Erstaunliche Karriere
Rachel Morrison stürmt mit ihrer Oscar-Nominierung als beste Kamerafrau eine Männerbastion - und könnte sich am 4. März sogar gegen Altstar Roger Deakins durchsetzen, der mit „Blade Runner 2049“ als Favorit gilt. Doch egal, wie das Rennen ausgeht: Als erste oscarnominierte Kamerafrau hat Morrison schon jetzt Filmgeschichte geschrieben. Und auch sonst ist ihr Leben ziemlich erstaunlich.
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Geboren wurde die 40-Jährige in Cambridge, Massachusetts, dem Standort der altehrwürdigen Eliteuniversität Harvard. Morrison selbst wanderte zum Studieren allerdings lieber ins quirlige New York ab, wo sie das Fach Film belegte und schließlich im Bereich Kamera diplomierte.

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Morrison bei der Arbeit
Oscar-Nominees Kamera 2018
- Roger Deakins – „Blade Runner 2049“
- Bruno Delbonnel – „Darkest Hour“
- Hoyte van Hoytema – „Dunkirk“
- Rachel Morrison – „Mudbound“
- Dan Laustsen – „Shape of Water“
Ihr erster Kinospielfilm als Kamerafrau, „Palo Alto“ (2007), das Porträt einer Handvoll Collegestudenten, die das Thanksgiving-Wochenende miteinander verbringen und Zukunftspläne schmieden, kam noch mit einem Budget von 200.000 Dollar aus. Es folgten acht weitere Indie-Produktionen, die auf dem Sundance Festival Aufmerksamkeit generierten, etwa das LA-Jugenddrama „Dope“ (2015) und der Psychothriller „Sound of My Voice“ (2011). Und hier in Sundance begann auch die Festivalkarriere des Films „Mudbound“, für den Morrison jetzt nominiert ist.
„Frauen brauchen zwölf Erfolge, Männer einen“
Morrison merkte zu ihrer Karriere kürzlich in der „LA Times“ kritisch an: „Ich habe zwölf Indie-Filme gedreht, hatte acht davon in Sundance, bevor man mir das erste Mal die Chance gab, an einer großen Studioproduktion mitzuarbeiten. Für meine männlichen Kollegen reichte oft schon ein einziger Sundance-Erfolg aus, um einen 30-Millionen-Dollar-Film drehen zu dürfen.“
Wegen ihrer ersten Schwangerschaft und der Geburt des Sohnes Wiley musste Morrison 2015 das Angebot von Regisseur Ryan Coogler ausschlagen, die Kamera bei seinem Boxerdrama „Creed“ zu übernehmen.
Endlich ein Big-Budget-Film
Coogler und Morrison hatten bereits 2013 bei „Fruitvale Station“ (der unter dem Titel „Nächster Halt: Fruitvale Station“ auch in Österreich startete) zusammengearbeitet. Dafür kam Coogler mit seinem übernächsten Projekt wieder auf Morrison zurück: dem Big-Budget-Superheldenfilm „Black Panther“ (200 Millionen Dollar), für den Morrison sofort zusagte. Hier war die Chance, auf die sie gewartet hatte. Bei seinem US-Start im Februar 2018 brach „Black Panther“ bisherige Kassenrekorde, indem er mit 192 Millionen Dollar (154 Mio. Euro) allein am ersten Wochenende beinahe die gesamten Produktionskosten einspielte.

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Morrison bei der „Black Panther“-Premiere
Regiedebüt während der Schwangerschaft
Morrison, die in der Schwangerschaft nicht mit schwerem Kameragerät hantieren konnte, legte auch in diesen Monaten nicht die Hände in den Schoß. Denn Regieführen, das ging. Und so inszenierte sie noch kurz vor der Geburt ihres Sohnes eine Folge der ABC-Serie „Quantico“. Auf dieses Regiedebüt folgten weitere Regiearbeiten für das Fernsehen - und es bleibt abzuwarten, ob Morrison ihre Karriere als Regisseurin weiter entwickeln will, jetzt, wo sie als Kamerafrau gefragter ist als je zuvor.
Ihr selbst scheint der Trubel fast zu viel zu sein: „Ich glaube, ich würde am liebsten abtauchen und erst nach der Oscar-Verleihung wieder aus meinem Versteck kommen“, wird sie scherzend im Branchenmagazin „Variety“ zitiert.
Verheiratet mit einer Frau, ein Sohn
Privat lebt die 40-Jährige mit ihrer Ehefrau - die wie sie selbst Rachel heißt - und ihrem mittlerweile drei Jahre alten Sohn Wiley in Los Angeles. Auf ihrem Twitter-Account findet man Fotos vom „Women’s March“ und reichlich Tweets, die sich gegen Donald Trump wenden. Dafür mag Morrison den linken Demokraten Bernie Sanders, dessen Tweets sie regelmäßig teilt.
Und ja, vielleicht war es auch eine politische Entscheidung, Morrison im „#MeToo“-Jahr 2018 für die beste Kamera zu nominieren. Noch wahrscheinlicher war es aber eine bewusste Entscheidung, sie für die vergleichsweise kleine Produktion „Mudbound“ (Budget: zehn Millionen Dollar) zu nominieren, und nicht für den kameratechnisch wesentlich aufwendigeren „Black Panther“ (Budget: 200 Millionen Dollar). Denn „Mudbound“ ist hinter den Kulissen ein durch und durch weiblicher Film. Er beruht auf der Romanvorlage einer Frau (Hillary Jordan) und ist von der Afroamerikanerin Dee Rees inszeniert.
„Frauen unter 30 nimmt hier niemand ernst“
Frauen, die Regie führen, sind in Hollywood fast ebenso selten wie Frauen, die eine Kamera bedienen: In einem Onlineinterview brachte Morrison das weibliche Dilemma, das viele Frauen an der Hollywood-Karriere hindert, 2017 auf den Punkt: „Frauen haben es schwer in der Filmbranche, denn bevor wir 30 sind, nimmt uns keiner ernst. Darum musst du dir zwischen 30 und 40 einen Namen machen. Unglücklicherweise ist das bei Frauen genau das ‚biologische Fenster‘. Das heißt, wenn du beruflich gerade an deinem Durchbruch arbeiten solltest, solltest du zugleich auch ein Kind bekommen.“
Nur fünf Prozent Frauen hinter der Kamera
Männer hingegen, sagte Morrison, hätten in Hollywood nicht mit solchen Vorurteilen zu kämpfen, sie könnten durchaus mit 25 als Genie durchgehen oder, falls es mit der Karriere etwas länger dauere, mit dem Kinderkriegen warten, bis sie 55 Jahre alt seien. Und die statistischen Zahlen scheinen Morrisons Beobachtungen recht zu geben. Von den 250 erfolgreichsten US-Kinofilmen des Jahres 2016 standen laut „Variety“ gerade einmal bei fünf Prozent Frauen hinter der Kamera. Viel wird die Nominierung einer Frau an diesen Verhältnissen nicht ändern, aber sie ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
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Maya McKechneay, für ORF.at