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Ein Drittel des Unterrichts gemeinsam

Am Montag hat ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann seine Pläne für verpflichtende Deutschklassen vorgestellt - und damit das im ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm festgeschriebene Vorhaben konkretisiert. Kinder, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, sollen gesondert unterrichtet werden. Doch die Trennung betrifft nicht jedes Fach.

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15 Stunden pro Woche in der Volksschule, 20 Stunden in der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe. In diesem Ausmaß sollen die geplanten Deutschförderklassen ausfallen, wie Faßmann bei einer Pressekonferenz erklärte. Konkret bedeutet das: Rund zwei Drittel aller Schulstunden sollen Kinder mit Deutschschwächen gesondert unterrichtet werden.

Bildungsminister Heinz Fassmann

APA/Georg Hochmuth

Faßmann präsentierte am Montag seine Pläne für die im Regierungsprogramm festgeschriebenen Deutschklassen

Die restliche Zeit verbringen sie mit den anderen Schülerinnen und Schülern ihres Jahrgangs. Für Gegenstände wie Zeichnen, Musik und Turnen werden sie laut dem Plan des Bildungsministeriums altersgemäß anderen Klassen zugeteilt. So sollen sie die erworbenen Kenntnisse in der Kommunikation mit Gleichaltrigen anwenden, hieß es am Montag.

Ausbau des aktuellen Modells

Das nun präsentierte Konzept setzt damit auf einen Ausbau des aktuellen Modells der Sprachstartgruppen. Es mag auch als eine Art Kompromiss verstanden werden: zwischen jenen, die getrennte Klassen gefordert hatten, und jenen, die vor den Gefahren einer Trennung gewarnt hatten - darunter auch zahlreiche Bildungsexperten.

Minister Faßmann im Interview

Kein Bildungsexperte spricht sich für die jetzt angestrebte Form des Unterrichts für Kinder mit Migrationshintergrund aus. Bildungsminister Heinz Faßmann nahm in der ZIB2 zu den offenen Fragen Stellung.

Eingeführt werden soll das neue Modell schrittweise ab dem Schuljahr 2018/19. Dafür werden zunächst alle Kinder, denen bei der Schuleinschreibung Deutschmängel attestiert werden, einem einheitlichen standardisierten Test unterzogen. Ergibt dieser, dass dem Unterricht nicht ausreichend gefolgt werden kann, wird das Kind als außerordentlicher Schüler eingestuft und kommt in eine eigene Deutschförderklasse.

Überprüfung nach jedem Semester

Nach jedem Semester soll mit einem österreichweit einheitlichen Test überprüft werden, ob die Kinder dem Regelunterricht mittlerweile ausreichend folgen können. Ist das der Fall, können sie unmittelbar in die Regelklassen wechseln - in welche Schulstufe, kann notfalls per Feststellungsprüfung erhoben werden.

Modellablauf für Deutschförderklassen

Grafik: APA/ORF.at, Quelle: APA/BMBWF

Ansonsten besuchen sie weiter die Deutschförderklasse, allerdings maximal vier Semester lang. Nach dem Wechsel in die Regelklasse erhalten sie außerdem noch sechs Stunden pro Woche parallel zum Unterricht Förderung in einem Deutschförderkurs. Flankierend werden Deutschkenntnisse explizit als Schulreifekriterium verankert.

Faßmann verwehrt sich gegen „Ghetto“-Vorwurf

Faßmann verwies bei einer Pressekonferenz auf internationale Vorbilder sowie die derzeitigen Sprachstartgruppen an den österreichischen Schulen, die für das aktuelle Modell Pate gestanden seien. „Man muss das Rad nicht neu erfinden, aber wir wollen, dass es einen besseren Rundlauf aufweist.“

Die Deutschförderklassen bringen daher einerseits eine Verpflichtung zur Einrichtung und andererseits eine Ausweitung der Stundenanzahl (derzeit maximal elf Wochenstunden). Ausgenommen sind nur Schulstandorte mit weniger als sechs außerordentlichen Schülern. An diesen erfolgt die Deutschförderung integrativ im Regelunterricht - bei dieser geringen Anzahl könnten die Schüler im System mitgetragen werden, so Faßmann: „Integration hat immer etwas mit Quantität zu tun.“

„Wer sagt, das sind Ghettoisierungsmaßnahmen, hat das Prinzip nicht verstanden - oder er oder sie will es nicht verstehen“, so Faßmann. Ziel der Deutschförderklassen sei der möglichst rasche Übertritt in die Regelklasse. Die neuen Regeln sollen bis zum Sommer legistisch verankert und ab 2018/19 stufenweise umgesetzt werden.

