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Hilfe gegen chronische Erkrankungen

Zusätzliche Steuern auf Softdrinks, Alkohol und Tabak könnten ein wirksames Mittel gegen die Zunahme chronischer und nicht übertragbarer Krankheiten sein. Zu diesem Ergebnis kommen fünf internationale Studien, die am Mittwoch in der britischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht wurden.

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So seien Schlaganfälle, Herzerkrankungen, Diabetes, chronische Atemwegserkrankungen und Krebs häufig auf ungesunde Ernährung und Suchtmittel zurückzuführen. Nicht übertragbare Krankheiten sind der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge die häufigste Todesursache weltweit. In Europa werden ihnen 86 Prozent aller Todesfälle zugeschrieben.

Frau mit einer Zigarette

ORF.at/Zita Klimek

Auch Rauchen kann durch Steuern laut der Studien gelenkt werden

Teufelskreis der Armut

Die Forscher fanden nach Auswertung von über 300 internationalen Studien heraus, dass höhere Preise die Nachfrage nach ungesunden Produkten vor allem bei einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen senken könnten. Diese Gruppen seien gleichzeitig besonders oft von schweren Krankheiten und damit verbundenen finanziellen Auswirkungen betroffen.

„Nicht übertragbare Krankheiten sind eine Hauptursache und zugleich Hauptfolge von Armut weltweit“, sagte Rachel Nugent von der Nichtregierungsorganisation Research Triangle Institute International (RTI) und Leiterin des „The Lancet“-Programms zu nicht übertragbaren Krankheiten. Es sei deshalb sinnvoll, die zusätzlich generierten Steuereinnahmen in die Armutsbekämpfung zu investieren. „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse legen nahe, dass Befürchtungen übertrieben sind, wonach höhere Steuern auf Tabak, Alkohol und Softdrinks den Armen schaden.“

Die Forscher des „The Lancet“-Programms betonten außerdem, Sondersteuern könnten dazu beitragen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO zu erreichen. Die Staatengemeinschaft hatte im Jahr 2015 vereinbart, Armut in allen ihren Formen bis 2030 zu beenden. Außerdem war das Ziel formuliert worden, nicht übertragbare Krankheiten weltweit um ein Drittel zu reduzieren.

Foodwatch kritisiert Lobbyismus der Industrie

Dass Sondersteuern auf ungesunde Produkte nur zögerlich eingeführt werden, liegt laut der Verbraucherorganisation Foodwatch auch am Lobbyismus der Industrie. Foodwatch warf dem Coca-Cola-Konzern am Mittwoch in einem 100-seitigen Bericht vor, wissenschaftlich belegte Risiken seiner zuckerhaltigen Getränke zu verharmlosen und für die Zunahme von Fettleibigkeit und Diabetes mitverantwortlich zu sein. Der US-Konzern wies die Anschuldigungen umgehend zurück. Man investiere überproportional viel in die Werbung für Getränke ohne oder mit weniger Zucker, hieß es in einer Stellungnahme.

Großbritannien: Wirkung noch vor Einführung

Als Beispiel kann Großbritannien dienen. Wegen einer bevorstehenden Steueranhebung in dem Noch-EU-Land hat eine Reihe von Herstellern den Zuckergehalt in Getränken gesenkt. Wie Foodwatch letzte Woche auf Grundlage eigener Recherchen mitteilte, senkte etwa Coca-Cola den Zuckergehalt bei seinen Marken Fanta und Sprite für den britischen Markt von 6,9 auf 4,6 beziehungsweise von 6,6 auf 3,3 Gramm pro 100 Milliliter. Auch der Konzern Britvic, Branchenzweiter in Großbritannien, und weitere Hersteller wurden aktiv.

Dicke Person am Tisch

APA/AFP/Vanderlei Almeida

Die Zahl der Fettleibigen wächst ständig - weltweit

Ab fünf Gramm wird es teurer

Großbritannien führt am 6. April eine - bereits vor zwei Jahren angekündigte - Steuer auf stark gezuckerte Getränke ein, die von den Herstellern zu entrichten ist. Sie sieht Abgaben auf Limonaden und Säfte vor, die mehr als fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter enthalten, bei mehr als acht Gramm wird noch einmal eine höhere Abgabe fällig.

