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Politkino aus Osteuropa

In der Berlinale-Reihe „Panorama" finden sich heuer zwei hochpolitische Filme aus Osteuropa. Der tschechische Journalist Jan Gebert zeigt in „Az prijde valka“ („When the War Comes“) den ungehinderten Aufstieg einer paramilitärischen Formation in der Slowakei. Der ungarische Filmemacher Arpad Bogdan erzählt in „Genezis“ von Gewalttaten an Roma und von einer Gesellschaft, die im Kern krank zu sein scheint.

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In „Genezis“ verliert der neunjährige Ricsi bei einem tödlichen Überfall betrunkener Neonazis auf sein Dorf die Mutter. Er selbst flieht angeschossen und traumatisiert zu seinen Großeltern, der Vater sitzt für zwei Jahre im Gefängnis – wegen Holzdiebstahls. Virag, eine Bogenschützin, ahnt, dass ihr eigener Freund Misi etwas mit der brutalen Mordserie auf das Roma-Dorf zu tun haben könnte. Sie muss sich entscheiden, wie ihre Beziehung mit dem unnahbaren Hundezüchter weitergehen soll.

Und dann baut Regisseur Bogdan noch die so ehrgeizige wie überforderte junge Anwältin Hanna in den Film ein: Sie soll Misi verteidigen – doch wie ist es emotional überhaupt möglich, einen rassistischen Killer zu verteidigen?

„Das biblisch Böse hinter dem Hass“

„Als diese Morde passiert sind, 2008 und 2009, da musste ich erst einmal verstehen und dekodieren, was dahinter steckt", sagt Bogdan im Gespräch mit ORF.at: „Ich hab dann erkannt, dass hinter dem Hass das biblisch Böse ist. Das wollte ich darstellen und wusste sofort, dass das drei Geschichten sein müssen, in denen ich zeigen wollte, wie das Böse Familien verändert, kaputt macht und zerstört. Welche Entscheidungen die Menschen treffen können angesichts dieses Bösen.“

Filmszene aus "Genesis"

Genesis Production

Protagonist Ricsi in „Genezis“: Die Fragen nach Schuld und Rache prägen den Film

„Genezis“ erzählt in drei Kapiteln bildgewaltig und souverän von einer Gesellschaft, der jeder Zusammenhalt zu fehlen scheint. Bogdans Film überzeugt durch seine Figuren ebenso wie durch die Einbindung des Elementaren: Wasser, Erde, Wald, Leben und das Sterben der Tiere – alles bekommt in „Genezis“ Symbolkraft. Rassistisch motivierte Gewalt gegen Roma war bereits 2012 Thema im Filmprogramm der Berlinale. Der ungarische Regisseur Benedek Fliegauf verfilmte damals die Geschichte von Mordanschlägen in einer ungarischen Roma-Siedlung und erhielt einen wichtigen Berlinale-Preis.

Keine simple Racheaktion

„Meine Herangehensweise ist über die Schöpfungsgeschichte“, so Bogdan gegenüber ORF.at, „weil wir eben dort das Gute haben und das Böse, die dunkle Macht. Und wie sehr der Glaube dabei helfen kann, aus dieser Dunkelheit herauszukommen. Um glauben zu können, muss man keiner Kirche angehören. Ich selber bin auch nicht traditionell religiös, aber ich glaube an einen Schöpfer, und all diese Motive sind ja bereits in einem Buch enthalten, das ist das populärste Buch auf der ganzen Welt, und es beinhaltet Gut und Schlecht als einen moralischen Kodex.“

Arpad Bogdan

ORF.at/Alexander Musik

Regisseur Bogdan: „Meine Herangehensweise ist über die Schöpfungsgeschichte"

