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Einladungspolitik sorgt für Streit

Im Laufe der Jahre hat sich die Berlinale nicht nur einen Ruf als größtes Publikumsfestival der Welt gemacht, sondern auch für seine politischen Inhalte. Die heuer stattfindende 68. Ausgabe ist von der „#MeToo“-Debatte geprägt - im Rahmen derer auch Kritik an Festivalchef Dieter Kosslick laut wurde.

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Kosslick muss sich in seinem vorletzten Dienstjahr den Vorwurf der Doppelmoral anhören. Viel zitiert wird seine Aussage, „in diesem Jahr Arbeiten von Leuten nicht im Programm zu haben, weil sie für ein Fehlverhalten zwar nicht verurteilt worden sind, es aber zumindest zugegeben haben“. Namen wurden dazu nicht genannt, doch aufgestoßen ist so manchem, dass einer, auf den das zutrifft, dann doch im Programm aufschien.

Kosslicks Glanz scheint zu verblassen

Gemeint ist der sehr spezielle südkoreanische Filmemacher Kim Ki Duk, dessen neuester Film „Human, Space, Time and Human“ seine Weltpremiere in der "Panorama“-Schiene hatte – obwohl es gegen den Regisseur Vergewaltigungsvorwürfe gab. Beweisen ließ sich der Vorfall, der vier Jahre zurückliegt, nicht, Kim wurde lediglich für eine Ohrfeige verurteilt, die er einer Schauspielerin gegeben hatte, wie er gestand. Geldstrafe: umgerechnet 3.500 Euro.

Direktor Dieter Kosslick und Jury der Berlinale

APA/AFP/Markus Schreiber

Festivalleiter Kosslick (Mitte): Der Glanz verblasst

„Ist der Filmemacher nun gleicher als gleich, weil er so prominent ist?“, fragen Kosslicks Kritiker. Der Name Kosslick stand für Glamour, Stars zum Anfassen und weltweite Aufmerksamkeit für deutsches Kino, das sein Vorgänger Moritz de Hadeln eher ignorierte. In den letzten Jahren ist der Glanz des Festivalleiters aber verblasst. Der lange Schatten der „#MeToo“-Debatte trägt dazu bei, auch wenn in der Internationalen Jury heuer drei Frauen und drei Männer sitzen, und der Anteil von Filmen von Regisseurinnen in allen Sektionen des Festivals steigt.

Anna Brueggemann am Red Carpet der Berlinale

APA/AFP/Tobias Schwarz

Anna Brüggemann (links) auf dem Roten Teppich

Die Schauspielerin Anna Brüggemann rief alle Frauen auf dem Roten Teppich dazu auf, Erwartungshaltungen des Publikums zu unterlaufen und nicht in sexy Kleidchen und Highheels aufzutreten. „Nobody’s Doll“ nannte sie ihre Kampagne, Schauspielerinnen seien niemandes Püppchen.

Österreichisches Kino in Berlin

Die Berlinale ist für den österreichischen Film auch heuer ein gutes Pflaster. Von hochpolitischen Themen und gesellschaftskritischen Ansätzen bis hin zu Beziehungsgeschichten und Genderfragen reicht das breite Spektrum.

Die Berlinale sorgte im Laufe ihrer Geschichte wiederholt für politische Kontroversen: 1974 wurde mitten im Kalten Krieg erstmals ein sowjetischer Film gezeigt, im Jahr darauf einer aus der DDR. 1988 ging der Goldene Bär erstmals nach China: Die Auszeichnung für Zhang Yimous „Rotes Kornfeld“ war ein Solidaritätssignal an die liberalen Kräfte im Land, so wie es der Goldene Bär 2011 für den iranischen Filmemacher Asghar Farhadi war („Nader und Simin“). 2016 wurde das Flüchtlingsdrama „Fuocoammare“ von Gianfranco Rosi prämiert.

„Es geht nicht um Sex oder Skandal“

Politisches gibt es in diesem Jahr auch abseits des Filmprogramms. Das Tipi am Kanzleramt, eine zirkuszeltartige Theaterlocation nahe dem Berliner Reichstag, war der Schauplatz für die Podiumsdiskussion unter dem Titel „Kultur will Wandel“ rund um sexualisierte Belästigung und Gewalt in der Film- und Fernsehbranche. „Es geht nicht um Sex oder Skandal, es geht um Macht und Machtmissbrauch“, sagte die Leiterin der deutschen Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders.

Die deutsche Frauenministerin Katarina Barley (SPD) erinnerte daran, welche TV-Rollenbilder sie noch heute verfolgten: Robert Wagner und Stefanie Powers aus der US-Serie „Hart aber herzlich“ nämlich, in der sie ihren Mann fragt, was er eigentlich am meisten an ihr liebe. Antwort: Dass sie nie Nein sage. Das sorgte nicht nur beim weiblichen Teil des Publikums, sondern auch bei einigen Männern für Gelächter. Zuvor waren die Männer von der Moderatorin eigens begrüßt und ausdrücklich aufgefordert wurden, Macht abzugeben.

Kultur im Wandel

ORF.at/Alexander Musik

Podiumsdiskussion bei der Berlinale: Schweden als Vorbild?

Das wünschten sich auch Branchenvertreterinnen aus Produktion und öffentlich-rechtlichem Fernsehen. Der Verein Pro Quote Film verlangte nicht nur 50:50-Quotierungen, sondern auch engagierte, kompetente Frauenrollen. Debattiert wurde auch die Idee - Vorbild Schweden -, Drehbücher und deren Rollenverteilung selbst einer Quotierung zu unterziehen.

Störaktion während Diskussion

Thema auf dem Podium war zudem die Idee einer zügig zu schaffenden überbetrieblichen Beschwerdestelle für Belästigungen und Machtmissbrauch. Barley versprach in diesem Zusammenhang mehr juristische Handhabe auch für früher straflos gebliebene Belästigungen.

Die Veranstaltung wurde geräuschvoll von einer Reihe junger Frauen gestört, die auf der Bühne Transparente ausrollten, Flyer regnen ließen und „den Opfern importierter Gewalt eine Stimme geben“ wollten. Sie forderten den Staat auf, „uns vor allen zu schützen, die unsere Werte und Normen nicht teilen wollen oder können“. Aus dem Publikum erhoben sich umgehend „Nazis raus“-Rufe, und nach wenigen Minuten ließen sich die mutmaßlich den rechtsextremen Identitären nahestehenden Frauen umstandslos hinausführen.

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