Ein künstlerischer Alleskönner
Emmanuel Radnitzky, besser bekannt als Man Ray, gilt als einer der erfolgreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Wie vielseitig der 1976 verstorbene US-Künstler war, zeigt seit Mittwoch eine Schau im Kunstforum Wien. Seiner Zeit immer einen Schritt voraus, war Ray einer der ersten Künstler, der intermedial tätig war.
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Wie seine Biografie war auch Rays Dasein als Künstler sprunghaft. Er lebte abwechselnd in New York und in den 1920ern in Paris, war in beiden großen Kunstmetropolen gleichermaßen tätig. Neben der Fotografie ließ er kaum eine Kunstform aus - er malte, zeichnete, war in der Assemblage ebenso bewandert wie in der Aerografie und widmete sich auch der Film-, Buch- und Objektkunst.

Rheinisches Bildarchiv bzw. MAN RAY TRUST
Das Porträt der Coco Chanel (1935/36, links) und „Violon d’Ingres“ (1924) sind zwei der bekanntesten Fotografien des Künstlers
Die von Lisa Ortner-Kreil kuratierte Schau vereint all diese Aspekte und versucht, den „ganzen“ Man Ray zu zeigen – oder zumindest einen Querschnitt durch sein umfassendes, intermediales Werk, das vor allem Dank seines Ideenreichtums als prägend für den heutigen Kunstbegriff gilt. Dafür wurden rund 200 Werke des Künstlers von 40 Leihgebern wie dem Centre Pompidou in Paris, dem Museum of Modern Art New York, der Tate London sowie privaten Sammlern zusammengetragen. Von der Idee bis zur Umsetzung des Projekts habe es sechs Jahre gedauert, so Ortner-Kreil.
Passende Ausdrucksform für jede Idee
Zu Beginn der Werkschau stehen Rays bekannte Fotografien – allen voran sein wohl berühmtestes Bild „Le Violon d‘Ingres“ von 1924 - und seine kameralosen Fotogramme (Rayografien) sowie frühe abstrakt-technische Studien und erste Gemälde, beeinflusst vom Fauvismus und Kubismus.

Digital image/The Museum of Modern Artk/Scala
„The Rope Dancer Accompanies Herself with Her Shadows“ (1916), ein frühes Ölgemälde, ist ein Leihgabe des Museum of Modern Art, New York
Die Schau zeigt den beeindruckenden Umgang Rays mit Transmedialität. Die Arbeiten zwischen Objekten, Gemälden, Zeichnungen und Fotografien sind jeweils das passendste Ausdrucksmittel für die Idee, die dahinter steht. In manchen Fällen zitiert der Künstler sich selbst, bezieht sich auf seine eigenen Werke in einem anderen Medium. So findet sich beispielsweise eine in Stoff verpackte und mit Paketband verschnürte Nähmaschine („L‘Enigme d‘Isodre Ducasse“), ein Objekt aus dem Jahr 1920, rund 30 Jahre später auf dem Gemälde „La rue Ferou“ übergroß auf einem Handkarren wieder.
Die Fotografie zur Kunst erhoben
Als der in Philadelphia geborene Ray 1921 nach Paris ging, avancierte er rasch zu einem der gefragtesten Fotografen der Stadt. Seine Arbeit fand nicht nur bei den dortigen Surrealisten und Dadaisten großen Zuspruch, sondern brachte ihm auch kommerziellen Erfolg. Die großen Modemagazine „Harper‘s Bazar“ und „Vogue“ buchten Ray aufgrund seines innovativen Stils für Fotostrecken, Größen wie Picasso und Coco Chanel gingen bei ihm ein und aus - was der Ausstellung eine beeindruckende Reihe an Künstlerporträts beschert.
Ausstellungshinweis
Man Ray, bis 24. Juni, Bank Austria Kunstforum Wien, täglich 10.00 bis 19.00 Uhr, freitags 10.00 bis 21.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog (240 Seiten, 32 Euro) erschienen.
Während er sich in seiner Zeit in New York verstärkt als Maler versuchte, stand in Paris stets die Fotografie im Vordergrund seines Schaffens, wahrscheinlich auch aufgrund der Konkurrenz durch andere surrealistischer Maler, die zu dieser Zeit in der französischen Hauptstadt aktiv waren. Trotz einer klar erkennbaren Leidenschaft für Malerei fehlte ihm die Originalität, die seine Fotografie auszeichnete. Während er in der Malerei seiner Zeit immer nachhinkte, trug er entscheidend dazu bei, dass die Fotografie als Kunstform anerkannt wurde.
Kollaborationen und die Körperkunst
Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern war für viele von Man Rays Arbeiten ebenso prägend wie seine jeweilige Umgebung. Mit Marcel Duchamp verband Man Ray nicht nur die Liebe zur Kunst, sie pflegten auch eine lebenslang andauernde freundschaftliche Beziehung. Gemeinsam setzten sie Projekte um, die als Vorreiter der Body Art zu sehen sein können, frühe Ansätze der Konzeptkunst verwischten Geschlechtergrenzen und spielten mit den Definitionen von Original und Dokumentation.
„KulturMontag“: Tausendsassa im Porträt
Man Ray erschuf zahllose Ikonen des 20. Jahrhunderts, die über die Alltagskultur bis ins Heute wirken.
1929 bewarb sich die spätere Kriegsfotografin Lee Miller als Rays Assistentin: der Beginn eines kurzen, aber intensiven Zusammenseins, beruflich wie privat. In dieser Zeit entstanden vor allem körperbetonte Arbeiten, sowohl von Ray als auch von Miller, die sich oft gegenseitig Modell standen und den Aufnahmen dadurch einen intimen Charakter verleihen.
Auch die Aufnahmen „Premier semestre“, eine Kollaboration mit Louis Aragon und Benjamin Peret, sind ein Produkt dieser Phase und zeigen die vier Jahreszeiten, dargestellt in vier pornografischen Fotos, die das erste Mal ausgestellt werden.
Bedeutung in der Gegenwart
Die Retrospektive zeigt einerseits, wie sich Rays facettenreiches Schaffen bis heute in der Kunst und Kultur widerspiegelt. Nicht nur „Le Violon d‘Ingres“ wird oft zitiert, auch Filmmaterial wie aus „Emak Bakia“ (1926) wird beispielsweise in Depeche Modes Video zu „Barrel of a Gun“ (1997) aufgegriffen.

Marc Domage/Galerie Eva Meyer/MAN RAY TRUST
Ein bronzenes Selbstbildnis und das von Man Ray so oft eingesetzte wachsame Auge auf einem Metronom
Fotosujets namhafter Parfummarken sind jenen des Künstlers nachempfunden, Make-up und Modekollektionen erscheinen mit seinem Namen und Motiven wie dem für Ray so typischen Auge. Andererseits verdeutlicht die Ausstellung Rays Bedeutung für die Entwicklung der Fotografie - die er mit revolutionären Ansätzen zur Kunstform erhob.
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Anna Hausmann, für ORF.at