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Regisseurin und Vorbotin einer Ära

Greta Gerwig und ihr Film „Lady Bird“ stehen bei der Oscar-Verleihung am kommenden Sonntag unter besonderer Beobachtung - mit Nominierungen in den Kategorien Bester Film, Regie, Drehbuch, Haupt- und Nebendarstellerin. Das sind zwar längst nicht so viele wie Kathryn Bigelows „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ 2010 abräumen konnte. Aber „Lady Bird“ ist Gerwigs Soloregiedebüt – und sie könnte damit Oscar-Geschichte schreiben.

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Sie macht große Schritte, lächelt nur, wenn es ihr passt, und sieht so gar nicht aus wie das Püppchenideal, dem junge Frauen in amerikanischen Filmen so lange entsprechen mussten. Wenn Gerwig in einem Film auftaucht, strafft sich der Rücken der Zuschauerin im Kino: Hier ist eine, die authentisch wirkt. Der könnte man im Leben wirklich begegnen. Die antwortet so, wie sie es für richtig hält, nicht so, wie es erwartet wird von ihr.

Aus dem Stand fünf Chancen

Gerwig ist 34 Jahre alt, seit zwölf Jahren Schauspielerin, und hat nun mit „Lady Bird“ ihren ersten Film allein gedreht (ihr Koregiedebüt war 2008 mit Joe Swanberg bei „Nights and Weekends“). Der Film, der in Österreich im April ins Kino kommt, handelt von der 18-jährigen Lady Bird (Saoirse Ronan), die eigentlich Christine heißt, und nicht recht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll.

Der Film wurde nach seiner Premiere beim Sundance Festival im Jänner mit bemerkenswertem Enthusiasmus gefeiert, und tatsächlich ist „Lady Bird“ ein solides Regiedebüt, das über das Coming-of-Age-Drama hinaus von einer glaubwürdig komplizierten Mutter-Tochter-Beziehung handelt, von einer Jugend in den frühen Nullerjahren im kalifornischen Sacramento, wo auch Gerwig aufwuchs. Und der Film erzählt von der Pein, seine Teenagerjahre in Armut zu verbringen und sich dafür im Grunde immer zu genieren.

So sehen Millennials aus

„Lady Bird“ ist ein aufrichtiger und schöner Film, der in vielen Details autobiografisch ist. Doch der Hype um den Film dürfte vor allem der Person Gerwig geschuldet sein, die sich in über einer Dekade Schauspielkarriere ein spezielles Image erarbeitet hat. Wer Gerwig für einen Film engagiert, hat damit nicht nur eine kompetente Schauspielerin an Bord, sondern ein Symbol – und wie viel mehr muss das für eine Gerwig-Regiearbeit gelten: Gerwig im Abspann signalisiert intellektuelle Jugendlichkeit, sympathische Unentschlossenheit, und Belesenheit.

Saoirse Ronan und Greta Gerwig

AP/Invision/Danny Moloshok

Saoirse Ronan (links) verkörpert in „Lady Bird“ eine jüngere Version ihrer Regisseurin Greta Gerwig

Sie zu besetzen bedeutet, den Anschluss an die Millennials nicht verpasst zu haben. Sie ist hip. Und sie ist ein Vorbild: Nie hat sie hinterm Berg gehalten mit ihrem Desinteresse, älteren Regisseuren als dekorative Inspiration zu dienen – auch wenn ihre beruflichen Entscheidungen gelegentlich anderes vermuten ließen.

„Ich will Scorsese sein!“

Nach ersten Auftritten ab Mitte der Nullerjahre in „Mumblecore“-Filmen, in denen mehr herumgesessen als gehandelt wird, spielte sie ihre erste große Rolle 2010 in „Greenberg“. Ben Stiller ist da als New Yorker in einem trostlosen Los Angeles gestrandet, und Gerwig verkörperte den Lichtblick, der ihn über die Tage rettet. Regie führte Noah Baumbach, mit dem Gerwig damals bereits liiert war. Zwei Jahre später kam „Frances Ha!“ ins Kino, den Gerwig und Baumbach gemeinsam geschrieben haben.

Gerwig wehrte sich bei Interviews zu diesem Film vehement gegen die Auffassung, sie habe Baumbach zum Film angeregt. Schließlich sei sie ja selbst Autorin: „Ich hab kein Interesse an der Rolle der Muse.“ Und: „Ich will Scorsese sein!“ Kritiker verglichen sie schon zu diesem Zeitpunkt mit dem jungen Woody Allen, in dessen „To Rome with Love“ (2012) sie eine kleine Rolle spielte. „Ich habe in mein Jahrbuch geschrieben: In zehn Jahren bin ich in New York und mache einen Woody-Allen-Film. Und hier bin ich“, war ihr Statement dazu. Angesichts wiederaufgeflammter Missbrauchsvorwürfe distanzierte sie sich vor wenigen Monaten allerdings von Allen.

Gerwig ist en vogue

Parallel durchlief Gerwig die Stationen einer konventionellen Schauspielerinnenkarriere und war unter anderem in der romantischen Highschool-Komödie „Miss Algebra“ zu sehen. 2014 folgte die eher peinliche Philipp-Roth-Verfilmung „Der letzte Auftritt“, in der Al Pacino einen gebrechlichen Theaterstar spielt und Gerwig seine lesbische Nachbarin, die sich mit Perlohrsteckern und Spitzenunterwäsche zur Heterosexualität bekehren lässt.

Die Sünden bei der Rollenwahl sind inzwischen längst verziehen. Greta Gerwig gilt als Vorbotin einer neuen Ära in Hollywood: Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jordan Peele, dessen ebenfalls oscarnominiertes Regiedebüt „Get Out“ für das spät erwachte Interesse Hollywoods an afroamerikanischen Geschichten steht, ziert sie das Cover der aktuellen Ausgabe von „Vanity Fair“. „Die am wenigsten vorhersehbare Preissaison seit Jahren“ steht da. Die weiße Regisseurin, der schwarze Regisseur: Vielleicht markieren sie wirklich einen Wandel.

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