ÖVP in komfortabler Position
In Tirol geht ein großteils ruhiger Wahlkampf ins Finale. Wenn die Tirolerinnen und Tiroler am Sonntag ihre Stimmen abgeben, wird es zumindest an der Spitze keine großen Überraschungen geben. Wie sich die weiteren Plätze verteilen, lässt sich schon weniger leicht sagen - und das hat auch viel mit der vergangenen Landtagswahl in Tirol zu tun.
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Die Ausgangslage für die ÖVP könnte schlechter sein: Dass die Partei unter Landeshauptmann Günther Platter am Sonntag auf Platz eins landet, bezweifelt niemand. Bisweilen ist sogar davon die Rede, dass nach 15 Jahren wieder die Absolute in Reichweite sein könnte. Das hält der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer zwar für „nicht wahrscheinlich“. Die ÖVP sei aber in einer sehr komfortablen Position, sagt er gegenüber ORF.at.
Buhlen um Regierungsbeteiligung
Gleich vier Partei gaben bereits eindeutig zu verstehen, mit der ÖVP regieren zu wollen. Die Grünen unter Ingrid Felipe erklärten eine erneute Regierungsbeteiligung ohnehin zum Wahlziel. Auch FPÖ-Spitzenkandidat Markus Abwerzger sagte bereits mehrfach, eine Koalition mit der ÖVP anzustreben.

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Gleich vier Parteien wollen nach der Wahl mit Platters ÖVP koalieren
In die gleiche Richtung äußerte sich die SPÖ. Spitzenkandidatin Elisabeth Blanik sagte zuletzt, sie würde „für ein entsprechendes Regierungsamt“ ihren Bürgermeisterinnensessel im Osttiroler Lienz aufgeben - ein „deutliches Signal“ in Richtung Wählerinnen und Wähler, so Karlhofer. Und auch Dominik Oberhofer, Spitzenkandidat des erstmals in Tirol antretenden NEOS, gab sich bezüglich einer Regierungsbeteiligung nicht abgeneigt.
Diesmal keine Konkurrenz aus den eigenen Reihen
Für Platter und die ÖVP ist es damit ein Leichtes, sich nach außen hin alle Optionen offenzulassen. Darüber hinaus hat die Partei das erste Mal seit zehn Jahren nicht mit Konkurrenz aus den eigenen Reihen zu kämpfen. Sowohl bei der Landtagswahl 2008 als auch 2013 hatten sich ÖVP-Politikerinnen und -Politiker von ihrer Partei losgesagt. Und sie konnten - zumindest kurzzeitig - auch reüssieren.

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Die ÖVP in Tirol setzt auf eine merklich andere Ästhetik als die Bundespartei
In einem Land, das seine Landeshymne Andreas Hofer gewidmet hat, mag der Erfolg von „Parteirebellinnen“ und „Parteirebellen“ naheliegend scheinen - was freilich ein Kurzschluss ist. Politikwissenschaftler Karlhofer muss für eine Erklärung, warum zuletzt ÖVP-Abspaltungen gar nicht wenige Stimmen auf sich ziehen konnten, denn auch nicht den Tiroler „Freiheitskämpfer“ bemühen. Er verweist vielmehr auf die Rolle der ÖVP in dem Bundesland.
Wettbewerb als „innerparteiliche Angelegenheit“
„Die Besonderheit Tirols auf eine Formel gebracht: Der politische Wettbewerb ist immer eine innerparteiliche Angelegenheit der ÖVP gewesen“, sagt Karlhofer. Für die Partei „hat es bis in die 80er Jahre in Tirol fast logisch zu erwartende Zweidrittelmehrheiten im Landtag gegeben“, so der Politologe. Alle anderen Parteien seien demgegenüber „Statisten“ gewesen.

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An die Dominanz der ÖVP konnte die SPÖ in Tirol nie heranreichen. Heuer probiert es die Partei mit dem Attribut „neu“.
Die Politikwissenschaft spricht in so einem Fall von „Prädominanz“. Dabei hält eine politische Gruppierung zugleich die absolute Mandatsmehrheit und verfügt über mehr als doppelt so viele Mandate wie die zweitstärkste Partei. In Österreich erfüllt dieses Kriterium zurzeit nur noch die niederösterreichische Volkspartei. In Vorarlberg rutschte sie 2014 deutlich unter die 50-Prozent-Marke. In Tirol hatte die ÖVP den Status bereits bei der Landtagswahl 2008 eingebüßt.
Vom Fleck weg über 18 Prozent
Damals fuhr die Landespartei nach 1989 den zweitgrößten Verlust in ihrer Geschichte ein. Fast zehn Prozent aller Wählerinnen und Wähler verließen die ÖVP. Viele blieben überhaupt der Wahl fern, viele wechselten aber auch ins Lager von Fritz Dinkhauser. Der langjährige Tiroler Arbeiterkammer-Präsident hatte sich kurz vor der Landtagwahl von der ÖVP losgesagt, war mit seiner eigenen Liste Fritz angetreten und hatte auf Anhieb über 18 Prozent der Stimmen geholt.

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An der Spitze der Liste Fritz steht nicht mehr Parteigründer Dinkhauser, sondern Andrea Haselwanter-Schneider
Laut der damaligen Wählerstromanalyse des Instituts SORA zog Dinkhauser aber auch ähnlich viele Tirolerinnen und Tiroler von der SPÖ und den Grünen zu sich. Am meisten profitierte Dinkhauser allerdings von ehemaligen Nichtwählerinnen und -wählern.
Abspaltung Nummer zwei
Genau dorthin verließen fünf Jahre später aber wieder viele die Liste Fritz. Bei der Landtagswahl 2013 verlor die Partei mehr als zwei Drittel der Stimmen - und fiel auf 5,6 Prozent zurück. Dinkhausers Liste war zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht mehr die einzige ÖVP-Abspaltung, die um Stimmen buhlte. Die Innsbrucker Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer hatte gemeinsam mit der ehemaligen ÖVP-Landespolitikerin Anna Hosp die Liste vorwärts Tirol gegründet - an deren Spitze mit Hans Lindenberger jedoch ein ehemaliger SPÖ-Politiker kandidierte.

