Zahlreiche weitere Konfrontationen
Aus Protest gegen die Kehrtwende in der Jerusalem-Politik der USA hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ein Treffen mit US-Vizepräsident Mike Pence abgesagt. Die USA hätten mit der einseitigen Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels „alle roten Linien überschritten“, hieß es aus Ramallah.
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Deswegen werde es kein Treffen mit Pence bei dessen bevorstehender Nahost-Reise geben, sagte Abbas’ diplomatischer Berater Madschdi al-Chalidi am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Ein führender Vertreter von Abbas’ Fatah-Partei, Dschibril Radschub, sagte, der US-Vizepräsident sei „in Palästina nicht willkommen“. Pence plant noch vor Weihnachten einen Besuch in Israel, auch eine Visite in den Palästinensergebieten war zunächst geplant. Am Donnerstag hatte das Weiße Haus die palästinensische Autonomiebehörde vor einer Absage gewarnt: Das wäre „kontraproduktiv“.
Erdogan und Macron wollen USA umstimmen
Auch das Oberhaupt der koptischen Christen in Ägypten, Tawadros II., will Pence nicht treffen. Ein Termin der Kirche mit Pence bei seinem Besuch in Kairo Mitte Dezember werde nicht stattfinden, teilten die Kopten am Samstag mit. Die Entscheidung von Präsident Donald Trump habe die Gefühle von Millionen Arabern nicht beachtet, hieß es. „Wir beten dafür, dass jeder genug Weisheit und Rationalität bei der Behandlung von Themen hat, die den Frieden der Menschen im Nahen Osten beeinflussen.“ Am Freitag hatte bereits der Großimam der einflussreichen Al-Aschar-Universität in Kairo, Ahmed Mohammed al-Tajjib sein Treffen mit Pence abgesagt.
Zuvor hatte US-Präsident Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt und angekündigt, die US-Botschaft von Tel Aviv dorthin zu verlegen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen nun gemeinsam die USA dazu überreden, ihre Entscheidung zu überdenken, sagte am Samstag eine dem türkischen Präsidenten nahestehende Quelle. Die beiden Staats- und Regierungschefs hätten während eines Telefonats zugestimmt, dass der geplante Umzug für die Region besorgniserregend sei. Die Türkei und Frankreich würden gemeinsam versuchen würden, die US-Entscheidung umzukehren.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kritisierte unterdessen die europäischen Reaktionen auf Trumps Entscheidung. „Ich höre (aus Europa) viele Stimmen, die Präsident Trumps historische Ankündigung verurteilen. Aber ich habe keine Verurteilung des Raketenbeschusses auf Israel gehört, der (nach der Ankündigung) kam, und der entsetzlichen Hetze gegen uns“, erklärte Netanjahu am Samstag.
Brandbomben und Steine
Trumps Entscheidung führte zu Empörung und Protesten auf palästinensischer Seite. Am Samstag gab es erneut blutige Auseinandersetzungen: An rund 20 Orten habe es Konflikte zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gegeben, so die israelische Armee. Im Westjordanland hätten rund 600 Palästinenser Brandbomben und Steine auf Soldaten geworfen. Unter anderem in Bethlehem und Tulkarem habe es Konfrontationen gegeben. Ein Demonstrant sei festgenommen worden. An der Grenze des Gazastreifens hätten rund 450 Palästinenser vor allem an acht verschiedenen Punkten Steine auf Soldaten geworfen und brennende Reifen gerollt.

APA/AFP/Musa Al Shaer
Auch nahe Bethlehem kam es zu Zusammenstößen
Bei Konfrontationen im Heiligen Land am Freitag und israelischen Luftangriffen im Gazastreifen in der Nacht zum Samstag sind vier Palästinenser getötet worden. Hunderte wurden nach Angaben des palästinensischen Rettungsdienstes Roter Halbmond verletzt. Als Reaktion auf Raketenbeschuss aus dem Küstengebiet hatte die israelische Luftwaffe vier Standorte der radikal-islamischen Hamas angegriffen, wie die israelische Armee in der Nacht zum Samstag mitteilte.
Erneut Aufruf zu Intifada
Die Hamas rief am Samstag die Palästinenser erneut zu einer Intifada gegen Israel auf. Bereits am Freitag waren Tausende Palästinenser nach den Freitagsgebeten in Jerusalem, dem Westjordanland und dem Gazastreifen auf die Straße gegangen. Vor allem Jugendliche verbrannten US-Flaggen und warfen Steine und Flaschen auf Soldaten. Zusammenstöße gab es etwa in Hebron, Bethlehem und rund um Nablus.
