Kriegsgegner und Lenin-Vertrauter
Eine der zentralen Figuren des Jännerstreiks war der Wiener Franz Koritschoner. Er war Mitverfasser des berühmten Flugblatts, das wesentlich zum Beginn des Streiks in Wiener Neustadt beitrug.
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Koritschoner wurde am 23. Februar 1892 geboren, besuchte die Handelsakademie, war als Bankangestellter tätig und leitete die Länderbank-Filiale am Johann-Nepomuk-Berger-Platz in Ottakring. Er war maßgeblich inspiriert durch die im Schweizer Zimmerwald tagende Konferenz, die im September 1915 erstmals jene Kräfte der internationalen Arbeiterbewegung zusammenfasste, die die Kriegspolitik der sozialdemokratischen Parteien nicht mittragen wollten. Die erste Konferenz in Zimmerwald wurde auch als die „Zusammenkunft der Ornithologen“ bekannt: Als Tarnung gaben die Revolutionäre an, sich im Hotel Beau Sejour lediglich der Vogelkunde zu widmen.
Forderung nach Frieden stand im Zentrum
Koritschoner nahm im April 1916 selbst an der zweiten Zimmerwalder Konferenz teil und traf dort mit Lenin zusammen. Zu Beginn des Jahres 1917 gelang es Koritschoner, Verbindungen zu Betrieben in Niederösterreich herzustellen und für den Generalstreik zu agitieren. Dabei stand stets die Forderung nach Frieden im Vordergrund. Auch in Wien sorgte Koritschoner für Aufsehen: Am 3. Jänner 1917 unterbrach er eine Friedensversammlung in Hernals, als er gemeinsam mit zwölf jungen Anhängern die Ausführungen eines sozialdemokratischen Parteireferenten durch Zwischenrufe störte. Koritschoner wurde verhaftet, verhört und entging nur knapp einem Gerichtsprozess.
Nachdem der Jännerstreik im Wesentlichen gescheitert war, wurde Koritschoner im Februar 1918 nach einer Versammlung in Ternitz festgenommen, wo er vor Arbeiterinnen und Arbeitern eine Rede gehalten hatte. Er kam Ende Oktober 1918 frei. Bald darauf, am 12. November 1918, wurde Koritschoner bei den tumultartigen Ereignissen, die die Gründung der Ersten Republik begleiteten, durch einen Schuss schwer verletzt. Noch im selben Jahr trat er der neu gegründeten Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs bei und wurde verantwortlicher Redakteur der Parteizeitung „Die Rote Fahne“.
Ein kommunistischer Star seiner Zeit
Im Sommer des Jahres 1921 reiste Koritschoner als einer der Delegierten der KPÖ zum dritten Weltkongress der Kommunistischen Internationalen nach Moskau. Wie prominent der heute kaum bekannte Revolutionär zu jener Zeit war, verdeutlicht eine Rede von Willi Münzenberg, einem der einflussreichsten Vertreter der KPD der Weimarer Republik. Er stellte Koritschoner in eine Reihe mit Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin. Ab dem Jahr 1929 lebte Koritschoner permanent in der Sowjetunion, wo er in Moskau, Charkiw und Kiew tätig war.
Wie viele andere Kommunistinnen und Kommunisten der ersten Stunde fiel Koritschoner dem Stalin-Terror zum Opfer. Am 27. März 1936 wurde er verhaftet und der „antisowjetischen Agitation“ beschuldigt. Es folgte eine Verurteilung zu acht Jahren Lagerhaft. Im Oktober 1940 wurde das Urteil aufgehoben und durch Landesverweisung ersetzt.
In Auschwitz ermordet
Wenige Tage nach der Umwandlung des Urteils wurde Koritschoner bei Brest-Litowsk, wo einst die lange ersehnten Friedensverhandlungen zwischen dem revolutionären Russland und der Donaumonarchie stattgefunden hatten, den Behörden Hitler-Deutschlands übergeben. Für den jüdischen Kommunisten Koritschoner lief die Ausweisung auf ein Todesurteil hinaus. Über Lublin wurde er im April 1941 zur Gestapo in Wien gebracht, von wo er nach einigen Wochen Haft am 3. Juni ins Konzentrationslager Auschwitz überführt wurde. Dort wurde er am 9. Juni 1941 ermordet.
Erst nach der berühmten Rede des russischen Staatschefs Nikita Chruschtschow im Jahr 1956 über den stalinistischen Terror wurde das tragische Schicksal Koritschoners in geschichtlichen Darstellungen wieder genannt. Der Historiker Hans Hautmann und der Gründer des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), Herbert Steiner, widmeten sich in ihren Arbeiten dem politischen Wirken Koritschoners. Viele Jahre später, im April 1991, erfolgte von sowjetischer Seite die juristische Rehabilitierung Koritschoners.
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Alexander Behr, für ORF.at