Außer Coca-Cola und Britvic wurden bereits auch der Orangina-Hersteller Lucozade Ribena Suntory und die Handelsunternehmen Lidl und Tesco mit Rezepturänderungen aktiv. Der Nestle-Konzern kündigte an, dass drei seiner Limonaden ab April weniger als fünf Gramm Zucker enthalten werden. Foodwatch kritisierte allerdings, dass viele Hersteller den Zucker durch Süßstoffe ersetzten. Änderungen sollten aber darauf abzielen, den Süßgeschmack zu verringern, um der Gewöhnung bei jungen Menschen entgegenzuwirken, forderte die Organisation.

„Leberkäsesemmel“ ohne Sättigungseffekt

In Frankreich wird eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke bereits seit 2013 erhoben. Nach einem Beschluss im Herbst des Vorjahres wird die Abgabe nun schrittweise erhöht und ist schließlich bereits ab einem Gramm Zucker auf 100 Milliliter Getränk fällig. Österreich ist von diesen Werten weit entfernt: Cola, Fanta und Sprite enthalten hier neun bis zehn Gramm Zucker pro 100 Milliliter.

Obst- und Gemüseschüssel

ORF.at/Dominique Hammer

Obst und Gemüse sollen billiger werden, wünschen Gesundheitsorganisationen

Dabei ist der Zusammenhang zwischen dem Konsum von Softdrinks und der Entstehung von Übergewicht und dessen Folgeerkrankungen wie Fettsucht und Typ-2-Diabetes durch zahlreiche Studien belegt. „Ein Liter eines Softdrinks hat rund 500 Kalorien, da hat man schon fast eine Leberkäsesemmel ‚getrunken‘, ohne satt zu sein. Die Softdrinks sind gar nicht so soft, wenn es um unsere Gesundheit geht, sondern höchst gefährlich“, sagte Helmuth Brath, Internist an der Diabetesambulanz Wien Süd.

Dass Herstellerabgaben auf Zuckergetränke eine deutliche Lenkungswirkung entfalten können und ein gestaffeltes System der Mehrwertsteuer für Lebensmittel die Zunahme starken Übergewichts zu stoppen vermag, belegte jüngst eine Studie der Universität Hamburg im Auftrag mehrerer deutscher Gesundheitsorganisationen.

Bei Gemüse zeigt die Ampel Grün

Berechnet wurden dabei Ernährungsverhalten und Gewichtsentwicklung der Bevölkerung, wenn Obst und Gemüse gar nicht, ungesunde Lebensmittel dafür höher als bisher besteuert werden. Ergebnis: Der Anteil stark übergewichtiger Menschen würde nicht weiter steigen, sondern sogar um zehn Prozent sinken. „Die Studie zeigt, dass die Bürger durchaus mehr gesunde Lebensmittel kaufen wollen, bisher aber auch am Preis scheitern“, sagte der deutsche Ernährungsmediziner Hans Hauner von der Technischen Universität München.

Als in puncto Erfolg und politischer Umsetzbarkeit besonders vielversprechend erwies sich in der Studie das System „Ampel Plus“ mit folgenden Steuersätzen: grün - null Prozent: Obst und Gemüse; gelb - sieben Prozent: Lebensmittel wie Nudeln, Milch und Fleisch; rot - 19 Prozent: Produkte mit viel zugesetztem Zucker, Salz oder Fett wie Fertiggerichte, Chips und Süßigkeiten. Zusätzlich könnte der Steuersatz für die besonders gesundheitsschädlichen Softdrinks erhöht werden, betonen die Autoren.

Adipositas grassiert weltweit

In Österreich gilt für Lebensmittel zum überwiegenden Teil ein Umsatzsteuersatz von zehn Prozent. Der durchschnittliche Bürger nimmt laut Statistik Austria 93 Gramm Zucker pro Tag zu sich. Das ist fast das Vierfache der von der WHO maximal empfohlenen Menge von 25 Gramm. 15,6 Prozent der Männer und 13,2 Prozent der Frauen sind adipös, 41 Prozent sind übergewichtig.

Starkes Übergewicht bedeutet ein erhöhtes Risiko für viele Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und Krebs. Trotz aller Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, den Anstieg der Adipositas zu stoppen oder gar umzukehren. Im Gegenteil: Das Problem greift auch in Asien und Afrika weiter um sich. 44 Prozent der Länder mit verfügbaren Daten kämpfen laut dem „Global Nutrition Report“ von 2016 mit Übergewicht und Mangelernährung zugleich. „Die Welt ist vom Kurs abgekommen, diesen Trend zu verlangsamen und umzukehren“, heißt es in dem Bericht.

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