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Mit Lindenberger kam es bereits während des Wahlkampfs zu ersten Meinungsverschiedenheiten, die das Bild der Partei nach außen beschädigten. Mit 9,5 Prozent konnte vorwärts Tirol denn auch die eigenen Erwartungen nicht erfüllen. Obwohl Hosp rund um ihren Heimatbezirk Reutte für die Liste sogar teils die absolute Mehrheit holte, blieb ihr mit Platz sechs auf der Landesliste ein Mandat im Landtag verwehrt. Die Diskussion über Hosps Mandat befeuerte die bereits vor der Wahl aufgetretenen Konflikte, die am Ende zur Abspaltung aller vier Mandatare von der eigenen Partei führten.
Kaum noch Chancen
Andrea Krumschnabel wurde bereits kurz nach der Wahl ausgeschlossen. Sie tritt heuer mit ihrer eigenen Liste Family an. Der restliche Landtagsklub trennte sich 2015 und gründete impuls-tirol. Der Streit zwischen vorwärts Tirol und impuls-tirol rund um die Parteienförderung endete letztlich sogar vor Gericht. Entsprechend gering schätzt Karlhofer die Chancen von impuls-tirol, die überdies aus Geldmangel einen Wahlkampf auf Sparflamme fährt.

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Krumschnabel und ihre Liste Family traten im Wahlkampf wenig in Erscheinung
Auch für Krumschnabels Family, „die fast wie aus dem Hut gezaubert wirkt“, hält Karlhofer es für „schwer denkbar, dass sie reüssiert“. Wenngleich Krumschnabel selbst zehn Prozent der Stimmen als Ziel nennt. Von den „Parteirebellen“ der vergangenen Wahlen traut der Politologe nur der Liste Fritz einen nochmaligen Einzug in den Landtag zu.
Zehntausende Stimmen frei
Das heißt im Gegenzug aber, dass eine ganze Menge Stimmen wieder auf dem Markt sind. 30.229 Menschen wählten vor fünf Jahren Vowärts Tirol. Darüber hinaus gingen damals 15.326 Stimmen an die Liste von Transitgegner Fritz Gurgiser. Mit 4,84 Prozent verpasste er knapp den Einzug in den Landtag. Da Gurgiser heuer auf eine Kandidatur verzichtet, sind auch diese Stimmen zu haben. Das Gleiche gilt für die rund 10.600 Stimmen, die 2013 an das Team Stronach gingen.
Dazu kommt, dass die Wahlbeteiligung 2013 mit knapp über 60 Prozent selbst für Tiroler Verhältnisse einen historischen Tiefpunkt erreichte. Es sei „schwer vorstellbar“, dass dieser Wert noch einmal unterschritten werde, sagt der Politikwissenschaftler; vor allem weil vor der Wahl 2013 gleich mehrere Skandale die Politik erschüttert hatten.
FPÖ kann mit deutlichen Zugewinnen rechnen
Wer von dem frei gewordenen Stimmenpotential wie profitieren wird, lässt sich schwer abschätzen. In den wenigen Umfragen vor der Wahl zeigten sich in erster Linie bei der FPÖ deutliche Zugewinne. Das trifft auch auf die jüngste, vor wenigen Tagen in der „Kronen Zeitung“ veröffentlichte, Befragung zu. Kommen die Umfragewerte dem tatsächlichen Wahlergebnis nahe, würden sich die Freiheitlichen beinahe verdoppeln. Mit 9,34 Prozent startet die Partei aber auch von einem niedrigen Niveau.

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Die FPÖ setzt in Tirol auf das Thema Sicherheit - in allen Facetten
Das gilt auch für die SPÖ, die diesmal ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Tirol ausbügeln muss. Dass es noch weiter nach unten geht, hält Karlhofer für kaum wahrscheinlich. Er geht davon aus, dass die mit dem Attribut „neu“ versehene Partei durchaus Zugewinne verbuchen kann.
Die Grünen und die Zweistelligkeit
Für die Grünen geht es wiederum in erster Linie darum, ihr Ergebnis der vergangenen Wahl einigermaßen zu halten. Sollte das Ergebnis der Partei nicht mehr zweistellig sein, käme sie als Koalitionspartnerin kaum noch infrage, so der Politologe.

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„Bist dabei?“, fragen die Grünen in Kufstein. Weiter westlich wird auf den Plakaten aus dem „Bist“ ein „Bisch“.
Für die Partei steht darüber hinaus ein Sitz im Bundesrat auf dem Spiel. Der wäre bereits bei knapp über zehn Prozent verloren - ein weiterer möglicher Rückschlag für die ohnehin bereits krisengebeutelte Bundespartei.

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NEOS Tirol holt sich auch auf dem Plakat Unterstützung von der Bundespartei
Von solchen Sorgen ist NEOS befreit. Anders als den Grünen gelang der Partei im Herbst der Wiedereinzug in den Nationalrat. NEOS, das bisher in Tirol laut Karlhofer „nicht existent“ war, könnte die „Schubkraft der Bundespartei“ helfen, die Fünfprozenthürde zu überspringen.
Links:
Martin Steinmüller-Schwarz (Text), Günther Hack (Datenaufbereitung), beide ORF.at