Trump fordert „Ruhe und Mäßigung“
Angesichts der Unruhen rief Trump zu „Ruhe und Mäßigung“ auf. Das sagte sein Sprecher Raj Shah zu Journalisten an Bord der Präsidentenmaschine „Air Force One“, die Trump am Freitagabend (Ortszeit) zu einer Veranstaltung nach Florida brachte. „Der Präsident hat Ruhe und Mäßigung gefordert, und wir hoffen, dass die Stimmen der Toleranz die des Hasses übertönen“, sagte Shah.
Er betonte, dass Trump weiterhin eine „dauerhafte Friedensvereinbarung zwischen Israelis und Palästinensern“ anstrebe. Unterdessen gibt es personelle Veränderungen in Trumps Team für die Nahost-Politik: Die stellvertretende nationale Sicherheitsberaterin Dina Powell wird Anfang nächsten Jahres von ihrem Posten zurücktreten. Ein Zusammenhang zwischen Trumps Jerusalem-Entscheidung und dem Rücktritt wird seitens des Weißen Hauses zurückgewiesen.
Arabische Liga tritt zusammen
Am Samstag will sich die palästinensische Führung in Ramallah treffen, nachdem Präsident Abbas aus Jordanien zurückgekehrt ist. Auch die Arabische Liga befasst sich am Samstag in einer Dringlichkeitssitzung mit der umstrittenen Entscheidung. Es wird erwartet, dass die Staatengemeinschaft bei ihrem Treffen in Kairo scharfe Kritik an der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels übt. Schon im Vorfeld sagte der palästinensische Außenminister Riad Malki, seine Delegation werde „die Araber und Muslime bitten, dringende Schritte gegen die Entscheidung Trumps einzuleiten“.
Der Libanon bringt im Zuge dessen gar die Verhängung von Wirtschaftssanktionen seitens der Arabischen Staaten gegen Washington ins Spiel. Es müssten „präventive Maßnahmen“ bis hin zu wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen ergriffen werden, sagte Außenminister Gebran Bassil in Kairo.

APA/AP/Nasser Nasser
Proteste im Westjordanland
Und auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Abul Ghait, hatte bereits am Mittwoch von einer „ungerechtfertigten Provokation“ für die Gefühle der Araber und Muslime gesprochen. Trumps Entscheidung erschüttere das Vertrauen der Araber in die Neutralität der USA.
Umstrittener Status
Der Status Jerusalems gehört zu den umstrittensten Punkten im Nahost-Konflikt. Sowohl Israelis als auch Palästinenser beanspruchen Jerusalem als ihre Hauptstadt. Israel erklärte ganz Jerusalem zu seiner „ewigen, unteilbaren Hauptstadt“. Für die Palästinenser ist Ostjerusalem hingegen die Hauptstadt ihres künftigen Staates.
Israel hatte den Ostteil Jerusalems 1967 besetzt und 1980 annektiert. Die Annexion wird von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt. Alle ausländischen Botschaften sind bisher in Tel Aviv angesiedelt. Trump hatte jedoch bereits im Wahlkampf angekündigt, von dieser Linie abzuweichen.
Gaza-Übergabe könnte sich verzögern
Unterdessen wird befürchtet, dass sich die für Sonntag angekündigte Übergabe der Kontrolle des Gazastreifens an die gemäßigte Palästinenserbehörde verzögern könnte. Am Samstag gab es weder von der bisher in der Küstenenklave herrschenden Hamas noch von der Autonomiebehörde Informationen über einen möglichen Zeitplan. Allerdings hatten im Zuge der Jerusalem-Krise beide Seiten ihre Absicht bekräftigt, die innerpalästinensische Spaltung zu überwinden.
Die beiden größten Palästinenserorganisationen, die Fatah von Präsident Abbas sowie die radikal-islamische Hamas, hatten nach mehr als zehnjährigem Zwist am 12. Oktober in Kairo ein Versöhnungsabkommen unterzeichnet. Die Autonomiebehörde von Abbas, die bisher nur das Westjordanland kontrolliert, soll auch die vollständige Verwaltung des Gazastreifens übernehmen. Über die genaue Ausgestaltung gibt es aber noch Uneinigkeit.
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