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Mühen am grauen Band

Tirol und der Transitverkehr: Seit Jahren lässt das Thema die Emotionen in dem Bundesland hochgehen. Auch in der Regierungsarbeit der schwarz-grünen Koalition war die Verkehrsthematik ein ständiger Begleiter. Mit dem Näherrücken des Wahltags nahm die Debatte noch einmal an Fahrt auf.

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Das Panorama von der Festung Kufstein aus ist eindrucksvoll. Unten fließt der grüne Inn, oben leuchten die schneebedeckten Gipfel der Berge. Nur eines irritiert: ein konstantes Rauschen. Wer von der Burg Richtung Nordosten blickt, erkennt schnell, wo das Hintergundgeräusch seinen Ursprung hat. Wenige hundert Meter vom Kufsteiner Ortszentrum entfernt überquert die Inntalautobahn (A12) jenen Fluss, der ihr den Namen gibt.

Eindrücke aus Tirol

ORF.at/Martin Steinmüller

In Sicht- und Hörweite: die Inntalautobahn bei Kufstein

Von der deutschen Grenze führt das graue Asphaltband durchs Inntal, vorbei an Wörgl, Schwaz, Innsbruck und Telfs, bis die Autobahn in Landeck zur Arlberg-Schnellstraße wird. So weit kommen die meisten Fahrzeuge aber gar nicht, biegen sie doch bei Innsbruck nach Süden ab - auf die Brennerautobahn (A13), die sie zur italienischen Grenze bringt.

Alte und neue Sorgen

Seit den frühen 70er Jahren bilden A12 und A13 eine der wichtigsten Verkehrsachsen durch die Alpen. In der Zeit des Wirtschaftswunders galt ihr Bau als wirtschaftspolitische Pflichtübung. Der Ausbau der Brennerstraße sei unerlässlich und dulde keinen Aufschub mehr, „sollten nicht durch die Umfahrung Österreich und nicht minder Bayern, Südtirol und Norditalien unabsehbaren Schaden erleiden“, schrieb die Handelskammer in ihrem Jahresbericht 1958.

Von Sorgen, wie sie die Vorläuferorganisation der Wirtschaftskammer in der Nachkriegszeit plagten, ist Tirol inzwischen weit entfernt. 14,1 Millionen Fahrzeuge passierten vergangenes Jahr den Brenner, teilte die Tiroler Landesregierung Anfang Jänner mit. Mehr als 2,25 Millionen davon waren Lkws. Auf der Inntalautobahn zwischen Innsbruck und Kufstein kam der Schwerverkehr laut den von der ASFINAG erhobenen Zahlen sogar noch auf eine Million mehr.

Mit einem hohen Verkehrsaufkommen hat in Österreich nicht nur Tirol zu kämpfen. Die alpine Lage des Bundeslandes sorgt aber zusätzlich für eine Verschärfung. Kurz gesagt: Aus einem Gebirgstal werden Luftschadstoffe nicht so schnell abtransportiert. Seit Jahren übersteigt die Belastung mit Stickstoffdioxid entlang der A12 und A13 an vielen Stellen die erlaubten Grenzwerte. Dazu kommen Lärm und an Spitzentagen kilometerlange Staus.

Transit als Chefsache

In der Tiroler Landespolitik ist das Thema ein Dauerbrenner - das in Wahlkampfzeiten noch einmal angeheizt wird. Für die Opposition gehört es zum guten Ton, der Landesregierung Versäumnisse vorzuwerfen. Diese wiederum versucht sich in einer aktiven Rolle zu präsentieren.

In den vergangenen Monaten machte Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) die Problematik gewissermaßen zur Chefsache. Zwar ist das Verkehrsressort grundsätzlich in grüner Hand, zuletzt ging es für den Landeshauptmann selbst von Verkehrsgipfel zu Verkehrsgipfel - der letzte fand Anfang Februar unter Beteiligung von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) in München statt.

Seit dem Sommer werden auf Verordnung des Landeshauptmanns am Grenzübergang Kufstein an besonders verkehrsstarken Tagen Blockabfertigungen durchgeführt. Stündlich dürfen dann maximal 300 Lkws die Grenze passieren. Bis zu 30 weitere Blockabfertigungen kündigte Platter für dieses Jahr noch an: eine Symptombekämpfung, mit der zugleich Druck auf den Nachbarn Bayern ausgeübt werden soll.