Keine Angaben zu Kosten

Über die Kosten wollte Faßmann keine konkreten Angaben machen: Die Umsetzung sei aber sowohl von den Räumlichkeiten her als auch finanziell „machbar“. Man setze auf der derzeitigen Förderung über den mit 80 Mio. Euro dotierten „Integrationstopf“ auf - aufgrund der Ausweitung der Stundenanzahl und der Verpflichtung zur Einführung der Klassen werde es aber teurer. Dem Finanzministerium scheinen jedenfalls noch keine konkreten Berechnungen vorzuliegen. Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) sagte in Brüssel, von Faßmann „noch keine Grundlage“ hinsichtlich der Finanzierung bekommen zu haben.

Deutschförderklassen ab Herbst

Ab Herbst 2018 soll es für Schülerinnen und Schüler, die nicht gut Deutsch sprechen, ein eigenes Förderprogramm geben.

Das Bildungsministerium geht von einem zusätzlichen Bedarf von 300 Lehrern aus - diese könnten etwa aus Uniausbildungen für Deutsch als Zweitsprache kommen. Insgesamt schätzt das Ministerium, dass rund ein Viertel der Schulanfänger als „außerordentlich“ eingestuft werden müssen. Zusammen mit den „Quereinsteigern“ in höheren Klassen käme man so auf rund 30.000 „Außerordentliche“ pro Jahr.

FPÖ zufrieden

Für den Koalitionspartner FPÖ ist der Plan des Bildungsministeriums ein „Meilenstein für eine positive und schnellere Integration von ausländischen Kindern“. Damit werde eine langjährige Forderung umgesetzt, so FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus in einer Aussendung. „Deutschkenntnisse als Kriterium für die Schulreife werden endlich Realität.“ Gerade „im rot-grünen Wien“ seien Kinder mit deutscher Muttersprache „in öffentlichen Wiener Volksschulklassen mittlerweile die Minderheit“, so der FPÖ-Parlamentarier.

Lob mit Fragezeichen von SPÖ

Ein - wenngleich bedingtes - Lob kam auch von der SPÖ. Sie wertete das Konzept als Absage an „Ghettoklassen“. SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid begrüßte am Montag, dass Faßmann „die bestehende Sprachförderung in Verbindung mit dem Regelunterricht ausbauen und fortführen will“. Ihr Nachfolger als zuständiger Minister habe den von Kanzler und Vizekanzler „propagierten ‚Ghettoklassen‘“ eine Absage erteilt.

„Völlig offen ist allerdings, wie die benötigten zusätzlichen LehrerInnen und mehr Klassenräume finanziert und zur Verfügung gestellt werden“, so Hammerschmid, die unter anderem für die Sprachförderung im vergangenen Herbst 5.000 zusätzliche Lehrer gefordert hatte, damit jedoch beim Finanzministerium abgeblitzt war. In diese Kerbe schlugen auch der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky und Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer (beide SPÖ) - mehr dazu in wien.ORF.at.

NEOS „vorsichtig positiv“

„Vorsichtig positiv“ beurteilt der Parteichef und Bildungssprecher von NEOS, Matthias Strolz, die Pläne Faßmanns. Nicht klar sei allerdings, „welcher Leitgedanke den Bildungsminister und die Regierung antreibt. Geht es um einen Ausschluss dieser Schülerinnen und Schüler, dann sind wir entschlossen dagegen. Geht es aber um effektive Hilfestellung für rasche Integration, dann ist diese Maßnahme temporär und mit gezielter Einbindung in die Regelklasse vorstellbar“, sagte der NEOS-Klubobmann.

Anders die Liste Pilz, deren Bildungs- und Integrationssprecherinnen befürchten, dass diese „Ausgrenzung fördern und Integration verhindern“. Bildungssprecherin Stephanie Cox fürchtet angesichts der neuen Pläne ein Zurückdrängen der „Vielfalt, die unsere Gesellschaft prägt“, und fordert „eine deutliche Erhöhung des Bildungsbudgets“. „Trennung statt Integration“ ist auch den Grünen ein Dorn im Auge.

Bundesschulsprecher Harald Zierfuß von der ÖVP-nahen Schülerunion beurteilte die Pläne hingegen „aus Schülersicht sehr positiv“. Es sei sinnvoll, „dass der Fokus zuerst auf der Sprache, dem Grundstein für gelungene Schulbildung, liegt“, so Zierfuß. Dass die Regierung nun den Schwerpunkt auf das Deutschlernen lege, bewertete der Präsident des Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer, als positiv. Man dürfe aber auch nicht auf die Förderung der Erstsprache vergessen, einen Passus dazu vermisse er im Regierungsprogramm.

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