Am Vormittag und am frühen Nachmittag des 13. Jänner des Jahres 1968 hat Johnny Cash im Speisesaal 2 des Folsom State Prison zwei Konzerte hingelegt, die in der Popkultur große Spuren hinterließen. Das dabei aufgenommene Album „At Folsom Prison“ gilt als atmosphärisch einmaliges Werk, das Cashs Outlaw-Image zementierte und das bis heute auf vielen Ebenen nachwirkt.
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Die Vorgeschichte des stilprägenden Livealbums hat sich ausgerechnet im beschaulichen Landsberg am Lech in Oberbayern abgespielt, wo der junge Cash zu Beginn der 1950er Jahre im Dienste der US-Luftwaffe stand. Sein Job war das Abhören und Entschlüsseln russischer Nachrichtenkanäle. Eine Musikkarriere lag damals noch in weiter Ferne. Erst in Deutschland konnte sich Cash, der 2003 verstorben ist, mit dem in der Armee verdienten Geld eine Gitarre leisten, so die Legende; was bald zu ersten musikalischen Kreativtaten führen sollte.
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Johnny Cash und June Carter vor dem Folsom Prison
Die Leinwand als Zugang
Frühe Inspiration lieferte allerdings ein Film, der den Air-Force-Mitarbeitern im Zuge ihres Auslandsaufenthalts gezeigt wurde. Der düster inszenierte US-Streifen „Inside the Walls of Folsom Prison“ aus dem Jahr 1951, der den gewaltsamen Gefängnisalltag im kalifornischen Staatsgefängnis eindrücklich vermittelte, inspirierte Cash anno 1953 zum Song „Folsom Prison Blues“.
Cash erzählt darin aus der Sichtweise eines wegen Mordes in Folsom einsitzenden Häftlings. Die nüchtern und mit beängstigender Bestimmtheit gesungene Textzeile „I shot a man in Reno, just to watch him die“ zählt längst zu den großen geflügelten Worten der Popkultur, die in Form von Cashs zweiter Single zum Hit wurden - eine frühe Form der Gangster-Lyrik in der Popkultur, für die sich Cash vom Traditional „Duncan Brady“ inspirieren ließ. Mit „Gonna shoot somebody, just to see him die“ beschrieb der Song aus den 1920er Jahren sinnloses Morden bereits Jahrzehnte früher.
Fans in der Justizanstalt
Die Eindringlichkeit von Cashs Vortrag hat damals viele glauben lassen, so könne nur einer singen, der tatsächlich grundlos gemordet hat. Der „Folsom Prison Blues“ schärfte Cashs Image als Raubein bereits in frühen Karrierejahren. Genauso wusste Cash zu vermitteln, dass unter der harten Schale des Outlaws eine sensible Seele wohnt. Cash versprühte Authentizität, und seine Identifikation mit den Underdogs der US-Gesellschaft jener Zeit war offensichtlich.
„Folsom Prison Blues“ schuf ein Naheverhältnis zu US-Haftanstalten. Insbesondere dort ist Cash auf begeisterte Ohren gestoßen. Für die US-Musikindustrie sollte bald deutlich werden, dass sich eine gewisse Gefährlichkeit sehr gut verkauft. Was sie bis heute nicht vergessen hat.
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Johnny Cash bei seinem legendären Auftritt im Folsom Prison
Die Kraft des Kerkers
Bereits im Jahr 1957 gab Cash im Huntsville State Prison sein erstes Konzert vor Häftlingen, im Lauf der Jahre folgten etliche mehr. Aufgenommen wurde keines davon, auch jenes nicht, das er bereits 1966 in Folsom gegeben hatte. Die Idee ausgerechnet in einem Gefängnis ein Album aufzunehmen, beschäftige Cash allerdings schon länger. Die Konzerterfahrung in den Justizanstalten hatte ihm gezeigt, dass im Publikum andere Kräfte wirken als in gewöhnlichen Konzertsituationen.