Über Landesgrenzen hinaus

Sosehr die Transitthematik Tirol beschäftigt, so sehr ist sie nicht allein Angelegenheit der Landespolitik. Die Höhe der Straßenmaut bestimmen etwa nicht die Länder, sondern der Bund. Dass viele Frächter die Strecke über den Brenner statt durch die Schweiz oder Frankreich wählen, weil diese die billigste ist, liegt wiederum weniger an der heimischen Maut als an den Tarifen, die in Deutschland und Italien eingehoben werden.

Forderungen nach einer Korridormaut - das heißt nach einer einheitlichen Gebühr - auf der Strecke zwischen Verona und München scheiterten bisher am Widerstand der Nachbarländer. Zumindest mit Italien sei nun aber eine Lösung in Sichtweite, hieß es im Jänner von Platter.

Jahrzehntelanger Bürgerprotest

Politik ist immer das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure mit je eigenen Absichten, Wünschen und Bedürfnissen. Gerade in der Verkehrspolitik tritt der Interessenkonflikt besonders stark zutage. Da sind zum Beispiel die direkt Betroffenen: jene Menschen, die in unmittelbarer Nähe der Autobahn wohnen; in Vomp zum Beispiel, wo Fritz Gurgiser wohnt.

Hermann Weratschnig und und Fritz Gurgiser

APA/Robert Parigger

Im September 2012 fand die bisher letzte Blockade der Inntalautobahn statt

Vollbart, kurz geschnittene Stirnfransen – in den vergangenen 30 Jahren wurde Gurgiser zum Gesicht der Anti-Transit-Bewegung in Tirol. Als Obmann des Transitforums Austria-Tirol sorgte er in den 90er und Nullerjahren für Schlagzeilen, wenn er und seine Mitstreitenden mit Protestaktionen auf der Autobahn den Verkehr ganz zum Erliegen brachten. Ab 2008 saß Gurgiser dann im Tiroler Landtag, zuerst auf einem Ticket der Liste Fritz; nach Streit mit der Partei als freier Abgeordneter. Mit dem Einzug mit einer eigenen Liste scheiterte Gurgiser 2013 knapp an der Fünfprozenthürde.

Kritik an Ausnahmen von Fahrverbot

Für die Tiroler Verkehrspolitik der vergangenen fünf Jahre findet der streitbare Aktivist gegenüber ORF.at kaum freundliche Worte. Vor allem an der „Allerheiligenverordnung“, wie er sie nennt, lässt er kein gutes Haar. Gurgiser meint damit das sektorale Fahrverbot, das mit Anfang November 2016 in Kraft trat. Das Transitforum und auch die Oppositionsparteien kritisieren, dass die Regelung mehr Ausnahmen als Verbote beinhalte.

Grundsätzlich besagt das sektorale Fahrverbot, dass auf einem Teilabschnitt der Inntalautobahn eine Reihe an unverderblichen Gütern nicht mehr per Lkw transportiert werden dürfen – außer die Lastwagen werden in Tirol oder nahe der Tiroler Grenzen be- oder entladen. Zusätzlich ausgenommen sind aber auch Fahrten mit Lkws, die der derzeit aktuellsten Abgasnorm „Euro VI“ entsprechen. Das mache die Verordnung vollkommen zahnlos, lautet die Kritik. Die Landesregierung erwidert auf solche Vorwürfe, dass ohne die Euro-VI-Ausnahme Brüssel der Verordnung nicht zugestimmt hätte.

Widerstreitende Grundsätze

Tatsächlich war es nicht der erste Versuch, ein sektorales Fahrverbot in Tirol einzuführen. Schließlich ist die Maßnahme für die Tiroler Landespolitik ein dankbares Mittel: Das Fahrverbot zielt allein auf den ungeliebten Transitverkehr, während die heimischen Unternehmen nicht betroffen sind. Genau das war aber im Kern der Grund, warum die zwei vorherigen Anläufe von 2003 und 2007 vor der EU scheiterten.

In beiden Fällen entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass das sektorale Fahrverbot den freien Warenverkehr einschränkt - und damit eine der Grundsäulen der Europäischen Union. Allerdings gestand das Gericht ein, dass das Fahrverbot zum Schutz der Umwelt gerechtfertigt sein könnte, hielt aber zugleich fest, dass dafür auch noch andere Maßnahmen zur Verfügung stünden.

