Zäher Kampf gegen Desinformation
„Die Zeit der Nachgiebigkeit ist vorbei“, hatte EU-Justizkommissarin Vera Jourova vor einer Woche im Europäischen Parlament in Straßburg erklärt. Der Facebook-Skandal dürfe nicht als Routine abgetan werden, das Herz der Grundprinzipien der EU sei getroffen worden. In einem Jahr wird ein neues EU-Parlament gewählt - die Sorge wächst, dass Falschmeldungen und Politpropaganda das Ergebnis beeinflussen könnten.
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Im März hatte Facebook eingeräumt, dass die persönlichen Daten von weltweit 87 Millionen Nutzern, darunter auch bis zu 2,7 Millionen Einwohner der EU, möglicherweise „in unangemessener Weise“ an das Unternehmen Cambridge Analytica weitergeben worden seien. Sie sollen unerlaubt für den Wahlkampf des heutigen US-Präsidenten Donald Trump ausgeschlachtet worden sein. Die in Russland ansässige Gruppe Internet Research Agency soll außerdem im großen Stil versucht haben, über gefälschte Facebook-Profile soziale Spannungen in den USA zu verschärfen und Stimmung für Trump zu machen.

Reuters/Eric Vidal
Menschen müssten „die Kontrolle über ihre Daten zurückerhalten“, sagte EU-Justizkommissarin Vera Jourova
Gefahr für Demokratie
Das EU-Parlament besteht in dem Datenskandal auf eine persönliche Anhörung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Auch mit Blick auf die Europawahl 2019 sei es „dringend notwendig, überzeugende Klarstellungen zur mutmaßlichen Rolle von Cambridge Analytica“ beim „Brexit“-Referendum in Großbritannien und bei Wahlkämpfen in den EU-Mitgliedsstaaten zu liefern, sagte Parlamentspräsident Antonio Tajani.
Der spanische EU-Abgeordnete Esteban Gonzalez Pons bezeichnete die Affäre nur als Spitze des Eisbergs. In der digitalen Welt würde nicht genug auf Sicherheit geachtet, sagte Pons im Parlament. Wenn immer mehr Lügen in Sozialen Medien verbreitet werden, könne das die Demokratie aushöhlen. Auswirkungen könne es damit auch auf die nächsten Wahlen geben - das müsse verhindert werden.
Sorge vor Politpropaganda
Die Alarmglocken schrillen also: Nur ein Jahr bleibt der EU noch bis zur Europawahl, um ein wirksames Werkzeug gegen die Verbreitung von Falschmeldungen und Politpropaganda zu finden. Das zersplitterte Wahlsystem in den Mitgliedsländern erschwert die Ausgangslage. „Ein wirksames Vorgehen ist nur möglich, wenn die EU und nationale Obrigkeiten an einem Strang ziehen“, zitierte die Zeitung „Politico“ die tschechische Abgeordnete Dita Charanzova. „Ich glaube nicht, dass die Wahlbehörden gut vorbereitet sind.“
Am Mittwoch und Donnerstag treffen sich die Verantwortlichen auf EU-Ebene, um die derzeitige Lage zu erörtern. Kommissarin Jourova sagte, Mitgliedsländer sollen dabei ihre Erfahrungen im Kampf gegen Desinformation schildern. Zwar stehen auch andere Themen auf der Agenda, etwa die Beteiligung von Wählern mit Beeinträchtigungen und von Minderheiten oder die Briefwahl. Doch der Fokus wird auf Social-Media-Kommunikation und die damit verbundenen Gefahren gesetzt.
Im Osten ging es bergab
Brüssel selbst sind dabei die Hände weitgehend gebunden. Punkto Wahlrecht, räumte Jourova an, seien die Befugnisse der EU sehr bescheiden. Also müsse das Problembewusstsein in den einzelnen Mitgliedsstaaten gestärkt werden, diese sollten einander unterstützen, effektive Mittel im Kampf gegen Betrug und illegale Datensammlung zu entwickeln. Öffentlich-rechtlichen Medien müssten ausreichend Mittel für die Aufrechterhaltung von qualitativer Berichterstattung zur Verfügung gestellt werden.
„Die Mediensituation etwa in osteuropäischen Ländern hat sich verschlechtert“, sagte Christophe Deloire, Chef der Organisation Reporter ohne Grenzen. „Wir rufen unsere demokratischen Mitgliedsländer dazu, die Rolle des Journalismus zu verteidigen und zu stärken.“ Im Kampf gegen „Fake News“ würden Qualitätsmedien eine entscheidende Rolle spielen.
„Verhaltenskodex“ für Onlineunternehmen
Die EU-Kommission vertraut auf verstärkte eigene Bemühungen der großen Onlineunternehmen. Gemeinsam mit Internetplattformen und Medien soll bis Juli ein Verhaltenskodex erarbeitet werden, wie die Behörde am Donnerstag mitteilte. Ziel soll sein, Desinformation einzudämmen und den Zugang zu vertrauenswürdigen Informationen zu erleichtern. Qualitätsmedien und Faktenprüfer sollen gestärkt werden.
Die Behörde entschied sich nach eigenen Angaben gegen gesetzliche Maßnahmen, weil das dringende Problem einer raschen Lösung bedürfe und ein Gesetzgebungsverfahren zu lange dauern würde. Der bis Juli geplante Kodex und die Selbstregulierung der Branche sollen schon bis Oktober „messbare Wirkung“ bringen. Bleibe der Erfolg aus, seien gesetzgeberische Maßnahmen gegen „einige Plattformen“ möglich.
Unterstützung naht dennoch: Am 25. Mai tritt in der EU das neue Datenschutzgesetz in Kraft. Dieses sieht strenge Regeln für die Verarbeitung personenbezogener Daten vor, bei Missachtung drohen hohe Strafen. Zumindest in dieser Hinsicht sieht sich Brüssel als Vorreiterin: „Demokratische Staaten auf der ganzen Welt nehmen die Datenschutzgrundverordnung jetzt als Inspiration“, sagte Jourova.
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