„Gemeinsame Pflicht aller Mitgliedstaaten“
Eine satte Mehrheit im Rücken, Gleichgesinnte aus ganz Europa an seiner Seite: Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban sitzt nach der ungarischen Parlamentswahl noch fester im Sattel als zuvor. Ungeteilte Glückwünsche kamen nicht zuletzt aus Polen, das im ungarischen Wahlergebnis auch eine Bestätigung des eigenen Kurses sieht.
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So wie Orbans Reformvorhaben bei Verfassung, Justiz und Medien in Ungarn sorgt auch die Regierung von Mateusz Morawiecki mit ihren tiefgreifenden Plänen für anhaltendes Kopfzerbrechen in Brüssel. Im Zentrum steht eine umstrittene polnische Justizreform, wegen der erstmals in der Geschichte der Europäischen Union im Herbst ein Artikel-7-Strafverfahren eingeleitet wurde.
„Der Weg der Reformen ist nie einfach“, merkte Morawiecki nun in dem an seinen Verbündeten Orban gerichteten Gratulationsschreiben an. „Die Unterstützung der Mehrheit der Gesellschaft zeigt, dass es sich lohnt, diese Herausforderung anzutreten.“ Orbans Sieg sei auch eine Bestätigung der Emanzipationspolitik Osteuropas in der EU, sagte dazu Polens Vizeaußenminister Konrad Szymanski. Diese Politik mache Osteuropa als konstruktiven Partner in Europa und der Europäischen Union (EU) sichtbar, so Szymanski, der auch EU-Botschafter seines Landes ist.
Seit 2010 ein schwieriger Partner
Auf den ersten Blick, so Beobachter, habe sich nach der Ungarn-Wahl nun wenig am bisherigen Status quo geändert. Orban sei vielmehr schon seit 2010 ein schwieriger Partner, der für seine Reformen von Verfassung, Justiz und Medien immer wieder EU-Rügen und -Klagen einsteckte. Seit Jahren schon wettert der Regierungschef zu Hause gegen Brüssel und propagiert den starken Nationalstaat.
Je länger Orban im Amt ist, desto mehr fürchten seine Kritiker nun aber den Umbau des Landes zu einer „Wahlautokratie“, schreibt dazu die „New York Times“. Für die EU ist das ein Dilemma. „Die EU ist eine Union der Demokratie und der Werte“, mahnte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montag über einen Sprecher. Und die Verteidigung dieser Werte sei „eine gemeinsame Pflicht aller Mitgliedstaaten, ohne Ausnahme“.
Orbans Kritik am EU-Kurs, die Ablehnung der Aufnahme von Flüchtlingen und das Vorgehen gegen oppositionelle Medien stoßen in Brüssel immer wieder auf Kritik. Die Kommission hatte Budapest erst im Dezember auf Basis laufender Vertragsverletzungsverfahren wegen zwei Gesetzen zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und Hochschulen durch Gelder aus dem Ausland vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt.
„Herausforderung für Demokratie“
Nicht zum ersten Mal wird nun im EU-Parlament die Forderung nach einem Artikel-7-Verfahren auch gegen Ungarn laut. „Was in Ungarn passiert, geht ganz Europa an“, sagte dazu der Vizepräsident der S&P-Fraktion Josef Weidenholzer (SPÖ), demzufolge Vorbereitungen für ein Artikel-7-Verfahren bereits am Laufen seien. „Orbans Abbau von demokratischen Grundrechten darf in Europa nicht Schule machen“, sagte dazu die Vizepräsidentin der Grünen im Europaparlament Monika Vara (Grüne).
Ein Sanktionsverfahren wegen Gefährdung des Rechtsstaats und europäischer Werte nach Artikel 7 des EU-Vertrags gilt aber allein wegen fehlender Mehrheiten im EU-Parlament als wenig wahrscheinlich. Das verschont Orban aber nicht vor Gegenwind aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) und damit auch aus den eigenen Reihen. Eine „Herausforderung für die Demokratie und europäische Werte“ ortet etwa der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas, der gleichzeitig „diese Politik, die Sprache, den Antisemitismus, die Korruption und den Nationalismus“ im ungarischen Wahlkampf scharf kritisierte.
Vergleich mit Euro-Krise
Ungeachtet der von Brüssel befürchteten Verletzung der Grundprinzipien der EU-Rechtsstaatlichkeit hält Ungarn so wie Polen dennoch weitgehend an seinen Reformvorhaben fest. Daran änderte bisher auch der erst am Montag von EU-Kommissionsvize Franz Timmermans hervorgehobene intensive Dialog mit Polen wenig - vielmehr werde nach wie vor nach einer Lösung gesucht. Von gleich zwei Mitgliedstaaten würden europäische Grundwerte „von innen erschüttert“, hieß es dazu in einem in Brüssel vorgestellten Positionspapier des Jacques-Delors-Instituts.
Die Rechtsstaatlichkeitsdebatte über Polen und Ungarn kann laut der vom ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors gegründeten Denkfabrik ähnliche Erschütterungen zur Folge haben wie einst die Griechenland-Krise für die Euro-Zone. Die Rede ist von einer Schlüsseldebatte für die Zukunft der Europäischen Union.
Polen kann auf Ungarns Veto setzen
Das liege in beiden Fällen am als „komplexer Prozess“ bezeichneten Aufbau der EU. Wie an die Möglichkeit des Zusammenbruchs der Euro-Zone wurde auch nicht ausreichend an einen Bruch der Rechtsstaatlichkeit gedacht. Die dafür notwendige Debatte sei zwar angelaufen – diese falle nun aber auch in eine Zeit, in der die im Konflikt mit Brüssel stehenden Länder gleichzeitig auf ein verstärktes Mitspracherecht bei der weiteren EU-Gestaltung pochen.
Wie das Jacques-Delors-Institut weiter festhält, erscheinen die bisher von Europa eingeleiteten Versuche, auf Polen und Ungarn einzuwirken, als weitgehend zahnlos. Als Beispiel wird das gegen Polen eingeleitete Artikel-7-Strafverfahren genannt. Dieses sieht zwar scharfe Sanktionen wie den Entzug der Stimmrechte im EU-Rat vor. Notwendig dafür sei allerdings eine einstimmige Entscheidung - und bisher sei Polen ein Veto Ungarns gewiss.
Debatte über Beitragskürzung
Unterdessen findet die Idee, EU-Beiträge künftig an die Einhaltung der europäischen Grundprinzipien zu binden, zwar auch unter den EU-Staats- und -Regierungschefs immer mehr Anhänger, so die Studienautoren. Doch auch hier gebe es abseits der erhofften abschreckenden Wirkung „politische Risiken“ und eine „Frage der Effektivität“.
Dass es „raffiniertere“ Maßnahmen als Artikel 7 geben müsse, sei naheliegend. Die Lösung müsse aber nicht allein von EU-Kommission und EU-Rat kommen. Als Lösungsansatz zur Schaffung eines „produktiven Dialogs“ werden vom Jacques-Delors-Institut auch die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und eine stärkere Einbindung der EU-Agentur für Grundrechte und der Venedig-Kommission genannt.
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