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Verschiebung aus Kostengründen

Die Regierung überlegt offenbar, das Inkrafttreten des Erwachsenenschutzgesetzes, das Menschen mit Behinderung mehr Selbstbestimmung bringen sollte, aus Geldmangel um zwei Jahre zu verschieben. Das Justizministerium bestätigte am Montag, dass die Ablösung des 30 Jahre alten Sachwalterrechts „Verhandlungsgegenstand der laufenden Budgetverhandlungen ist“.

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Die Ablösung des Sachwalterrechts wurde erst im Vorjahr von allen Parteien einstimmig im Parlament beschlossen. Mit dem Erwachsenenschutzgesetz wird die Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung nicht mehr pauschal eingeschränkt. Stattdessen soll die Vertretung in abgestuften Formen passieren, je nachdem, in welchem Ausmaß ein Mensch Unterstützung benötigt.

9,5 Mio. Euro Kosten im ersten Jahr

Die Kosten dafür hätten heuer 9,5 Mio. Euro betragen, wären in den nächsten Jahren kontinuierlich gesunken und bis 2022 durch den Abbau von gerichtlichen Erwachsenenvertretungen auf null zurückgegangen. Die Finanzierung wurde vor einem Jahr noch zugesichert. Am Montag wurden die Behindertenvertreter allerdings alarmiert, dass die Regierung aus Geldmangel eine Verschiebung des Inkrafttretens des Gesetzes um zwei Jahre plant. Kurz darauf bestätigte das Justizministerium, dass das Gesetz Teil der Budgetverhandlungen sei.

Für Volksanwältin „nicht nachvollziehbar“

Für Interessenvertreter ist ein Aussetzen des Gesetzes inakzeptabel. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist nicht nachvollziehbar“, sagte die zuständige Volksanwältin Gertrude Brinek (ÖVP). „Die Finanzierung wurde vor einem Jahr zugesichert. Ich gehe davon aus, dass das gesetzeskonform umgesetzt wird“, so Brinek. Das Erwachsenenschutzgesetz „war das größte gesellschaftspolitische Projekt der vergangenen Legislaturperiode im Justizbereich“ und müsse wie geplant am 1. Juli in Kraft treten. „Auf eine andere Variante will ich mich gar nicht einlassen“, sagte Brinek.

Der österreichische Behindertenrat zeigt sich wegen der Verschiebung besorgt. „Die Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes um zwei Jahre zu verschieben, ist inakzeptabel und ein Schritt in die absolut falsche Richtung“, so Herbert Pichler, Präsident des Behindertenrates, in einer Aussendung. „Der Österreichische Behindertenrat wurde nicht in diese Entscheidung eingebunden“, heißt es in der Aussendung.

„Es ist erschütternd, welchen Stellenwert die Bundesregierung den Rechten von Menschen mit Behinderung einräumt. Nach der Festlegung zum Ausbau der Sonderschulen und der Beibehaltung des bloßen Taschengeldes in Werkstätten wäre dies ein weiterer massiver Rückschlag in der Behindertenpolitik“, kritisierte Behindertenanwalt Hansjörg Hofer. Er hoffe, dass sich die Regierung noch zu einer anderen Entscheidung bewegen lasse.

Auch Diakonie nicht in Entscheidung eingebunden

„Das ist eine falsche Prioritätensetzung“, kritisierte der Direktor der Diakonie Österreich, Michael Chalupka, dass „dieses Vorzeigeprojekt nun auf die lange Bank geschoben“ werden soll. Auch er trat der Darstellung entgegen, es wären Behindertenvertreter in die Entscheidung eingebunden gewesen: „Dies wäre uns neu. Wir haben die Neuigkeiten leider aus den Medien erfahren.“

Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter verwies darauf, dass das neue Gesetz - nach den nötigen Anfangsinvestitionen - Kosten verringern werde. Schließlich habe die bisherige Rechtslage in der Hälfte der Fälle zu einer - aufwendigen - Sachwalterschaft für alle Anliegen geführt.

Opposition kritisiert Verschiebung scharf

Auch bei den Oppositionsparteien sorgten die bekanntgewordenen Pläne für scharfe Kritik. „Das angebliche Hinausschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag des Erwachsenenschutzgesetzes ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und jener, die seit Jahren für dieses Recht auf selbstbestimmtes Leben gekämpft haben“, kritisierte Ulrike Königsberger-Ludwig, SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderung. „Diese Menschen haben offenbar keinen Stellenwert mehr für diese Bundesregierung.“ Mit ihrem Vorhaben lege die Bundesregierung „gesellschaftspolitisch wieder den Rückwärtsgang ein“, so die Abgeordnete.

Als „empörend“ bezeichnete es Liste-Pilz-Klubobmann Peter Kolba, „dass diese Regierung beschlossene Gesetze offenbar reihenweise wieder ändern, abschaffen oder verschieben will“. NEOS-Justizsprecherin Irmgard Griss übte ebenfalls Kritik: „Das Sachwalterrecht ist mittlerweile über 30 Jahre alt und längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Es ist unverständlich, warum die ÖVP-FPÖ-Regierung nun einen Rückzieher macht.“

Verein weist auf UNO-Konvention hin

„Was in den letzten Tagen die Runde macht, erschreckt uns nachhaltig“, zeigte sich Monika Schmerold vom Verein Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ) entsetzt. Mit einer Verschiebung des Gesetzes „blieben rund 60.000 Personen im alten System der Sachwalterschaft gefangen“, so Schmerold, die nachdrücklich auf Österreichs Verpflichtung im Rahmen der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hinweist.

Bei der Staatenprüfung Österreichs zur Einhaltung der Konvention im Jahr 2013 sei das System der Sachwalterschaft schwer kritisiert worden. Wenn das so bliebe, würde sich Österreich bei der nächsten Staatenprüfung 2019 „vollends blamieren“. Zuerst werde von der Regierung der Ausbau der Sonderschulen angekündigt und nun die Beibehaltung der Sachwalterschaft, zeigt man sich bei SLIÖ empört und fordert, „von dieser unsinnigen Idee Abstand zu nehmen und diese Menschenrechtsverletzungen nicht zu prolongieren“.

Zaghafte Reformen bei Sachwalterschaft

Das Ziel, Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen, wird schon seit mehr als 100 Jahren in der heimischen Politik verfolgt. 1916 wurde das bis dahin geltende „Irrenrecht“ durch die „Entmündigungsordnung“ abgelöst, das die Möglichkeit einer Teilentmündigung vorsah. In Kraft war diese bis 1984 und wurde dann vom Sachwalterrecht abgelöst, das in diesem Bereich weiter differenzierte. Das im Vorjahr beschlossene Erwachsenenschutzgesetz sollte noch mehr Autonomie ermöglichen.

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