„Wir haben uns von der Schöpfung entfernt“

Ricsi hat viel Liebe mitbekommen, und ein Wendepunkt des Films besteht darin, dass sein Hass auf die vermuteten Mörder im Film nicht in eine simple Racheaktion mündet. Es geht Bogdan nicht darum, den Fall der Roma-Morde aufzuklären. Es geht ihm auch nicht um das gegenwärtige politische Klima in Ungarn, wie er sagt,„es geht darum, was in der Welt um uns herum passiert, das kann Deutschland sein, Österreich, Ungarn. Ich muss aber zugeben, dass es im Moment sehr unbequem ist in Ungarn, dass es sehr viel Schlechtes gibt, und wir müssen aufwachen und einiges neu überdenken. Wir haben uns von der Schöpfung entfernt. Etwas ist faul geworden und muss neu begonnen werden.“

Bogdan, Jahrgang 1980, ist selbst im Kinderheim aufgewachsen und hat verschiedene Theater- und Literaturprojekte mit benachteiligten Kindern organisiert. In „Genezis“ überträgt sich die Empathie, die Bogdan für seine Hauptfigur Ricsi mitbringt, unmittelbar auf die Leinwand. Ein faszinierender Film aus einem Land, das 2017 mit "On Body and Soul“ von Ildiko Enyedi den Goldenen Bären für den besten Film für sich verbuchen konnte.

Niemand stört die „Slowakischen Rekruten“

Der aus Prag stammende Journalist und Filmemacher Gebert dokumentiert in seinem ersten Langfilm indes den unheimlichen Aufstieg einer paramilitärischen Formation in der Slowakei: „Slovenski Branci“ („Slowakische Rekruten“) nennt sich die Truppe unter dem jungen, geschmeidigen Archäologiestudenten Peter Svrcek aus Bratislava, der es mühelos zu schaffen scheint, Gleichgesinnte im ganzen Land um sich zu scharen, um mit ihnen in Uniform, bei Kampftrainings im Wald und in martialischen Ansprachen das Slawentum zu preisen.

Drei Jahre lang folgte Gebert dem jungen Mann, der, privat stets höflich und adrett gekleidet, keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte und bei seinen Eltern lebt. „Es hat mich betroffen gemacht“, so Gebert zu ORF.at, „dass es nicht ein einziges Mal zu einer Konfrontation gekommen ist während der Dreharbeiten: Die Gesellschaft war vollkommen schweigsam und schien die Aktivitäten schweigend zu billigen. Es war furchterregend.“

Widerspruch bleibt aus

In Tarnfleck, die slowakische Flagge stolz vor sich her tragend, setzen sich die Rekruten in verschiedenen Städtchen des Landes unter den Augen der Bevölkerung in Bewegung und sammeln sich dann, um Reden zu halten: Nie werden sie aufgehalten, nie macht ein Passant auch nur eine Bemerkung.

Filmszene aus "When the War Comes"

Stanislav Krupar

Szene aus „When the War Comes“

Wenn die Rekruten nicht gerade im Wald für den Nahkampf trainieren, geben sie die Ordner bei Volksfesten und freuen sich jedes Mal, wenn die Organisatoren ihren Namen nennen. Der Sitz der Krawatte ist ebenso wichtig wie der Einsatz in Schulen, wo die Redegewandteren den Ruhm des Slawentums verbreiten. Auch in der Schule scheint es verblüffenderweise niemanden zu stören, dass Peter Svrcek eine kichernde Schulklasse agitiert.

Ideologisch unklar, aber kampfbereit

Der junge Mann entschuldigt sich ja auch immer ganz freundlich, wenn ihn die Polizei tatsächlich mal aufhält, weil er an seiner Uniform staatliche Hoheitsabzeichen trägt. Die reißt Svrcek dann gleich pflichtschuldig ab.

Ideologisch ist nicht klar, was die Rekruten eigentlich wollen. Es scheint ihnen zu reichen, dass ihr Anführer weiß, was gut für sie ist. Aber es ist erschreckend klar, dass Svrcek noch viele Ideen für seine paramilitärische Truppe hätte, falls er und seine Leute einmal mehr als nur Security spielen sollten.

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