Tempolimit als ungeliebte Voraussetzung

Dass der dritte Anlauf schließlich das Okay der EU-Kommission bekam, lag auch nicht nur an der Euro-VI-Ausnahme. Bereits im Herbst 2014 hatte Tirol eine permanente Tempo-100-Beschränkung für Pkws auf Teilen der Inntalautobahn und einem kleinen Teil der Brennerautobahn eingeführt. Für die Grünen, die seit 2013 in Tirol mitregieren, war der Lufthunderter bereits Teil des Wahlprogramms. Platter und seine ÖVP taten sich mit der Einführung deutlich schwerer.

Zuletzt kam einmal mehr von Wirtschaftsseite ein Protest gegen das Tempolimit, im Speziellen von der „Tiroler Adler Runde“. Die Interessengruppe vereint zurzeit 42 Tiroler Unternehmerinnen und Unternehmern, darunter der Besitzer der Supermarktkette M-Preis, Hans Jörg Mölk, und der Tiroler Wirtschaftsbund-Obmann und ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz Hörl.

Fünf Forderungen haben die Wirtschaftstreibenden vor der Wahl an eine künftige Landesregierung zusammengestellt. Der erste Punkt auf der Liste: die Abschaffung des Lufthunderters. Dass diese überhaupt eingeführt wurde, sei wohl ein Ergebnis der grünen Regierungsbeteiligung, vermutet die Sprecherin der Adler Runde, Ingeborg Freudenthaler, gegenüber ORF.at. Auch die FPÖ hat mit dem Tempolimit wenig Freude. Wenngleich FPÖ-Spitzenkandidat Marcus Abwerzger zuletzt eingestand, dass sich die Maßnahme wohl nicht so schnell abschaffen lasse.

Luft besser, Verkehr nicht weniger

Die stellvertretende Landeshauptfrau und grüne Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe sprach im Wahlkampf gerne von einem „Umdenken“ in Bezug auf die Maßnahme. Tatsächlich lässt eine aktuelle Umfrage der „Tiroler Tageszeitung“ darauf schließen, dass der Widerstand in der Bevölkerung gegen die permanente Geschwindigkeitsbegrenzung weniger wurde. Auch die Belastung durch Stickstoffdioxid ging laut den offiziellen Messzahlen seit Einführung der Maßnahme zurück - wenngleich die Werte im Jahresmittel immer noch über den erlaubten Grenzwerten liegen.

Blick auf die A22 Brennerautobahn

ORF.at/Lukas Krummholz

Über zwei Millionen Lkws fuhren vergangenes Jahr über die Brennerautobahn

Eine Reduzierung der Schwerverkehrs bewirkten aber weder Tempolimit noch sektorales Fahrverbot. Das steht in sichtlichem Widerspruch zu den politischen Ansprüchen. Darüber, dass der Lkw-Verkehr aufs Tirol Straßen zurückgehen sollte, herrscht unter den Parteien Einigkeit. Dass der Weg dorthin auch über eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene führt, ist Konsens.

Brennertunnel und Obergrenze

Viele hoffen auf den Brenner-Basistunnel, der in Zukunft von Innsbruck bis nach Südtirol führen soll. Er wird allerdings erst 2026 fertig. Und es ist zumindest umstritten, ob das Milliardenprojekt tatsächlich den Schwerverkehr von der Straße auf die Schiene ziehen wird. Sollte der 64 Kilometer lange Tunnel sein Potenzial voll ausschöpfen, müsste auf jeden Fall Bayern die Zubringerstrecken ausbauen.

Inzwischen steht auch die Forderung nach einer Obergrenze im Raum. Maximal eine Million Lkws pro Jahr sollen in Zukunft den Brenner überqueren können. Ob und wie diese Maßnahme vor der EU Bestand haben könnte, ist noch eine offene Frage. FPÖ-Verkehrsminister Hofer führte zuletzt in einer parlamentarischen Beantwortung bereits EU-rechtliche Bedenken ins Treffen - und handelte sich prompt die Kritik fast aller Tiroler Landesparteien ein.

Hofer sagte daraufhin, selbstverständlich für eine Obergrenze „kämpfen“ zu wollen - und setzte auch gleich einen Brief an EU-Verkehrskommissarin Violetta Bulc auf. Eine Obergrenze dürfe „kein Tabu“ sein, hieß es in dem Mitte Februar versandten Schriftstück unter anderem. Im Frühsommer soll sich überdies eine gemeinsame Kabinettssitzung von bayrischer und österreichischer Regierung vor allem der Verkehrspolitik widmen. Fest steht: Der Verkehr wird auch nach der Tirol-Wahl die Debatte im Land prägen - und ebenso die Politik über die Landesgrenzen hinaus beschäftigen.

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