EU an Mays Seite
Der Streit über den Giftanschlag von Salisbury wächst sich zu einem Konflikt zwischen der EU und Russland aus. Die Staats- und Regierungschefs der Union stellten sich in der Nacht auf Freitag auf dem Gipfel in Brüssel klar an die Seite Großbritanniens und schlugen eine härtere Gangart gegen Russland ein. Dessen Verantwortung erklärten sie für „höchst wahrscheinlich“. Die EU berief ihren Botschafter aus Moskau zurück.
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Es sei „höchst wahrscheinlich, dass die Russische Föderation verantwortlich ist“, hieß es in einer von allen 28 EU-Staaten verabschiedeten Erklärung. Für den Anschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal gebe es „keine andere plausible Erklärung“. Den Briten sicherten die Staats- und Regierungschefs „uneingeschränkte Solidarität“ zu.
„Zeichen der Entschlossenheit“
Die Staats- und Regierungschefs signalisierten ihre Bereitschaft, den Konflikt, der bisher vor allem zwischen Russland und Großbritannien ausgetragen wurde, auf die europäische Ebene zu heben. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, dass es womöglich nicht bei der bloßen Verurteilung Moskaus bleiben werde. Die EU-Staaten seien bereit, „gegebenenfalls auch durch weitere Maßnahmen einheitlich zu reagieren“.

Reuters/Francois Lenoir
Die deutsche Kanzlerin Merkel hob auf dem Gipfel hervor, die EU-Staaten hätten sich „sehr einheitlich“ gezeigt
Mit der Rückberufung des EU-Botschafters zu Konsultationen wollten die EU-Staats- und -Regierungschefs nach Angaben aus EU-Kreisen ein Zeichen der Entschlossenheit setzen. „Einige Mitgliedsstaaten“ erwögen zudem, russische Diplomaten auszuweisen oder eigene Vertreter zurückzubeordern. Frankreich und Litauen zeigten sich in Brüssel offen für einen solchen Schritt. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte Großbritannien vor dem EU-Gipfel Solidarität versichert. „Wir verurteilen diese Giftgasattacke und wir sind solidarisch mit Großbritannien“, sagte Kurz am Donnerstag in Brüssel.
May forderte „starke gemeinsame Botschaft“
Die britische Premierministerin Theresa May begrüßte die Reaktion der EU. Diese habe demonstriert, „dass wir zusammenhalten, um unsere Werte gegen die russische Bedrohung hochzuhalten“, sagte sie in der Nacht. Sie hatte zum Auftakt der Beratungen in Brüssel eindringlich vor einer Bedrohung durch Russland gewarnt. Der Giftanschlag von Salisbury füge sich ein in eine Politik „russischer Aggression gegen Europa und seine Nachbarn“, sagte May.
Russland würde „keine Grenzen respektieren“ und sei damit „eine Bedrohung für unsere Werte“, so May. Die EU wolle sich dieser Bedrohung entgegenstellen. Eine Frage nach möglichen Konsequenzen ließ May offen. Wichtig sei, dass sich die Union und Großbritannien auf eine gemeinsame Linie geeinigt hätten. Vor der Verabschiedung der Erklärung stimmte sich May bei einem Dreiertreffen mit Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ab.
Moskau wirft London Ausübung von Druck vor
Russland warf indes Großbritannien vor, die anderen EU-Staaten unter Druck zu setzen. „Die Ermittlungen sind noch nicht beendet, aber Großbritannien versucht schon, seine Partner zu konfrontativen Schritten zu zwingen“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Freitag. Jedes Land solle selbst entscheiden dürfen, wie es diplomatisch in Russland vertreten sein wolle, zitierte ihn die staatliche Agentur TASS auf Reisen in Hanoi in Vietnam.
Ein Sprecher des Präsidialamtes sagte, man bedauere die Abberufung des EU-Botschafters. Der Kreml-Sprecher kritisierte, die Beschlüsse basierten auf Vermutungen, Beweise gebe es nicht. Die russische Regierung bestreitet eine Verwicklung in den Giftanschlag.
Tschechien will russische Diplomaten ausweisen
Tschechien kündigte an, in Reaktion auf den Giftanschlag wahrscheinlich mehrere russische Diplomaten ausweisen. Das sagte Premier Andrej Babis am Rande des EU-Gipfels in der Nacht auf Freitag. „Wahrscheinlich werden wir diesen Weg gehen“, sagte Babis und fügte hinzu, er werde darüber am Montag mit einigen Ministern seines Kabinetts reden. Tschechien kritisierte die Argumentation Russlands scharf.
Besonders die Aussage Moskaus, wonach das Gift aus anderen Ländern stammen könnte, darunter Tschechien. Die tschechische Regierung hatte diese Behauptung als „absurde Lüge“ zurückgewiesen. Auch Litauen dürfte russische Diplomaten als Reaktion auf den Giftanschlag ausweisen, hieß es am Freitag vor Beginn des zweiten EU-Gipfeltags in Brüssel in Ratskreisen.
Inzwischen verließen auch 23 britische Botschaftsmitarbeiter die Vertretung in Moskau, drei Tage nach der Ausweisung russischer Diplomaten aus London. Die Diplomaten und ihre Angehörigen verließen am Freitag die britische Vertretung in der russischen Hauptstadt, wie die Nachrichtenagentur RIA Nowosti meldete.
OPCW untersucht Blutproben der Vergifteten
Der frühere russische Doppelagent Skripal und seine Tochter Julia waren am 4. März in Salisbury vergiftet worden. Sie liegen weiter im Koma. London zufolge wurden beide mit einem Giftgas aus der militärischen Nervengiftgruppe Nowitschok vergiftet, das zu Zeiten der Sowjetunion entwickelt wurde. Ein britisches Gericht gestattete am Donnerstag Chemiewaffenexperten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), Blutproben der Vergifteten zu untersuchen. OPCW-Spezialisten waren zu Wochenbeginn in Großbritannien eingetroffen. Die Auswertung der Proben soll bis zu drei Wochen dauern.
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