Nach einem Karrieretief Mitte der 1960er Jahren, das von Cashs Tablettensucht geprägt war, und dem Wechsel der Plattenfirma drängte Cash auf die Umsetzung der Idee, die vielen der damals Beteiligten außerordentlich absurd und nicht vermarktungsfähig erschien, wie von Zeitzeugen im 2008 erschienenen US-Dokumentarfilm „Johnny Cash at Folsom Prison“ geschildert wird, was Cash jedoch wenig beeindruckte.
Kriminelles Liedgut
„Hello, I’m Johnny Cash“ lauteten Cashs knappe Worte, nachdem er am Vormittag des 13. Jänner 1968 die Bühne des Speisesaals betreten hatte – kurzem, intensivem Applaus der Häftlinge folgten die ersten Noten des „Folsom Prison Blues“. Ein konzertanter Start-Ziel-Sieg, der von Cashs Empathie hinsichtlich der Insassen geprägt war. Cash habe sich über die gesamte Konzertlänge so gegeben, als sei er einer von ihnen, berichteten damals US-Medien.
Der Mitschnitt des Konzerts wurde im Mai 1968 veröffentlicht. Entgegen allen Prognosen landete „At Folsom Prison“ mehrere Wochen auf Platz eins der Country-Charts und hat auch die US-Pop-Charts erobert. Kritiker waren angesichts des eindringlichen Vortrags und der rohen Energie, die das Album vermittelte, ebenso angetan wie von Cashs Songauswahl, die sich auf Lieder rund um Straftaten, Sucht und das Leben im Zuchthaus konzentrierten. Wobei Cash genauso für eine gehörige Portion Verbrecherromantizismen gesorgt und damit das Spiel mit der Faszination des Menschen für die Ornamentik des Bösen auf die Spitze getrieben hatte. Der Einfluss, den das Album auf die Populärkultur bald ausübte, war riesig.
Country für Rockfans
Cash etablierte mit „At Folsom Prison“ eine rauere Note im Country und öffnete damals das Genre für ein Publikum, das eher im Rock zu Hause ist. Unzählige Bands und Künstler taten es Cash gleich und spielten in Gefängnissen, um die Konzerte als Livealben zu vermarkten: Gitarrengott B. B. King, die Punkväter Sex Pistols, die Roots-Reggae-Legende Black Uhuru, die US-Hardcore-Band Fugazi und österreichische Bands wie Wanda, die zwar kein Album daraus machten, aber im vergangenen Jahr in der Justizanstalt Garsten auftraten.
Johnny Cash bei einem Auftritt im San Quentin Prison
Cash selbst veröffentlichte bereits 1969 ein weiteres Album aus dem Gefängnis, dieses Mal aus dem San Quentin Prison, das sich noch besser verkaufte als „At Folsom Prison“. Ein Umstand, dem ein Überangebot folgte: Vor schwedischen Häftlingen in Stockholm nahm Cash 1972 das Livealbum „Pa Osteraker“ auf, 1976 folgte „A Concert Behind Prison Walls“, das im Tennessee Prison entstanden ist.
Entdämonisierung von Straftätern
Doch Cash schlug sich nicht nur angesichts der Unterhaltungsmaßnahmen auf die Seite der Häftlinge. Der Country-Sänger nutzte damals seine Popularität, um in aller Öffentlichkeit für eine von vielen Seiten geforderte umfassende Gefängnisreform einzutreten, was sogar dazu führte, dass Cash im Zuge eines Hearings 1972 vor dem US-Senat sprach, um auf die Notwendigkeit der Verbesserung der Haftbedingungen hinzuweisen. Die Umsetzung großer Reformen in den USA ist bis heute ausgeblieben – die generelle Dämonisierung von Häftlingen zu jener Zeit wusste Cash mit seinem Jahrhundertwerk jedoch zu durchbrechen.