Experten sind skeptisch
Viel wurde in den vergangenen Jahren darüber gesprochen, wie die Migration nach Europa gedrosselt oder sogar gestoppt werden kann. Ein Marshallplan für Afrika gewann immer mehr an Bedeutung. Ob er aber tatsächlich die „Wurzeln des Problems“ bekämpfen kann, bleibt offen. Experten sind sehr skeptisch.
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Eine möglicher Weg, um Menschen davon abzuhalten, Afrika zu verlassen, könnte eine Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) sein. Aber das ist nach Ansicht mancher Experten eine völlig falsche Grundannahme. Denn es brauche erst ein gewisses Level an Ressourcen, um überhaupt auswandern zu können, sagte Petra Dannecker, Leiterin des Instituts für Internationale Entwicklung (IE) der Universität Wien.
Die Idee eines großzügigen „Aufbauprogramms“ - eines „neuen Marshallplans für Afrika“ - taucht trotzdem immer wieder in der Politszene auf. Doch was ist der Marshallplan eigentlich? Mit dem ehrgeizigen Programm wollten die USA Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich wieder aufbauen - auch Österreich war ein Hauptnutznießer. Scheinbar nebenbei wurde der Kontinent so auch politisch an die USA gebunden und damit versucht, einem möglichen Erstarken des Kommunismus Einhalt zu gebieten.
„Kein Dollar floss nach Deutschland“
Die Laufzeit des Marshallplans betrug lediglich vier Jahre (1948 - 1952). Ein interessantes Detail, vor allem, wenn man einen Vergleich zur heutigen Situation zieht bzw. das Projekt auf Afrika „ummünzen“ will. „Hilfe, die man nicht bezahlen muss, ist wie eine Droge. Man gewöhnt sich dran“, gab Dieter Stiefel, Wirtschaftshistoriker an der Universität Wien, zu bedenken.
Allerdings lieferten die Amerikaner Hilfe in Form von Waren - entgegen dem Glauben vieler sei „kein einziger Dollar nach Deutschland geflossen“, betonte der deutsche Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser im Gespräch. Großteils richteten die USA ihre Lieferungen an den Exportwünschen ihrer Wirtschaft aus und brachten somit Baumwolle und Tabak nach Europa. Die eigene Wirtschaft erfuhr damit den nach dem Krieg erhofften Aufschwung.
Historische Unterschiede
Der Marshallplan der USA hatte „überhaupt keine entwicklungspolitische Komponente“, so Abelshauser. Zudem werden die völlig unterschiedlichen Ausgangslagen - Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und Afrika heute - meist außer Acht gelassen. Abelshauser verweist auf den historischen Hintergrund. Eine „ganz spezielle Vorbedingung“ für den Marshallplan sei damals außerdem das Ziel einer „Rekonstruktion Europas“ gewesen, konstatierte er. Aktuell wäre nun die Frage, welcher Zustand in Afrika „wieder aufgebaut“ werden soll.
Afrika habe derzeit einfach nicht die Kapazität und das Potenzial, auf dem Weltmarkt wirksam zu werden, gab der Experte zu bedenken. „Wir haben schon viele Milliarden nach Afrika gepumpt, und es hat nichts gebracht.“ Der in Washington lehrende ghanaische Wirtschaftswissenschaftler George Ayittey rechnete vor einigen Jahren aus, dass seit 1960 von den westlichen Staaten die Summe von sechs Marshallplänen nach Afrika gepumpt wurde - „ohne erkennbares Ergebnis“, so sein vernichtendes Urteil.
Frage der Finanzierung unbeantwortet
Wolle man einen Marshallplan für Afrika angehen, müsse das ein „großes, engagiertes Projekt“ sein, so Stiefel. 100 bis 700 Milliarden Euro nennt der Experte als Richtgröße: „Alles andere wäre eine Verzettelung, die nichts bringt.“ Bei allen bisherigen Vorschlägen aus der Politik blieb unklar, wer dieses Riesenprojekt eigentlich finanzieren soll.
Unabhängig davon sind sich Experten sicher, dass Menschen nicht daran gehindert werden können, zu migrieren. „Und wir sollten das auch nicht versuchen“, meinte Eugenio Ambrosi von der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Es sei eine „Illusion, zu glauben, dass wir damit (mit Entwicklungshilfe, Anm.) Mobilität stoppen können“, so auch Carla Montesi, Direktorin für Entwicklungskoordination für West- und Zentralafrika in der EU-Kommission.
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