichtigten Erdteilen zählen ausgerechnet die größten Flächen: die Ozeane. „Die große Unbekannte ist der Meeresboden“, sagt Jerry Brotton, Professor an der Queen Mary University London, gegenüber der BBC. Und das in Zeiten, in denen Meeresbodenbergbau zu einem immer wichtigeren Wirtschaftszweig wird. Doch gerade aufgrund steigender wirtschaftlicher Nutzung wird die wirklichkeitsgetreue Darstellung des Meeresbodens immer wichtiger. „Geografen beginnen zu verstehen, dass der Meeresboden ein großes ungelöstes Rätsel ist“, so Brotton.
Drang nach dem Mittelpunkt
Grundsätzlich gleicht auch heute keine Karte der anderen. Dem liegt ein bedeutender Umstand zugrunde: Ein dem Original völlig entsprechendes Abbild der Erde müsste ebenso groß sein - ansonsten wird es immer nur eine Annäherung bleiben. Bereits bei verhältnismäßig zur realen Größe absolut nicht bedeutsamen Größenunterschieden von Karten bzw. Globen würde dieses Abbildungsproblem entstehen. Dazu kommt noch, dass die Krümmung der Erde bei Karten oft auf unterschiedliche Weise berücksichtigt wird.
Darüber hinaus gibt es auch bei Kartographen den Drang, den jeweils eigenen Standort in den Mittelpunkt zu rücken. „Man selbst will sich immer auf der Karte sehen“, sagt Experte Brotton. Gleichzeitig sei es auch eine Position des Überblicks von oben, ein gewisses Machtgefühl. Zudem rücken - hinsichtlich des Herstellungsorts - Orte in den Vordergrund, die sonst nur an der Peripherie dargestellt sind.
Auf den Kopf gestellt
So gibt es etwa Weltkarten australischer Machart, die den Kontinent im Zentrum darstellen bzw. die (erfundene) Oben-unten-Ausrichtung auf den Kopf stellen. Auch kommt es zu einer zentristischen Überschätzung von Orten bzw. zu einer Unterschätzung wiederum anderer Gegenden. Auch wurde und wird etwa Afrika auf vielen Karten verhältnismäßig klein dargestellt. Auch politische, wirtschaftliche und religiöse Interessen spielten und spielen bei Kartographie stets eine Rolle: In Kriegszeiten etwa dienten Karten oft als Propagandamittel, um den Gegner kleiner darzustellen, als er war.
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