„Politik des Drüberfahrens“
Die Koalition hat am Dienstag mit der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) eines ihrer Lieblingsthemen aufgegriffen. Ein Vorschlag zur Reform der Mindestsicherung soll bereits Anfang Juni auf den Tisch gelegt werden, verkündeten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Auf die Länder, die selbst Vorschläge liefern wollten, werde man nicht warten.
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Der Solo der Bundesregierung kam überraschend. Denn erst vor Kurzem hatten die Soziallandesreferenten in Absprache mit Sozialministerin Beate Hartinger (FPÖ) vereinbart, bis Ende des ersten Halbjahrs eigene Konzepte vorzulegen. Entsprechend verschnupft reagierten die Soziallandesräte von SPÖ und Grünen. Die ÖVP-Landeshauptleute wagten keinen Konflikt mit ihrem Bundesparteichef und zeigten sich mit der Vorgangsweise glücklich.

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Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache kündigten am Dienstag an, nicht auf die Vorschläge der Länder zu warten
So meinte etwa Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), es sei gut, dass der Bund das Thema angehe. „Ich habe immer gefordert, eine bundeseinheitliche Lösung auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, das gelingt auch. Sollte das aber nicht gelingen, werden wir unseren eigenen Weg in Niederösterreich gehen“, so Mikl-Leitner - mehr dazu in noe.ORF.at.
ÖVP-Landeschefs stellen sich hinter Kurz
Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) zeigte sich froh, wenn jetzt einmal die Bundesvorschläge artikuliert würden. „Dann können wir schauen, inwieweit von Länderseite noch Verhandlungen notwendig sein werden“, sagte Haslauer. Er befürworte aber klar eine Lösung, die gewisse Spielräume für die Länder vorsieht. „Die Situation ist ja nicht überall gleich. Bei uns ist die Wohnsituation etwas kostspieliger als sonst wo. Da braucht es eine gute Lösung.“
Tirols Landeschef Günther Platter (ÖVP) beschwichtigte und forderte mehr Gelassenheit. „Man muss nicht sofort wieder eine Gegenposition beziehen“, so der Landeshauptmann. Zurückhaltung hat sich hingegen Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) auferlegt, bis die Vorschläge am Tisch liegen. Zuletzt wurde unter anderem das Vorarlberger Modell als Schablone für eine bundesweite Lösung von mehreren Seiten angepriesen.
Keine näheren Details bekannt
Wie die künftige Mindestsicherung aussehen werde, ließen Kurz und Strache offen. Die Stoßrichtung entspricht aber dem, was ÖVP und FPÖ seit Monaten trommeln. Wenn Menschen neu ins System kämen, dürften sie nicht das Gleiche erhalten wie jene, die hier seit Jahrzehnten lebten, erklärte Kurz. Noch deutlicher wurde Strache. Man wolle den Zuzug ins österreichische Sozialsystem reduzieren. Ob und wie sie eine einheitliche Mindestsicherung, die bisher reine Ländersache ist, umsetzen, ist noch fraglich.

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Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) ist zufrieden mit dem Vorgehen der Regierung
In der Vergangenheit hat die Bundesregierung klargemacht, dass sie sich am oberösterreichischen Modell orientieren will, weshalb sich Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) auch gleich positiv gestimmt zeigte. Kritisch äußerte sich hingegen Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ). „Was kann man von Zusagen einer Ministerin halten und wie wird eine Ministerin von Kurz und Strache gegängelt?", so die Politikerin - mehr dazu in ooe.ORF.at.
Verärgert reagierten die grünen Soziallandesrätinnen Katharina Wiesflecker (Vorarlberg) und Gabriele Fischer (Tirol) sowie die Wiener Sozialsprecherin Birgit Hebein. Gemeinsam mit dem Bundessprecher Werner Kogler warnten sie vor einer verfassungswidrigen Vorgangsweise. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) habe erst kürzlich Regelungen mit einer Wartezeit und einer Deckelung von 1.500 Euro eine klare Abfuhr erteilt. Dass Kurz eine Politik der Ausgrenzung betreibe und Arme gegen noch Ärmere auszuspielen versuche, disqualifiziere sich von selbst.
SPÖ: Gespräche mit Ministerin „Zeitverschwendung“
Die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) hält Gespräche mit Hartinger ab sofort für „Zeitverschwendung“, wenn sie ohnehin von der Regierungsspitze desavouiert werde. "Jetzt wissen wir, was von solchen Zusagen zu halten ist. Die Bundesländer sind offenbar nichts mehr wert“, sagte sie am Dienstag - mehr dazu in steiermark.ORF.at.
Regierung plant Umsetzung in drei Bereichen
Die Regierung möchte in den nächsten Monaten in drei konkreten Bereichen Ergebnisse liefern. Reformen soll es bei der Mindestsicherung, der Verwaltung und bei den Krankenkassen geben.
Für das Burgenland meinte Norbert Darabos (SPÖ), man könne das Vorgehen der Regierung schon als „unfreundliche Aktion den Ländern gegenüber“ beurteilen. Offensichtlich bediene sich Kurz zwei Tage nach dem Ende der Landtagswahlen einer „Politik des Drüberfahrens“ und versuche, Pflöcke einzuschlagen, so Darabos - mehr dazu in burgenland.ORF.at.
Von einer „Desavouierung“ sprach auch der künftige Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) - mehr dazu in wien.ORF.at, Audio dazu in oe1.ORF.at. Auch Wiens Soziallandesrätin Sandra Frauenberger (SPÖ) kritisierte das Vorgehen der Bundesregierung. „Es lässt für die Betroffenen nichts Gutes ahnen, wenn die Bundesregierung ein neues Mindestsicherungsgesetz innerhalb weniger Wochen durchpeitschen will“, sagte sie. Dass sich die Länder in der Begutachtung einbringen könnten, wie Kurz in einem Nebensatz fallen ließ, sieht sie als Augenauswischerei.
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